Experte erwartet baldiges Ampel-Aus durch FDP: „Jetzt wäre es fair, den Koalitionsbruch zu erklären“
Während die Grünen vor einem Neuanfang stehen, steckt die FDP in einem „Todesdilemma“. Die Uhr der Ampel-Koalition tickt, meint Politologe Wolfgang Schroeder.
Berlin – Es war die politische Nachricht am Mittwochmorgen: Der gesamte Grünen-Vorstand tritt zurück. Damit werden auch die Co-Chefs Ricarda Lang und Omid Nouripour ihre Hüte nehmen. Während der Kanzler durch seinen Sprecher betonen ließ, dass dies „keinerlei Auswirkungen“ auf die Ampel-Koalition habe, sehen andere einen weiteren Nagel im Sarg der Bundesregierung.
Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder von der Universität Kassel sieht den Koalitionsbruch der FDP ohnehin als „vorbereitet“. Die Liberalen hatten am vergangenen Sonntag verkündet, „der Herbst wird der Herbst der Entscheidungen“, erinnert Schroeder im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. „Bei der FDP kann man seit drei Jahren sehen, wie sie irgendwie andeuten, dass das so nicht weitergeht. Aber irgendwann schlägt die Quantität in Qualität um. Die im Führerkult verhaftete FDP weiß derzeit einfach nicht, wer sie ist – ob Opposition oder Regierung, das geht nicht“, sagt der Experte.
Nach Grünen-Rücktritt: FDP deutet immer wieder Bruch an – „Da brauchen wir jetzt keine ultimativen Daten“
Nach der für FDP und Grüne desaströsen Brandenburg-Wahl machte Lindner die Ampel für das schlechte Ergebnis verantwortlich. Gewonnen habe „in Wahrheit keine der staatstragenden, demokratischen Parteien“. Die Ampel müsse jetzt liefern in der Wirtschaftspolitik, beim Haushalt und bei einer Kontrolle der Zuwanderung. „Das sind die Fragen, die in diesem Herbst geklärt werden müssen.“ Auf Nachfrage nannte der Finanzminister einen Zeitraum bis Weihnachten.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki hatte dem Regierungsbündnis am Wahlabend ein noch kürzeres Ultimatum für die Lösung grundlegender Probleme in der Wirtschafts- und Migrationspolitik gestellt: „Und entweder, es gelingt uns in den nächsten 14 Tagen, drei Wochen, hier tatsächlich einen vernünftigen gemeinsamen Nenner zu finden oder es macht für die Freien Demokraten keinen Sinn mehr, an dieser Koalition weiter mitzuwirken“, so Kubicki bei Welt TV.
Schroeder geht mit der FDP deshalb hart ins Gericht: „Wenn man sich jetzt vorstellt, dass das noch ein Jahr so weitergehen soll, wäre es fair, den Koalitionsbruch zu erklären. Da brauchen wir jetzt keine ultimativen Daten, die alle anderen in Geiselhaft nimmt, inklusive der Bevölkerung.“

Lang und Nouripour treten nach Ost-Wahlen zurück: „Die grüne Marke ist kaputt“
Die Grünen könnten sich bis zur nächsten Bundestagswahl – insbesondere im Falle einer vorgezogenen – „nicht so schnell“ wieder erholen, doch Schroeder verweist auf das Schwerpunktthema Klima, „was dieser Gesellschaft so schnell nicht verloren gehen wird“. Die Parteimarke werde sich aber wieder herstellen lassen – wenn auch nur längerfristig und „in einer neuen Weise“. Politikberater Johannes Hillje fordert indes neben einem personellen, auch einen programmatischen und kommunikativen Neustart bei den Grünen.
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„Es gibt einen großen Graben zwischen den Grünen und Teilen der Bevölkerung. Es existiert eine hohe emotionale Barriere zwischen vielen Menschen und den Grünen. Die grüne Marke ist kaputt. Die Grünen leiden unter einem sehr negativen Image. Das ist teilweise durchaus selbst verschulde, aber teilweise auch ein negatives Klischee ihrer Gegner. Die Grünen müssen jetzt die Deutungshoheit über ihre Marke zurückgewinnen“, sagt Hillje im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Der Wahlkampf für die Grünen starte schon „jetzt“, so Hillje.
Die FDP befinde sich hingegen derzeit „in einer Art Todesdilemma“, meint Schroeder. Selbst bei einem Koalitionsbruch würde man den Liberalen nicht das Image des „Ampel-Killers“ gutschreiben, sagt der Politikwissenschaftler, „ebenso wenig wie wenn sie jetzt in der Koalition bleiben“. Die FDP habe schlicht und einfach „die Chancen verpasst, aus dieser Ampel auszutreten“. Auch Markus Söder (CSU) erkannte die verzwickte Lage der FDP und nannte einen möglichen Austritt „Selbstmord aus Angst vor dem Tod“.
Bruch der Ampel-Koalition droht: Experte sieht FDP „in babylonischer Gefangenschaft ihres Führers Lindner“
Sollte es „wider Erwarten“ nicht zu einer Auflösung der Ampel-Koalition kommen, wäre die Neuaufstellung der Grünen „ja ein nicht unwichtiger Baustein, um sich für die Wahl im Herbst 2025 besser aufzustellen“, sagt Schroeder. Der Zeitpunkt des Rücktritts von Ricarda Lang und Omid Nouripour sei daher „gut gewählt“, wenn auch wahrscheinlich nicht unbedingt langfristig geplant. Zwar seien die Wahlniederlagen im Osten zu erwarten gewesen, nicht aber, dass man in Brandenburg gänzlich aus dem Parlament fliegt. Das habe vor allem mit dem „erblassten Stern“ der Partei zu tun.

Für den gelben Koalitionspartner sieht es hingegen noch düsterer aus. In Sachsen und Brandenburg passierten die Liberalen nicht einmal die Ein-Prozent-Marke, in Thüringen gelang das noch haarscharf. Von einer Neuausrichtung oder personellen Veränderungen hört man bislang aber nichts. „Wenn man jetzt die FDP auf der einen Seite sieht, die gefangen ist in der babylonischen Gefangenschaft ihres Führers Lindner und keinen Mut hat, sich zu bewegen, dann ist der Zeitpunkt bei den Grünen schon interessant. Damit hat man wirklich eine Gegenfolie zur erstarrten und selbstbezogenen Verhalten, das die FDP ausstrahlt“, sagt der Politikwissenschaftler.
Lärm aus der Opposition: Baerbock sieht auch Signal an die Ampel-Koalition
Die Reaktionen auf den Rücktritt der Grünen-Parteiführung sind zweigeteilt. Während Ricarda Lang und Omid Nouripour – teils auch von der Opposition – Respekt für den drastischen Schritt gezollt bekommen, fordert die CSU gar den Rücktritt von Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock.
Letztere hatte sich bereits geäußert und betont, sie siehe in dem Rücktritt auch ein Signal an die Bundesregierung. „Auch wir in der Regierung müssen uns fragen, wie wir besser werden können“, sagte Baerbock am Rande der UN-Generalversammlung in New York. Es gehe nun darum, „das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückzugewinnen“. Sie fügte hinzu: „Wir alle, die wir für die Grünen und dieses Land Verantwortung tragen, müssen uns fragen, was wir anders machen können und müssen.“
Gleichzeitig sei die „Größe und Stärke“ ihrer Parteikollegen erwähnt. Dem wahrscheinlichen Grünen-Kanzlerkandidaten Robert Habeck sagte Baerbock ihre Unterstützung zu. „Auf seinem Weg und dem kommenden Parteitag werde ich ihn mit aller Kraft und ganzem Einsatz unterstützen“, sagte sie. „Gemeinsam, und nur gemeinsam, können wir Grüne eine starke Stimme in Deutschland und für Deutschland in Europa und der Welt sein“, so Baerbock. Es wird sich zeigen, ob Habeck – dann als Kanzlerkandidat – wie geplant im Herbst 2025 oder bereits früher ins Rennen gehen wird. (nak)