„Mein Großvater war kein Attentäter”: Stauffenberg-Enkelin im Interview

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„Mein Großvater war kein Attentäter“: Stauffenberg-Enkelin im Interview

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Sophie von Bechtolsheim hat ihren Großvater Claus Schenk von Stauffenberg nie kennengelernt. Er wurde am 20. Juli 1944 hingerichtet. Zuvor hatte er versucht, Hitler mit einem Sprengsatz zu töten. Im Interview spricht sie über ihren umstrittenen Großvater und erklärt, was wir heute noch von ihm lernen können.

Sie haben sich als Historikerin intensiv mit Ihrem Großvater befasst und ein Buch über ihn geschrieben. Es heißt „Stauffenberg: Mein Großvater war kein Attentäter.” Was war er denn stattdessen?

Ich bevorzuge den Ausdruck des Tyrannenmörders, weil aus diesem Begriff das Dilemma hervorgeht, mit dem sich Stauffenberg und seine Mitverschwörer auseinandersetzten. Einerseits mussten sie einen Tyrannen an seinem mörderischen Handwerk hindern. Andererseits war ihnen klar, dass das nur geht, wenn sie versuchen, Hitler umzubringen. Die moralische und auch religiöse Auseinandersetzung mit diesem Dilemma geht aus vielen Schriftstücken hervor, die die Widerständler hinterlassen haben.

Ihr Großvater war bereits seit 24 Jahren tot, als Sie geboren wurden. Wie sind Sie mit ihm in Kontakt getreten?

Meine Großmutter Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg hatte eine Büste von ihrem verstorbenen Ehemann. Als Kind beeindruckte mich diese Büste sehr. Sie verlieh meinem Großvater über seinen Tod hinaus eine erhabene Präsenz. Aber meine Großmutter war immer sehr bemüht, ihn zu normalisieren. Die politische und historische Dimension seines Vermächtnisses wurde uns zwar sehr früh, aber eher beiläufig vermittelt. Als kleines Mädchen wollte ich auch nur wissen, wie Stauffenberg als Vater und Ehemann war.

Sophie von Bechtolsheim
Sophie von Bechtolsheim, die Enkelin von Claus Schenk von Stauffenberg. © Sophie von Bechtolsheim

Stauffenberg-Enkelin empfand Name nicht als Stigma – Ein Tyrannenmord ist kein Attentat

Bis zu Ihrer Hochzeit trugen sie noch den Namen von Stauffenberg. Haben Sie das als Stigma empfunden?

Nein, nicht als Stigma. Manchmal wurden die Leute aber schon neugierig, als sie den Namen hörten. Meine Lehrer waren teilweise auch sehr stolz darauf, eine Stauffenberg-Enkelin in ihrer Klasse zu haben. Manche hatten deshalb höhere Ansprüche an meinen Anstand und waren umso enttäuschter, wenn ich mal spickte, schwänzte oder im Unterricht schwätzte.

Welche moralischen Überlegungen stellte Stauffenberg an, bevor er zur Tat schritt?

Was im Kopf meines Großvaters vorging, weiß niemand. Und da bin ich auch sehr vorsichtig. Ich möchte keine tiefenpsychologischen Spekulationen vornehmen. Aber wir wissen, dass Stauffenberg sich mit christlichen Geistlichen traf und Thomas von Aquin las, der sich auch mit dem Tyrannenmord befasste. Der damalige Bischof von Berlin, Konrad Kardinal von Preysing, schrieb in seinen Memoiren, dass Stauffenberg ihn kurz vor dem 20. Juli 1944 besucht hätte.

Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg.
Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg. © HANDOUT/AFP

Er beruft sich aber auf das Beichtgeheimnis. Wir wissen also leider nicht, was sie damals besprachen. Kurz vor dem 20. Juli tauchte plötzlich auch der Jesuitenpriester Alfred Delp im Haus meiner Großeltern auf. Meine Großmutter berichtete, dass sie sich drei Stunden lang unterhalten hätten. Das alles sind für mich Indizien dafür, wie sehr der Tyrannenmord meinen Großvater umtrieb.

Warum ist Ihnen die Unterscheidung zwischen Tyrannenmord und Attentat so wichtig?

Attentate sind nihilistisch. Attentätern geht es nicht um eine positive, konstruktive Zukunftsvision, sondern um Aufmerksamkeit. Sie wollen ihre Ideologie mit Gewalt kundtun. Die Intention der Männer und Frauen des 20. Julis war aber genau das Gegenteil. Sie wollten Mord, Totschlag und Vernichtung beenden und strebten eine Wiederherstellung der vollkommenen Majestät des Rechts an. So formulierten sie es in einem Aufruf zum Umsturz. Es sollte also ein rechtsstaatliches System etabliert werden. Und das war nur durch den Tod Hitlers möglich. Davon waren sie überzeugt. Es ging nicht um das Attentat, den Gewaltakt an sich, sondern der Tod Hitlers war für die Verschwörer notwendig, um das Regime zu stürzen und gegen ein rechtsstaatliches System zu ersetzen.

Enkelin von Aussagen zu Rassenlehre und Sklaverei entsetzt – Wie war Stauffenberg wirklich?

Nach dem Überfall auf Polen 1939 schrieb Stauffenberg an seine Frau: “Die Bevölkerung ist ein unglaublicher Pöbel, sehr viele Juden und sehr viel Mischvolk. Ein Volk, welches sich nur unter der Knute wohlfühlt. Die Tausenden von Gefangenen werden unserer Landwirtschaft recht gut tun. In Deutschland sind sie sicher gut zu brauchen, arbeitsam, willig und genügsam.“ Das klingt nach Rassenlehre und Sklaverei.

Als ich das Zitat zum ersten Mal las, entsetzte es mich. Eine der ersten Fragen, die ich meinem Großvater stellen würde, wäre: Wie meintest du das eigentlich? Um diese Aussagen einzuordnen, gleiche ich sie mit seinem tatsächlichen Verhalten ab. Wenn er wirklich ein Rassist und ein Antisemit gewesen wäre, dann hätte er sich nicht für diejenigen eingesetzt, die er zu Unrecht schlecht behandelt sah. Genau das tat er aber.

Sophie von Bechtolsheim
Sophie von Bechtolsheim hat ihren Großvater nie kennengelernt. © Sophie von Bechtolsheim

Während des Polenfeldzugs ließ Stauffenberg einen Kameraden mit einer harten Disziplinarstrafe belegen, weil dieser zwei Frauen fälschlicherweise als Partisanen identifizierte und sie erschießen ließ. Wenn er tatsächlich ein überzeugter Rassist gewesen wäre, dann wäre ihm dieser Fall völlig egal gewesen. Für meinen Großvater war das Kriegsrecht aber bindend. Er setzte sich also für einen rechtmäßigen Umgang mit Zivilisten und Kriegsgefangenen ein.

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Ihr Großvater ein Kind seiner Zeit gewesen sei. Nehmen Sie ihn damit nicht aus der Verantwortung?

Ich will die problematischen Aussagen Stauffenbergs nicht marginalisieren. Ich kann das aber nur so deuten, dass es einfach die Sprache war, die damals gesprochen wurde. Heute verwenden wir diese Ausdrücke aus den besten Gründen nicht mehr, uns stellen sich da sofort die Nackenhaare auf. Da geht es mir genau so wie Ihnen, nur ich gleiche das mit seinem Verhalten ab, mit seinem konkreten Tun. Und es ist keine einzige Handlung von ihm bekannt, die darauf hinweist, dass er die rassenpolitische Programmatik Hitlers in irgendeiner Weise unterstützt oder sogar in die Tat umgesetzt hätte.

Ein historisch adäquates Bild ist schwierig – Auch die neue Rechte bedient sich an Stauffenberg

Sie betonen in Ihrem Buch, dass es schwierig ist, sich ein historisch adäquates Bild von Stauffenberg zu machen, weil damals eine andere Sprache üblich war und Begriffe anders benutzt wurden. Inwiefern können wir dann heute überhaupt noch von Stauffenberg lernen?

Ich bin überzeugt davon, dass der Mensch zur Freiheit berufen ist. Die Männer und Frauen des 20. Julis machten unter existenzieller Bedrohung von dieser Freiheit Gebrauch und bewahrten dadurch ihre moralische Integrität. Das heißt, sie erkannten nicht nur das Grundböse in Hitlers Regime, sondern sie handelten auch dementsprechend. Darin liegt ihr zeitloses Vermächtnis und davon können wir etwas lernen.

Schon als Kind faszinierte mich wahnsinnig, dass eine moderne Gesellschaft innerhalb kürzester Zeit beschließen kann, unter der Führung einer herrschenden Ideologie einen Teil der Bevölkerung auszulöschen. Mir war schon damals klar, dass das jederzeit wieder passieren kann. Unsere gegenwärtige Zeit sollte uns wieder daran erinnern. Das ist wahrscheinlich ein zeitloses Menschheitsthema. Deshalb bleibt das Vermächtnis meines Großvaters und seiner Mitverschwörer aktuell.

Hermann Goering (Göring, 3.v.li.) und Reichsminister Martin Bormann (li.) besichtigen das Fuehrerhauptquartier „Wolfsschanze“ nach dem Bombenanschlag vom 20. Juli 1944.
Hermann Goering (Göring, 3.v.li.) und Reichsminister Martin Bormann (li.) besichtigen das Fuehrerhauptquartier „Wolfsschanze“ nach dem Bombenanschlag vom 20. Juli 1944. Als Adolf Hitler sich in seinem Hauptquartier in Ostpreussen gerade ueber den Kartentisch beugen will, um die Lage einer militaerischen Stellung nachzuvollziehen, reisst es ihm den Stuhl weg. Es ist kurz nach 12.40 Uhr am 20. Juli 1944. In seiner Lagebaracke ist eine Bombe explodiert. Keine zehn Minuten zuvor hatten Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg eine Tasche mit dem Sprengsatz unter den Kartentisch gestellt. Anschliessend war er unter einem Vorwand aus der Baracke gegangen. (Siehe epd-Feature vom 11.07.2024) © -

Stauffenberg kann auf sehr unterschiedliche Weise gedeutet werden. Während Olaf Scholz vom Aufstand des Gewissens spricht, benutzt die Neue Rechte Stauffenberg und auch andere Widerstandskämpfer, um sich selbst als legitimen Widerstand zu stilisieren. Was setzen Sie dieser Beliebigkeit entgegen?

Ich weiß nicht, ob ich überhaupt etwas entgegensetzen kann. Ich kann nur darauf hinweisen, dass das extreme Geschichtsklitterung ist. Das ist auch nichts Neues. Der Erste, der den 20. Juli falsch interpretiert hat, war Hitler. Er sprach von einer kleinen Clique gewissenloser Offiziere. Dass ausgerechnet die Neu-Rechten versuchen, sich Stauffenberg und auch Sophie Scholl anzueignen, ist ein geschickter strategischer Schachzug. Dabei versuchen sie, den Begriff des Widerstands zu instrumentalisieren. Allerdings spielte dieser Begriff für die Männer und Frauen des 20. Juli und auch für die Weiße Rose kaum eine Rolle.

Wichtiger war die moralische Empörung und die positive Vision einer möglichen Zukunft. Es ist völlig geschichtsvergessen, einen Tyrannen wie Hitler in eine Linie mit einem demokratisch gewählten Bundeskanzler zu stellen. Außerdem ist es lächerlich, wenn sich Personen in diese Tradition stellen, die in Wahrheit nichts riskieren. In Deutschland droht heute niemandem mehr das Fallbeil.

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