Ukraine-Friedensgespräche in Istanbul: Wie Erdogan seine „Dealmaker“-Rolle ausnutzt
Die Türkei spielt bei Verhandlungen im Ukraine-Krieg eine zentrale Rolle. Und das weiß Präsident Erdogan für sich zu nutzen. Türkei Experte Eren Güvercin im Interview.
Istanbul – Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Türkei als Austragungsort für die Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg ausgewählt worden sind. Zum einen gelten der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und der russische Präsident Wladimir Putin als enge Vertraute. Doch auch für Europa könnte die Türkei eine Brücke zwischen Ost und West bedeuten.
Als einer der größten Profiteure könnte jedoch Erdogan selbst aus den möglichen Friedensgesprächen hervorgehen. „Erdogan versucht, auch aufgrund der innenpolitischen Lage, ein Stück weit als Dealmaker aufzutreten“, erklärt der Türkei-Experte Eren Güvercin im Interview mit fr.de von IPPEN.MEDIA. Daher sei es wenig verwunderlich, dass der türkische Präsident erneut zu den „Istanbuler Friedensgesprächen“ geladen habe.
„Istanbuler Friedensgespräche“ – Experte erklärt Rolle der Türkei und Erdogan bei Ukraine-Verhandlungen
Es sind nicht die ersten Gespräche in Istanbul über ein mögliches Ende des Ukraine-Kriegs. Bereits zu Beginn des russischen Überfalls hatten sich Vertreter beider Länder in der Türkei getroffen. Allerdings ohne echte Ergebnisse. „Sie haben als Vorbedingung eines Friedens im Grunde genommen die Kapitulation der Ukraine gefordert“, erklärt Güvercin weiter.
Doch warum finden diese Gespräche ausgerechnet in der Türkei statt? Der Journalist und Mitbegründer der Alhambra-Gesellschaft sieht die Türkei mit Blick auf den Ukraine-Krieg in einer Sonderrolle. „Die Türkei ist das einzige Nato-Mitgliedsland, dass bei den Sanktionen gegen Putin nicht mitgezogen ist“, so Güvercin. Vielmehr habe die Regierung unter Erdogan „sogar das Verhältnis zu Russland aufrechterhalten und sogar ausgebaut“. Russland umgehe demnach auch westliche Sanktionen „über die Türkei“.
Gleichzeitig liefert Istanbul Waffen und Hilfsgüter an die Ukraine. „Vor allem durch seine Drohnen“ unterstütze Erdogan die ukrainischen Streitkräfte unter Präsident Wolodymyr Selenskyj, erklärt Güvercin. Die Türkei nimmt im Krieg zwischen Russland und der Ukraine also eine Doppelrolle ein.
Erdogan als Brückenbauer im Ukraine-Krieg: Wie er die Friedensverhandlungen für sich zu nutzen weiß
Die Türkei sind Beitrittskandidat für die Europäische Union – „formell“, wie Güvercin im Gespräch mit unserer Redaktion anmerkt. Und gegenüber der EU und auch der Nato versuche sich das Land über die Austragung der Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg als „unverzichtbarer Partner“ darzustellen. Auch die Abhängigkeit der EU in der Migrationsfrage nutze der türkische Präsident regelmäßig als eine Art Druckmittel.
Das könne sich auch auf die Betrachtung der türkischen Innenpolitik auswirken, so Güvercin. „Es wird spannend sein, wie man einerseits weiter auf die antidemokratischen Entwicklungen in der Türkei hinweist und darauf aufmerksam macht. Auf der anderen Seite muss man natürlich auch mit der Türkei gerade migrationspolitisch und sicherheitspolitisch auf einen gemeinsamen Nenner kommen.“
Das stelle Europa vor eine große Herausforderung. Gerade mit Blick auf den Krieg im Nahen Osten habe sich Erdogan als Verfechter der Terrororganisation Hamas aufgespielt. Und auch die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoğlu sei ein Beispiel dafür, dass Erdogan den türkischen Staatsapparat „in eine ganz klar antidemokratische Richtung“ umbaue, erklärt Güvercin.
Erdogan vermittelt bei Ukraine-Friedensverhandlungen: „Ohne uns geht es nicht mehr“
„Erdogan versucht diese Position der Stärke innenpolitisch zu inszenieren“, erklärt der Türkei-Experte weiter. Den Bürgerinnen und Bürgern der Türkei wolle er damit vermitteln: „Die Türkei ist wieder jemand auf dem internationalen Parkett, ohne uns geht es nicht mehr.“ Und in den türkischen Medien dominiere diese Darstellung des Präsidenten, was dieser wiederum gegen seine Gegner in der Opposition zu nutzen wisse.
Und zumindest unter den Anhängern des türkischen Präsidenten scheint diese Taktik auch aufzugehen. „Aber die innenpolitischen Realitäten sind natürlich komplexer als es die in großen Teilen gleichgeschalteten Medien in der Türkei darstellen“, erklärt Güvercin. Die Menschen in der Türkei würden unter der ökonomischen Situation und der Verfolgung Andersdenkender leiden und sich zunehmend gegen die eigene Regierung stellen. Das sei auch an den jüngsten Massenprotesten gegen Erdogan zu beobachten.
Ende des Ukraine-Kriegs – Putin hat sich mit Istanbul-Gesprächen verzockt
Abgesehen von der politischen Situation selbst schaut die Welt mit Spannung auf die möglichen Verhandlungen in Istanbul. Doch Eren Güvercin glaubt kaum, dass es bei den „Istanbuler Gesprächen“ zu einer Einigung kommt. Vielmehr scheint es so, dass sich Putin mit dem Vorschlag zu Verhandlungen verzockt haben könnte.
„Es war ja sehr mutig und auch klug, von Selenskyj zu sagen, an mir wird es nicht scheitern, ich werde in Istanbul auf Putin warten“, so Güvercin. „Jetzt ist natürlich Putin unter Druck: Wenn er fernbleibt, droht er Trump zu verlieren, weil Trump sich dann vielleicht sagen wird: ‚Alles klar, Putin hat kein Interesse an einem Deal‘.“ Putins „Ass im Ärmel“ scheint damit „nach hinten losgegangen zu sein“. Und weil westliche Staaten wie Deutschland unter Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bereits neue Sanktionen angekündigt haben, sollte Russland nicht zu Verhandlungen bereit sein, stehe der russische Präsident zunehmend unter Druck. Zudem sei es noch abzusehen, ob Putin überhaupt zu dem Treffen erscheint. (nhi)