Erfurter Autofahrer muss nach 96 „Knöllchen“ für 3 Jahre in Haft

Die Polizei in Erfurt (Thüringen) hat vergangene Woche einen Mann festgenommen, der durch außergewöhnliche Rechtsbrüche aufgefallen war. Schier unglaublich: Gegen den 56-Jährigen lagen insgesamt 96 Haftbefehle vor! Dabei ging es um ein eher mildes Delikt. Der Mann hatte seine Parktickets nicht bezahlt. Nun sitzt er – voraussichtlich mehrere Jahre – im Gefängnis.

Zwar gab die zuständige Polizeibehörde eine knappe Pressemeldung zu dem bizarren Kriminalfall heraus. Doch die Hintergründe blieben unklar. 

Viele Menschen fragten sich: Warum muss man wegen nicht bezahlter Strafzettel ins Gefängnis und kann man sich dagegen wehren? Warum stellt die Justiz fast 100 Haftbefehle aus? Und warum wurde der Täter nicht früher gestoppt?

Erfurt: Fast 100 Haftbefehle gegen „Knöllchen-Rebell“

FOCUS online hat die Hintergründe des spektakulären Krimis und dessen Entstehungsgeschichte recherchiert. Abgesehen davon, dass man sich als normal denkender Mensch an den Kopf greift – der Fall dient als abschreckendes Beispiel, wie rigoros der Staat im Ernstfall gegen renitente Zahlungsverweigerer durchgreift.

Im konkreten Fall hatte der Mann sein Auto in den Jahren 2022 und 2023 regelmäßig in Thüringens Landeshauptstadt Erfurt abgestellt, ohne die fälligen Parkgebühren zu zahlen. Am Ende liefen bei der Stadt 96 solcher Verstöße auf. Die Bußgeldstelle erließ dementsprechend 96 Bußgeldbescheide gegen den säumigen Zahler.

Der Betrag, den er den städtischen Parkplatzbetreibern schuldete, belief sich irgendwann auf eine fünfstellige Summe. Mehr als 43.000 Euro Bußgelder kamen zusammen, dazu Auslagen und Gebühren von knapp 4700 Euro, insgesamt also knapp 50.000 Euro. 

Bußgelder in Höhe von rund 50.000 Euro nicht bezahlt

Weil der Betroffene keine Zahlungen leistete, wandte sich die Bußgeldstelle schließlich an die Justiz – und stellte beim Amtsgericht Erfurt 96 Anträge auf Anordnung von Erzwingungshaft. Das Amtsgericht Erfurt hat daraufhin ab Oktober 2024 mit insgesamt 96 Beschlüssen die Erzwingungshaft gegen den Betroffenen angeordnet. 

Nachdem sämtliche Beschlüsse im Juni 2025 rechtskräftig geworden waren, wurde der Betroffene durch die Staatsanwaltschaft Erfurt zum Strafantritt geladen. Dabei belehrte man den Übeltäter, dass er die Haft durch sofortige Zahlung der Bußgeldforderungen oder durch Stellung eines Antrags auf Ratenzahlung bei der Bußgeldstelle abwenden könne.

„Da sich der Betroffene nicht freiwillig zum Strafantritt gestellt und auch keinen Ratenantrag bei der Bußgeldstelle gestellt hat, hat die Staatsanwaltschaft Erfurt Anfang August insgesamt 96 Erzwingungshaftbefehle gegen den Betroffenen erlassen, für jeden Bußgeldbescheid jeweils einen selbstständigen Haftbefehl“, so eine Sprecherin der Behörde zu FOCUS online. „Die Polizei hat diese Haftbefehle binnen einer Woche vollstreckt und den Betroffenen festgenommen.“

Täter in Erzwingungshaft – laut Polizei für „mehr als drei Jahre“

Der Mann sitzt nun in sogenannter Erzwingungshaft – laut Polizei für „mehr als drei Jahre“. Auf die Frage von FOCUS online, ob der Inhaftierte das Gefängnis sofort verlassen dürfe, falls er seine „Schulden“ von knapp 50.000 Euro zahlen würde, sagte die Sprecherin der Erfurter Staatsanwaltschaft: „Ja, dann würde die Staatsanwaltschaft auf Veranlassung der Bußgeldstelle unmittelbar seine Freilassung veranlassen.“

Nach dem Verbüßen der Haftstrafe sind die Bußgelder übrigens nicht automatisch „abgegolten“, sondern müssen weiterhin bezahlt werden. Denn bei der Strafe (Erzwingungshaft), die der Mann aus Erfurt verbüßen muss, handelt es sich nicht um eine Ersatzfreiheitsstrafe. Die Haft ist also keine Strafe für die begangene Ordnungswidrigkeit, sondern stellt ein Beugemittel dar, um die Zahlung der Geldbuße zu erzwingen.

Damit ist der zeitliche Ablauf des ungewöhnlichen Vorgangs zwar geklärt. Dennoch bleibt die Frage: Wie kann es sein, dass über zwei Jahre Bußgeldforderungen für Parkverstöße auflaufen können, ohne dass die ausstehenden Gelder mit Zwangsmaßnahmen eingetrieben werden? Auf Deutsch: Hätte der Erfurter Parksünder nicht früher gestoppt werden können?

Zum konkreten Fall wollte sich die zuständige Stadtverwaltung Erfurt aus Datenschutzgründen nicht äußern. Allerdings schilderte sie gegenüber FOCUS online den regulären Ablauf solcher Verfahren.

Hätte Parksünder nicht früher gestoppt werden können?

  • Demnach werden nach dem Erkennen des Parkverstoßes die notwendigen Daten (z. B. Tatzeit und -ort, amtliches Kennzeichen) dokumentiert, auch mit Fotos. Dann erfolgt eine Halterabfrage zum entsprechenden Fahrzeug. Schließlich wird an den Fahrzeughalter eine schriftliche Verwarnung mit Verwarnungsgeld versandt.
  • Nach Ablauf der Zahlfrist prüft die Verwaltungsbehörde, ob ein Bußgeldbescheid erlassen wird. Wenn der Betroffene das Bußgeld nicht zahlt und auch auf eine Mahnung nicht reagiert, wird das behördliche Vollstreckungsverfahren eingeleitet.
  • Legt der Betroffene Widerspruch gegen das Bußgeld ein, wird der Bescheid nicht rechtskräftig und kann nicht vollstreckt werden. In diesem Fall prüft die Verwaltungsbehörde, wie sie mit dem Bußgeldbescheid umgeht. Erhält sie ihn aufrecht, wird die Akte über die Staatsanwaltschaft an das Amtsgericht übersandt.
  • Werden parallel zum Bußgeldverfahren weitere Parkverstöße bekannt, werden in jedem einzelnen Fall weitere Bußgeldverfahren eröffnet. Diese Bußgeldverfahren können nicht zusammengefasst werden. Die Bildung einer Gesamtstrafe analog zum Strafrecht ist nicht vorgesehen.
  • Bevor ein Antrag auf Erzwingungshaft zulässig ist, muss die Beitreibung im Wege der Vollstreckung versucht worden sein, denn das ist das „mildere Mittel“. Diese kann jedoch ergebnislos verlaufen, etwa wenn der Betroffene pfandlos ist, es bei ihm also nichts zu pfänden gibt. 

Unterm Strich wird deutlich: Ehe man einen notorischen Zahlungsverweigerer in Erzwingungshaft stecken kann, müssen die Behörden etliche Hürden überwinden – ein Weg, der ganz im Sinne des Betroffenen ist. Die gesetzlichen Bestimmungen geben ihm mehrere Möglichkeiten, sich seiner Schuld zu entledigen. Wer das allerdings partout nicht will oder kann, muss mit der ganzen Strenge des Staates rechnen. 

Der „Knöllchen“-Rebell aus Erfurt bekommt genau das gerade zu spüren.

Strafzettel hinter der Windschutzscheibe - wichtige Tipps

Hier einige wichtige, vom ADAC zusammengestellte Tipps für den Fall, dass an Ihrem Auto mal ein Strafzettel („Knöllchen“) hinter der Windschutzscheibe klemmt.

Was kostet ein Knöllchen?

  • Das hängt vom jeweiligen Verstoß ab: Für kleinere Verfehlungen im Straßenverkehr gibt es ein Verwarnungsgeld von 5 bis 55 Euro. Anders als bei Bußgeldern, fallen im Verwarnungsverfahren auch keine zusätzlichen Verwaltungsgebühren in Höhe von 28,50 Euro an. Kommt zum Falschparken allerdings eine Behinderung oder Gefährdung hinzu, wird ein Bußgeld von 80 bzw. 90 Euro fällig und es wird ein Punkt in Flensburg eingetragen. 

Wer darf Strafzettel ausstellen?

  • Im öffentlichen Parkraum dürfen nur Ordnungsbehörden, etwa die Polizei oder das Ordnungsamt, Knöllchen verteilen. Aber Vorsicht: Nicht zu verwechseln ist dies mit der Verfolgung von Parkverstößen auf Privatgelände: Auf privaten Parkplätzen können sogenannte Parkraumbewirtschafter Vertragsstrafenverhängen, hierbei handelt es sich um Firmen ohne staatliche Befugnisse.

Was passiert, wenn Sie nicht zahlen?

  • Die Verwarnung kommt entweder mit der Post nach Hause oder Sie finden das Knöllchen direkt am Auto unter dem Scheibenwischer. Mit der fristgerechten Zahlung des Verwarnungsgeldes können Sie das Verfahren einfach und ohne zusätzliche Kosten beenden. In diesem Fall müssen Sie den Betrag vollständig und innerhalb der gesetzten Frist von meistens einer Woche bezahlen. Wenn Sie die Verwarnung nicht oder zu spät bezahlen, wird ein kostenpflichtiges Bußgeldverfahren eingeleitet.