Bergrettungs-Chef erklärt, was Dahlmeiers Überlebenschancen erhöht
- Im Video oben: Der Karakorum - Das ist das Gebirge, in dem Laura Dahlmeier verunglückte
Seit nunmehr zwei Tagen wird die deutsche Ex-Top-Biathletin Laura Dahlmeier (31) am Laila Peak (6096 Meter) im Karakorum vermisst. Sie soll dort am Montagmittag während einer Bergsteigertour mit einer Freundin auf einer Höhe von rund 5700 Metern in einen Steinschlag geraten und verletzt worden sein.
Rettungseinsätze in dieser Höhe und einem Land wie Pakistan gelten als extrem kompliziert. FOCUS online hat mit Anjan Truffer, Chef der Bergrettung in Zermatt, über die besonderen Herausforderungen und Überlebenschancen der Sportlerin gesprochen. Truffer leitete im April 2018 auch die Bergrettungssuche nach dem in Zermatt verschollenen Tengelmann-Erben Karl-Erivan Haub.
FOCUS online: Herr Truffer, wie stehen die Überlebenschanchen für Laura Dahlmeier, die als sehr erfahrene und besonnene Alpinistin gilt?
Anjan Truffer: Aus der Entfernung ist es natürlich schwierig, da eine Einschätzung vorzunehmen. Bei einer solchen Rettung spielt der Zeitfaktor eine wichtige Rolle. Wir wissen, dass es in diesen Gebieten der Welt keine professionelle Rettung wie in den Alpen gibt.
Zwar ist nun mit Thomas Huber ein erfahrener Bergsteiger vor Ort, der sich gut auskennt und weiß, wie vorzugehen ist. Er kann die Rettungsaktion sicher ein bisschen steuern. Aber im Karakorum dauert alles länger als in den Alpen, allein schon, weil die Entfernungen dort extrem groß sind.
Auf welche Faktoren kommt es im Detail bei der Rettung an?
Truffer: Der erste große und wichtige Unterschied zu einer Alpen-Rettung ist, dass die Hubschrauber in Pakistan oft lange Anflugszeiten zu den Unfallorten haben. Außerdem verfügen die Piloten nicht über die gleiche Erfahrung wie unsere Kräfte hier in den Alpen.
Darüber hinaus muss in großer Höhe gearbeitet werden, was den Einsatz der Hubschrauber wegen der dünneren Luft und dem daraus resultierenden geringeren Auftrieb für die Rotorblätter erschwert. Und die Helikopter haben sicher nicht alle die gleichen technischen Standards wie unsere, die mit Longline und Winden herumfliegen können.
Wie entscheidend ist das Wetter für die Überlebenschancen?
Truffer: Das Wetter ein wichtiger Faktor. Wenn die Temperaturen in der Nacht auf minus acht Grad runtergehen, wie das dort oben offenbar der Fall ist, kann ein Mensch das vielleicht eine Nacht überleben, wenn er irgendwo mit einer Verletzung ausharren muss. Aber zwei Nächte, das wird sehr schwierig.
Nach einer Nacht, das muss man leider realistischerweise sagen, sinken die Überlebenschancen mit jeder Stunde, wenn man nicht die entsprechende Ausrüstung dabei hat. Sowohl in der Nacht als auch bei Tag.
Wie stark können Verletzungen die Situation verkomplizieren?
Truffer: Natürlich hängen die Überlebenschancen ganz entscheidend von Art und Schweregrad der Verletzungen ab. Ein großer Vorteil wäre in jedem Fall, wenn Laura Dahlmeier sich durch Bewegung warmhalten könnte und sich vielleicht mit Hilfe eines Biwaksacks oder einer Überlebensfolie schützen könnte. Ein Bonus ist sicher, dass sie eine sehr erfahrene und sehr gut trainierte Bergsteigerin ist. Das erhöht ihre Chancen beträchtlich.
Die Freundin von Laura Dahlmeier hat den Abstieg bis zum Basiscamp geschafft. Wie steht es um eine Rettung zu Fuß, die jetzt offenbar eingeleitet wurde?
Truffer: Das ist noch mal eine andere Geschichte. Wie gesagt, es ist hoch, das Gelände weitläufig. Zu Laura Dahlmeier zu gelangen, ist offensichtlich sehr gefährlich, und die Retter müssen aufpassen, dass sie sich nicht selbst in Gefahr bringen und die Situation noch schlimmer machen, als sie ohnehin ist.
Leider gibt es im Himalaya und Karakorum immer viele Fälle, in denen Vermisste nicht mehr auftauchen und zurückgebracht werden können. Es eine tragische Situation. Für die Familie, für die Angehörigen und die Freunde tut mir das alles sehr leid.