Von Krankheit aus der Bahn geworfen: Das harte Schicksal einer Corona-Heldin

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An vorderster Front in der Pandemie: Michaela Andersch-Steer half bei der Impfaktion in Olching. Wenige Monate später infizierte sie sich selbst. © Archiv

Vor fünf Jahren wurde die Pandemie ausgerufen. Die Olchingerin Michaela Andersch-Steer half in erster Reihe, die Corona-Krise zu bewältigen. Doch dann wurde ausgerechnet sie zu einem der größten Opfer: Long Covid zerstörte ihr Leben, wie sie es bisher kannte. Ihre Arbeit kann sie nicht mehr ausüben.

Früher war Michaela Andersch-Steer nicht zu bremsen. Jetzt geht nichts ohne die Lippenbremse. Das ist eine bestimmte Atemtechnik. Die 52-Jährige nutzt sie, wenn sie eine Treppe hinaufgeht. Stufe um Stufe, Lippe spitzen, langsam ausatmen. So hält sie den Puls unten und vermeidet den Kollaps, den sie Crash nennt. „Es geht nicht mehr anders“, erklärt die Olchingerin. Sie lächelt und seufzt. Was soll sie auch sonst tun, seit Corona sie völlig aus der Bahn geworfen hat.

Tapfer gegen Impf-Gegner

Vor fünf Jahren, als die Pandemie ausgerufen wurde, war die medizinische Fachangestellte an vorderster Front dabei, diese zu bekämpfen. Sie hatte schon in der Flüchtlingskrise geholfen, so kam der Kontakt zum BRK zustande. Die Olchingerin arbeitete im Impfzentrum, zusätzlich zu ihrer Tätigkeit in der Klinik.

Sie krempelte Ärmel hoch, als es Impf-Aktionen in ihrer Heimatstadt gab, stellte sich tapfer gegen Impfgegner und Fake News, wie die implantierten Chips. „Ich habe den Impfstoff selber aufgezogen. Also, ich habe es selber angemischt. Nein, es ist nichts drinnen gewesen.“ Die Frau mit den blonden Locken versprühte engelsgleich Alles-wird-gut-Optimismus. Sie konnte nicht wissen, dass das für viele gelten würde – nur nicht für sie selbst.

Sie war 16 Tage lang positiv

Die Mutter von vier erwachsenen Kindern infizierte sich am Valentinstag 2022, einen Tag nach ihrem Geburtstag. Bei der Arbeit, trotz Schutzkleidung. „Ich konnte es gar nicht glauben. Ich dachte, ich bin immun-immun-immun.“ Sie sei mit so viel Impfstoff in Kontakt gekommen. Die Symptome waren heftig. Sie hatte die ganze Liste, sagte sie: von Magen bis Kopf, Fieber, Gliederschmerzen und Geschmacksverlust.

Michaela Andersch-Steer Profil Nicht genesen
Michaela Andersch-Steer Profil Selbsthiflegruppe Nicht genesen © Andersch-Steer

Die 52-Jährige war ganze 16 Tage lang positiv. Sie konnte nur liegen. Es wurde nicht besser. Irgendwann startete sie zwei Arbeitsversuche. Doch es ging nicht. „Ich habe früher alles zack zack gemacht. Plötzlich konnte ich mir nichts mehr merken.“ Sie zog die Notbremse. Ihrer Arbeit kann sie seit drei Jahren nicht nachgehen.

Die Diagnose: Long Covid. Zuerst dachte sie: Da werden sie auch etwas gegen finden, so wie bei den Impfstoffen, sie vertraute. Bis heute vergebens.

Michaela Andersch-Steer Porträt
Sie stylt sich aus Selbstschutz: Sich nur verkriechen, kommt für die Olchingerin nicht infrage. © Andersch-Steer

Es folgten Therapien, teils weiter weg, sie selbst konnte aber nicht dorthin fahren, die Familie musste helfen. Die 52-Jährige kam in eine Reha der Berufsgenossenschaft in Bad Reichenhall. „Immerhin wurde anerkannt, dass es eine Berufskrankheit ist“, sagt die Olchingerin. Nicht alles lief so reibungslos: Andersch-Steer wartet seit zwei Jahren auf einen Gutachtertermin, um als Erwerbsunfähige finanzielle Unterstützung zu erhalten, wie sie sagt.

Wäsche waschen kaum zu bewältigen

Abgesichert ist sie durch ihre Familie. Sie ist ihrem Mann Christian dankbar für seine große Hilfe. Und den Robotern. Sie wischen und saugen in jedem Stockwerk. Der Haushalt wurde zur Mammutaufgabe. „Ich gehe Wäsche waschen, lege mich wieder hin. Wenn der Wäschetrockner fertig ist, gehe ich runter, hole die Wäsche rauf, setze mich hin, lege die Wäsche zusammen und lege mich danach wieder hin, weil ich fertig bin. Vom idiotischen Wäschezusammenlegen.“ Es klingt Verbitterung durch.

Michaela Andersch-Steer Corona krank
Corona erwischte sie schlimm: Die 52-Jährige, als sie nur noch auf der Couch liegen konnte. © Andersch-Steer

Aber sie versucht, sich zu arrangieren. Sie hat 26 Kilo abgenommen. „Das ist bewusst passiert, mit Ernährungsumstellung, weil ich mich so unwohl gefühlt habe.“ Wenn sie mal etwas bessere Tage hat, richtet sie sich her, schminkt sich, zieht sich schick an. So geht es zum Beispiel in den Stadtrat, Andersch-Steer sitzt in der SPD-Fraktion. „Ich zeige mich so, wie ich gesehen werden will, egal wie es mir dabei wirklich geht.“ Die Politik ist Ehrensache, ist doch ihr Vater Georg in Olching dafür bekannt gewesen, bevor er verstarb.

Zuspruch in einer Selbsthilfegruppe

Die einstige Powerfrau will Covid nicht gewinnen lassen. Sie geht zum Fasching mit ihren Kindern und Enkeln, hüpft da einmal im Kreis. Dann liegt sie drei Tage flach. Genauso ist es beim Männerballett, Geburtstagen, Starkbierfest. Aber: „Ich will einmal mit meinem Mann tanzen.“

Zuspruch findet sie in der Nicht-Genesen-Gruppe. Am heutigen Samstag, 15. März, ist ein Aktionstag, der auf Schicksale wie das von Andersch-Steer aufmerksam machen soll. Sie wird noch einmal in die Klinik nach Bad Reichenhall gehen. Das habe schon geholfen, sagt sie. Und wenn man mit Lippenbremse unterwegs ist, dann zählt jeder Schritt, ist er auch noch so klein.

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