5 gute Gründe, warum Selbstbefriedigung kein Tabu, sondern Selbstfürsorge ist

Julia, 46, erzählt: „Seit 8 Jahren lebe ich als Single. Sex habe ich keinen mehr. Eine Freundin hat mir geraten, ich solle mich zur Selbstbefriedigung einfach regelmäßig zwingen. Probiert habe ich es ein paar Male, aber jedes Mal abgebrochen. Irgendwie bin ich sexuell tot und möchte wieder am schönsten Spiel des Lebens teilnehmen. Was soll ich tun?“

Lustlosigkeit als stille Epidemie

Laut aktuellen Studien erleben immer mehr Frauen – unabhängig von Alter oder Beziehungsstatus – eine Phase sexueller Lustlosigkeit. Sie sind also mit dem Thema nicht allein. Besonders Singlefrauen berichten davon, über Jahre hinweg kaum oder gar keine Sexualität zu leben. In einer Welt, in der Selbstoptimierung bis ins Schlafzimmer reicht, klingt das fast wie ein Tabubruch: einfach keinen Sex zu haben. Doch für viele Frauen ist genau das Realität.

Dabei ist Sexualität – ob mit einem Partner oder allein – weit mehr als nur körperliches Vergnügen. Sie ist ein biologisches, psychisches und emotionales System, das unser Wohlbefinden unmittelbar beeinflusst. Die Forschung zeigt: Wer regelmäßig sexuelle Erregung erlebt, profitiert auf vielfältige Weise – körperlich, hormonell, seelisch. Und nein, das ist kein romantischer Mythos, sondern messbare Biochemie.

Regina Heckert ist Leiterin von BeFree Tantra, Sexualberaterin, Buchautorin und Expertin für die Lust der Frau. Sie ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen ihre persönliche Auffassung auf Basis ihrer individuellen Expertise dar.

Warum Lust gesund ist – 5 gute Gründe, öfter mal Ja zu sich selbst zu sagen

  1. Glückshormone auf Knopfdruck:

Beim Orgasmus werden Dopamin, Endorphine und Oxytocin ausgeschüttet – eine Mischung, die uns euphorischer, gelassener und belastbarer macht. Wer sich also regelmäßig hingibt, schenkt sich im Grunde kostenlose Stimmungsaufheller.

  • „Use it or lose it“ – der Muskel der Lust:

  • Wie ein Muskel will auch die sexuelle Lust trainiert werden. Wer über längere Zeit keinen sexuellen Reiz erlebt, dessen Erregungsfähigkeit kann tatsächlich nachlassen oder ganz verschwinden. Der Körper gewöhnt sich an den Ruhezustand. Umgekehrt gilt: Lust kommt von Lust. Selbst wenn der Anfang mühsam scheint – der Körper erinnert sich.

  • Selbsterkenntnis durch Selbsterotik:

  • Selbstbefriedigung ist kein Ersatz für Sex mit einem Partner, sondern ein Training der Selbstwahrnehmung. Frauen, die wissen, was sie erregt, können diese Erkenntnis auch in die Begegnung mit einem Partner einbringen – und kommunizieren klarer, was sie brauchen.

  • Regelmäßige Updates für die Libido:

  • Bedürfnisse verändern sich mit den Jahren. Was früher stimulierte, kann heute langweilen – und umgekehrt. Selbstbefriedigung ist eine Art „Systemcheck“: Bin ich noch verbunden mit meiner Lust? Fühlt sich mein Körper gut an? Was hat sich verändert?

  • Mehr Qualität beim Sex mit Partner:

  • Frauen, die sich selbst kennen, haben oft erfüllendere Sexualität mit einem Partner. Sie verlassen die Rolle der passiven Empfängerin und übernehmen Verantwortung für ihr Vergnügen – was wiederum beiden guttut.

    Der Frustfaktor: Wenn Lustlosigkeit zur Strategie wird

    Viele Frauen, die lange ohne Sexualität leben, berichten, dass sie irgendwann schlicht aufgehört haben, sie zu vermissen. Lustlosigkeit wird zur Gewohnheit – oder gar zur Strategie, um Frustration zu vermeiden. Wer nie (mehr) zum Orgasmus kommt, möchte sich dem Gefühl des Scheiterns nicht ständig aussetzen. Also lieber gar nicht.

    Doch genau hier beginnt der Teufelskreis: Das „Nicht-Tun“ verstärkt die Entfremdung vom eigenen Körper. Selbstbefriedigung wird zur peinlichen Pflicht oder zur Erinnerung an das, was man verloren hat. Dabei ist sie – richtig verstanden – kein Test, sondern eine Einladung. Eine Art liebevolles „Hallo“ an sich selbst.

    Und ja, manchmal darf man sich dazu ein wenig überreden. Nicht im Sinne von Zwang, sondern als Akt der Fürsorge: so, wie man sich an einem trüben Tag zu einem Spaziergang aufrafft, obwohl das Sofa lockt – und sich danach wunderbar fühlt.

    Selbstbefriedigung auch in der Partnerschaft: Treuebruch oder Selbstfürsorge?

    Ein häufiges Missverständnis: Wer sich selbst befriedigt, entzieht dem Partner etwas. Doch Selbstbefriedigung ersetzt keinen Partnersex – sie ergänzt ihn. Es geht nicht um Konkurrenz, sondern um Verbindung.

    Wenn eine Frau sich selbst befriedigt, heißt das nicht, dass sie den Partner „ausschließt“. Vielmehr bleibt sie mit ihrer eigenen Lust in Kontakt – und kann diese Lebendigkeit in die Beziehung hineintragen. Natürlich wäre es wenig hilfreich, wenn die Selbstbefriedigung den gemeinsamen Sex völlig verdrängt. Kommunikation ist hier entscheidend.

    In einer gesunden Partnerschaft kann man über solche Themen sprechen, ohne dass sie bedrohlich wirken. Im Gegenteil: Viele Paare berichten, dass Offenheit über Selbstbefriedigung ihre Sexualität belebt hat.

    Und für alle, die sich fragen, ob „zu viel Selbstbefriedigung“ schadet: nein. Anders als bei Männern, wo durch Ejakulation kurzzeitig ein hormoneller Libidoabfall entsteht, bleibt die weibliche Lustquelle dauerhaft offen. Das Reservoir ist unerschöpflich – theoretisch jedenfalls.

    Erotische Fitness: Der Jungbrunnen-Effekt

    Sexuelle Aktivität, auch solo, hält Körper und Seele jung. Der Begriff „erotische Fitness“ beschreibt diesen Zusammenhang treffend. Frauen, die regelmäßig sexuelle Erregung erleben, haben oft bessere Durchblutung, elastischere Haut, stabileren Schlaf und stärkere Immunabwehr.

    Zudem verändert Sexualität unsere Ausstrahlung. Menschen, die sich in ihrem Körper wohlfühlen, wirken lebendiger, offener, attraktiver. Es ist diese subtile, aber spürbare Energie, die nichts mit Faltenfreiheit zu tun hat, sondern mit innerer Lebenskraft.

    Kurz gesagt: Selbstbefriedigung kann ein Beitrag zur Gesundheit sein – wie Yoga, Lachen oder frische Luft. Nur eben intimer.

    7 handfeste Gründe für Selbstbefriedigung

    1. Glückshormone und Gelassenheit
    2. Lustmuskeln in Schwung halten
    3. Körperkenntnis und Selbstvertrauen
    4. Veränderte Bedürfnisse wahrnehmen
    5. Erfüllenderer Sex mit Partner
    6. Erotische Fitness und Jugendlichkeit
    7. Mehr Energie, Kreativität und Lebensfreude

    Und wenn das noch nicht überzeugt: Es gibt kaum eine angenehmere Art, das Herz-Kreislauf-System in Schwung zu bringen, ohne das Haus zu verlassen.

    Zwischen Pflicht und Freiheit: Muss ich das jetzt machen?

    Kommen wir zur Ausgangsfrage: Soll ich mich zur Selbstbefriedigung zwingen?

    Die ehrliche Antwort lautet: Nein – aber vielleicht überreden. Lust ist ein zartes Wesen. Sie lässt sich nicht erzwingen, aber sie lässt sich wecken. Wer merkt, dass sie eingeschlafen ist, darf vorsichtig anklopfen.

    Manchmal kommt der Appetit tatsächlich beim Essen. Und manchmal eben nicht. Beides ist völlig in Ordnung. Wer sich zum Sex – mit sich selbst oder anderen – drängt, obwohl kein Bedürfnis da ist, riskiert, die Abneigung zu verstärken. Wer sich jedoch liebevoll öffnet, kann überrascht werden, wie schnell der Körper wieder mitmacht.

    Für manche Frauen ist Selbstbefriedigung ein Akt der Selbstliebe. Für andere ist sie schlicht kein Thema. Und beides darf sein. Es gibt Menschen, die ohne Sexualität glücklich leben – und das ist genauso natürlich wie ein starkes sexuelles Bedürfnis.

    Fazit: Lust darf wachsen, nicht erzwungen werden

    Selbstbefriedigung ist keine Pflicht, kein Trend und kein feministisches Muss. Sie ist eine Möglichkeit – eine Form, sich selbst zu begegnen, die Körper und Seele nähren kann.

    Wenn Sie sich also fragen, ob Sie „müssen“: Nein. Aber Sie dürfen.

    Und wer weiß – vielleicht entdecken Sie dabei eine Quelle der Lebensfreude, die schon lange auf Ihre Rückkehr gewartet hat.

    • Regina Heckert

      Bildquelle: Regina Heckert

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