Manöver nach Tanker-Beschlagnahme: Putin kreuzt in Ostsee auf

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Abschuss eines Hyperschall-Marschflugkörpers vom Typ Zircon von einem Schiff
Putins neues Seeungeheuer: Hyperschall-Marschflugkörper vom Typ Zircon. Anlässlich der Paraden zum Tag der russischen Marine im Juli 2022 in St. Petersburg kündigte er an, dass er Russland – auch dank der neuen Marschflugkörper – wieder zur Seemacht ausbauen werde. Jetzt hat die Baltische Flotte in der Ostsee ihr jüngstes Manöver abgehalten. © IMAGO / Cover-Images

Offensive gegen US-Schiffe und Verteidigung gegen U-Boote – was Russland in der Ostsee als Übung ausgibt, ist nichts anderes als reines Machtgehabe.

Moskau – „Russland wird die Lage im Schiffsverkehr in der Ostsee beobachten und auf jeden konkreten Fall einer Festsetzung oder Inspektion von Schiffen dort oder anderswo im Weltmeer reagieren“, sagte Maria Sacharowa, Wie die russische Nachrichtenagentur Tass die Sprecherin des russischen Außenministeriums weiter zitierte, stellten diese nach Meinung des Kremls einen Verstoß gegen die Normen des internationalen Seerechts hinsichtlich der Freiheit der Seeschifffahrt dar.

Jetzt hat die Nato gehandelt, und Russlands Präsident Wladimir Putin reagiert mit seiner Baltischen Flotte – Moskau trumpft auf in der Ostsee.

Wie unter anderem das Fachportal Naval News meldet, haben ein Teil der Baltischen Flotte und andere Schiffe Russlands Ende vergangenen Monats ein Manöver abgeschlossen. Zweck der Übung zwischen dem  16. und 23. April 2025 seien die Eskorte und der Schutz ziviler Schiffe sowie deren Verteidigung gegen Angriffe durch unbemannte Luftfahrzeuge, unbemannte Überwasserfahrzeuge, konventionelle Überwasserkriegsschiffe und U-Boote gewesen, wie das Magazin berichtet. Nach Angaben der baltischen Flotte seien 20 Kriegs- und Versorgungsschiffe sowie 5.000 Soldaten an der Übung beteiligt gewesen. Das Verteidigungsministerium des russischen Präsidenten Wladimir Putin meldet, es seien mindestens elf Kriegsschiffe der Baltischen Flotte beteiligt gewesen sein.

Ostsee: Nato-Binnenmeer wichtig für Russland als Bühne „militärischer Schauspiele und Operationen“

Den Grund sehen Beobachter vordergründig in einem konsequenteren Vorgehen der Ostsee-Anrainer gegen Russlands Schattenflotte: Am 21. März hat Deutschland den unter panamaischer Flagge fahrenden Tanker Eventin beschlagnahmt und seine Ladung von 100.000 Tonnen Rohöl im Wert von rund 40 Millionen Euro in eigenen Besitz gebracht, wie die Naval News schreibt; ebenso berichtet das Magazin davon, dass Estlands Marine am 11. April den russischen Öltanker Kiwala aufgebracht hatte, ihn aber nach Beseitigung von mehreren Mängeln am 26. April wieder in Richtung des Hafens Ust-Luga hat ziehen lassen.

„Die Ostsee wirkt bereits seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine im Jahr 2014 wie ein Brennglas der angespannten Beziehungen zwischen der Nato und der Russischen Föderation“

Wichtiger aber ist, dass der Beitritt Finnlands und Schwedens in die Nato Russland aus der Ostsee herausgedrängt habe. Damit werde das neue Nato-Binnenmeer noch wichtiger für Russland als Bühne „militärischer Schauspiele und Operationen“ – wie Flemming Splidsboel Hansen formuliert. Laut dem Autor des Thinktanks Danish Institute for International Studies reichen die militärischen Aktivitäten Putins und seiner Armee inzwischen von vollständig angekündigten Übungen bis hin zu verdeckten Aktionen beispielsweise Sabotage-Akte.

André Uzulis urteilt, Moskau versuche seine verschlechterte strategische Position durch zunehmende Aggressivität auszugleichen, wie er im Bundeswehr-Reservistenmagazin loyal ausbreitet. Die Ostsee bildet inzwischen die Nahtstelle zwischen einer deutlich verstärkten Nato sowie eines Russlands unter Putins Herrschaft, der durch die Verstärkung der Verteidigungs-Allianz durch Schweden und Finnland die erste krachende strategische Niederlage im Zuge des Ukraine-Krieges hat erleiden müssen. „Die Ostsee wirkt bereits seit Beginn der russischen Invasion der Ukraine im Jahr 2014 wie ein Brennglas der angespannten Beziehungen zwischen der Nato und der Russischen Föderation“, zitiert loyal den Politikwissenschaftler Julian Pawlak vom Bundeswehr-Thinktank GIDS in Hamburg.

Putins Affront gegen die Nato: Die Übung scheint rein offensiver Natur gewesen zu sein

Schon 2016 hätten russische Bomber vom Typ SU-24 den US-Lenkwaffenzerstörer USS Donald Cook in der Ostsee überflogen, erinnert Pawlak im Gespräch mit loyal. „Erhöht wird diese Gefahr noch dadurch, dass Russland bestrebt ist, die Seegrenzen zu verschieben und somit Unklarheit schafft, wo internationale Regeln überhaupt noch gelten“, schreibt Uzulis. Aufgrund der kritischen Infrastruktur in der Ostsee-Region scheint sie für Putins Ambitionen ideal geschaffen: Jede Störung könnte mehrere Nato-Länder betreffen – eine Taktik mit geringem Risiko und hoher Rendite für böswillige Akteure, die jeden Zusammenhang damit glaubhaft abstreiten können, wie die Financial Times (FT) formulierte.

Die Nato verstärkt ihre Militärpräsenz im Hinblick auf das, was erwartbar beziehungsweise zu befürchten ist. „Es ist ein gefährliches Spiel“, sagte Gabrielius Landsbergis gegenüber der FT. „Wir verschieben stärkere Maßnahmen, Russland eskaliert erneut“, so Litauens ehemaliger Außenminister. Frederik Van Lokeren berichtet, dass das jüngste russische Manöver durchaus aggressive Züge getragen habe – in drei separaten Phasen von Überwasserkämpfen, die Reaktion auf US-Schiffsangriffe und auf U-Boote.

Wie der ehemalige Leutnant der belgischen Marine andeutet, seien in die U-Boot-Abwehr auch Erfahrungen aus dem Ukraine-Krieg eingeflossen, was er aus russischen Berichten herausgelesen haben will; womöglich haben Putins Truppen inzwischen Wege finden müssen, um auch mit Marine-Drohnen fertig zu werden, und wenden diese Fertigkeiten jetzt auch auf die U-Boot-Jagd an. Laut von Lokeren sei die Eskorte ziviler Schiffe ohnehin lediglich Tarnung für das Manöver gewesen: Die Übung scheint rein offensiver Natur gewesen zu sein, da keine Berichte darüber vorliegen, dass die Baltische Flotte Verfahren zur tatsächlichen Eskorte von Schiffen oder zur Organisation von Konvois einführt“, wie er in der Naval News schreibt.

Nato-Rolle in Ostsee: Eine Passage an der russischen Oblast Kaliningrad vorbei erzwingen

Tatsächlich haben sich die Aufgaben-Portfolios der gegnerischen Seestreitkräfte vom Kalten über den Ukraine-Krieg bis zu einem wirklich heißen gesamteuropäischen Konflikt fundamental geändert. Anders als bisher muss die Nato aus ihrer defensiv-reaktiven Rolle heraustreten und eine offensiv-aktive einnehmen, wie bereits vor dem Nato-Beitritt Finnlands und Schwedens Felix K. Chang schrieb: Im Zuge des Kalten Krieges hatten die Nato-Seestreitkräfte die östlichen Zugänge zum Kattegat zu schützen, um den Durchbruch der Baltischen Flotte zum Nordatlantik zu verhindern, beispielsweise durch Minensperren.

„Heute hingegen könnten sie dazu aufgefordert werden, eine Passage an der russischen Oblast Kaliningrad vorbei zu erzwingen, um Verstärkung nach Estland, Lettland und Litauen zu liefern“, kommentierte der Analyst des US-amerikanischen Thinktanks Foreign Policy Research Institute (FPRI) die Lage – drei Monate, bevor sich mit dem Überfall auf die Ukraine Changs Prognose bewahrheitete. Ihm zufolge könnte Putin seinerseits versuchen, den Nato-Truppen den Zugang zur Ostsee so lange zu verwehren, bis russische Bodentruppen Ziele im Baltikum eingenommen hätten – für die Nato eine immense Herausforderung. Die aktuelle Übung Russlands könnte insofern eher diesen Grund gehabt haben.

Lehre aus Ukraine-Krieg: „Nur echte, tatsächlich vorhandene Fähigkeiten schrecken ab“

Eines der verdeckten Ziele könnte auch gewesen sein, Angriffsoperationen in Richtung Gotland zu üben. Die schwedische Insel in der Ostsee nahe des russischen Verwaltungsbezirks Kaliningrad mitsamt seiner mindestens 25.000 Kräfte umfassenden Militärpräsenz, seinen Radar- und Raketenstellungen sowie dem einzigen eisfreien Hafen der Baltischen Flotte gilt als Stachel in Russlands Fleisch und gleichzeitig als Einfallstor Russlands ins Baltikum. Sollte Russland Gotland erobern, würden dort starke Luftabwehr-Verbände stationiert werden, der Luftraum über der Ostsee wäre der Nato verwehrt und das Baltikum von jeglicher Verstärkung abgeschnitten.

Wie das zu verhindern wäre, hatte schon Ende 2022, also im ersten Jahr des Ukraine-Krieges der Bundeswehr-Verband skizziert – speziell von der Bundeswehr und dem Material, das notwendig wäre. Die Marine kalkuliert in der Baltischen Flotte mit 25 Überwasserfahrzeugen, die sie bekämpfen müsste, exklusive Landungsbooten und Minensucher. Hans-Peter Bartels rechnet dabei statt mit Seegefechten eher mit einer Verteidigung aus der Luft durch „Luftstreitkräfte mit Jagdbombern und Drohnen sowie auch Cruise Missiles und anderen landgestützten Flugkörpern“, wie der ehemalige Wehrbeauftragte mutmaßte.

Bartels sah als größte Bedrohung weniger die russischen Überwasserschiffe, sondern deren Raketenkapazitäten, genauso wie die der russischen U-Boote. Ihn führte das zur deshalb zur Forderung nach zusätzlichen Einheiten zur U-Boot-Jagd und zur Raketenabwehr – die aber auch defensiv von leistungsfähigen Fregatten aus, wie er gegenüber dem Verbands-Organ Der BundeswehrVerband gefordert hat: „Nur echte, tatsächlich vorhandene Fähigkeiten schrecken ab. Das heißt auch: Es eilt.“

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