Deutschland als Nato-Drehscheibe: Bundeswehr-Pläne rufen Rheinmetall auf den Plan
Im Kriegsfall soll die Bundeswehr die Nato-Truppen auf dem Bundesgebiet koordinieren – doch ohne Unterstützung von zivilen Firmen wie Rheinmetall oder Lufthansa geht es nicht.
Berlin – Auch im dritten Jahr in Folge tobt im Osten Europas noch immer ein Krieg. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wächst speziell in den baltischen Staaten und Polen die Sorge, dass sich der Konflikt ausweiten könnte. In einem solchen Szenario würde das Verteidigungsbündnis den angegriffenen Mitgliedstaaten zur Hilfe eilen – und Deutschland als logistische Drehscheibe fungieren. Doch ist die Bundesrepublik dafür überhaupt gerüstet?
„Logistische Drehscheibe“ Deutschland: Militärstrategie der Nato hängt viel von zivilen Unternehmen ab
Aufgrund seiner zentralen geografischen Lage übernimmt Deutschland laut der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie von 2023 eine Schlüsselrolle innerhalb der Nato. Im Bündnisfall wäre Deutschland Hauptumschlagsplatz für NATO-Truppen und militärisches Gerät, das über Polen an die Ostflanke verlegt werden müsste. Aufgrund fehlender Kapazitäten der Bundeswehr werden zunehmend zivile Unternehmen eingebunden. So hat sich der Rüstungskonzern Rheinmetall im Rahmen einer europaweiten Ausschreibung 2024 den Zuschlag für den Betrieb der bundesweit verteilten Convoy Support Center (CSC) gesichert. Entlang des Nato-Korridors von den Niederlanden bis nach Polen sollen diese militärischen Raststationen Tankstellen, Werkstätten und Übernachtungsmöglichkeiten für Truppen bieten.
Grundsätzlich wird die Truppenbewegung der Nato durch das Joint Support and Enabling Command (JSEC) in Ulm koordiniert, das seit 2023 direkt aus dem NATO-Budget finanziert wird – zumindest theoretisch. In der Realität ist in dem Bündnis souveräner Staaten jeder der 32 für seine eigenen Streitkräfte und Logistik verantwortlich.
Rheinmetall statt Bundeswehr: Wer die Versorgungsrouten im Ernstfall wirklich betreibt
Deshalb verfügt das JSEC lediglich über koordinierende Funktionen, jedoch nicht über operative Durchgriffsrechte. „Die Trennung zwischen nationaler Verantwortung und multinationaler Koordination funktioniert nicht reibungslos“, erklärt auch Nato-Experte Jannik Hartmann gegenüber dem Branchenmagazin loyal, der bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) für militärische Mobilität zuständig ist.
Dabei ist Deutschland im Rahmen des sogenannten Host Nation Support dazu verpflichtet, ausländische Nato-Kräfte beim Transit zu versorgen und logistisch zu unterstützen. Diese strukturellen Defizite dürften mit ein Grund dafür sein, dass die Bundeswehr den Betrieb der CSCs an Rheinmetall übertragen hat. Immerhin würden im Ernstfall völlig unterschiedliche Logistiksysteme der Nato-Partner auf deutschen Boden aufeinandertreffen – die Privatwirtschaft liefert international aus und ist dadurch flexibler. Doch wenn ein so zentraler Teil der logistischen Infrastruktur ausschließlich in der Hand eines Unternehmens liegt, fehlt im Krisenfall eine Absicherung – ein Ausfall durch Sabotage, Cyberangriffe oder technische Probleme könnte die gesamte Versorgungskette gefährden.

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Ähnlich komplex ist die Lage bei der Instandhaltung von Waffensystemen wie dem F-35-Kampfjet, dem Transporthubschrauber CH-47 Chinook und dem Seeaufklärer P-8 Poseidon. Hier laufen laut Angaben des Handelsblatts Gespräche mit Unternehmen wie Rheinmetall, ESG und Lufthansa Technik, die sich gemeinsam um die Instandhaltung bewerben und als Teil eines industriellen Konsortiums auftreten.
Private Bahn statt Panzerzug: Warum DB Cargo im Ernstfall allein nicht ausreichen wird
Auch im Bahn- und Lufttransport setzt die Bundeswehr auf zivile Unterstützung. Seit 2023 liegt die logistische Planung und Durchführung militärischer Bahntransporte vollständig bei DB Cargo. Zwar besitzt die Bundeswehr eigene Flachwagen, die etwa 60 Tonnen schwere Leopard-Panzer von West nach Ost transportieren könnten. Doch für eine gleichzeitige Verlegung ganzer Brigaden – wie sie das NATO-Strategiekonzept „New Force Model“ vorsieht – reicht diese Anzahl bei weitem nicht aus. Das gilt laut Experten wie dem früheren US-Kommandeur Ben Hodges auch für DB Cargo.
Gegenüber dem Branchendienst „Railfreight“ sagte er, dass weniger als ein Viertel der im Ernstfall benötigten Flachwagen bereitstünden. Das liegt allerdings auch an der Sparmentalität der Bundeswehr: Ein Vorhaltevertrag aus dem Jahr 2023 über 68 Millionen Euro sollte einen Bestand von 343 Flachwagen sichern, doch ein Jahr später wollte die Bundeswehr diesen bereits auf 50 Millionen Euro kürzen – trotz des steigenden Bedarfs.
Darüber hinaus bezweifeln Experten, dass die Bahn bei kurzfristigen Mobilisierungen schnell genug reagieren kann. Zudem ist die Bahn anfällig für Sabotageakte oder gezielte Angriffe auf die Stromversorgung – was im Ernstfall zu einem bundesweiten Ausfall der Transportwege führen könnte. Ersatzloks mit Dieselantrieb stehen im Ernstfall nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung.
Lufttransport und Pilotenmangel: Wie Lufthansa bei der Truppenverlegung helfen soll
Das gilt auch für Ausweichmöglichkeiten auf der Straße: Zwar bestehen Kooperationen mit großen Transportdienstleistern aus der Privatwirtschaft wie Transa oder Quehenberger. Doch bei kurzfristigen Massenverlegungen stoßen auch diese zivilen Anbieter schnell an ihre Kapazitätsgrenzen. Zudem bestehen im Gegensatz zur Bahn nach aktuellem Stand keine vertraglich gesicherten Vorhaltekapazitäten mit privaten Speditionen. Die Zusammenarbeit erfolgt bislang überwiegend auf Einzelabrufbasis, was die Verfügbarkeit im Krisenfall zusätzlich einschränken kann. Der Bundeswehr selbst fehlen bis 2027 rund 32.500 und bis 2030 sogar 59.000 Fahrzeuge, um einen Eigenbedarf zu decken – das erfuhr der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr (VdRBw) auf Nachfrage.
Früher galt die Bundeswehr zudem als „Fahrschule der Nation“, heute herrscht Fahrermangel, auch bedingt durch die Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011. Diese Problematik besteht auch in der Luftfahrt. Weil der Bund selbst keine strategischen Lufttransportkapazitäten verfügt, soll die Lufthansa aushelfen.
Kerosin bis zur Front? Warum die NATO-Pipeline nicht bis zur Ostflanke reicht
Doch auch mit Deutschlands größter Fluggesellschaft besteht laut Handelsblatt (noch) kein Vorhaltevertrag – und somit auch keine vertraglich gesicherten Kapazitäten. Wegen des Mangels an Luftwaffenpiloten und begrenzter Ausbildungskapazitäten soll das Grundlagentraining künftig teilweise von Lufthansa Aviation Training (LAT) übernommen werden – wenngleich Lufthansa-CEO entsprechende Berichte im März noch nicht bestätigen wollte. Hinzu kommt ein oft unterschätzter Engpass: die Treibstoffversorgung der NATO-Luftstreitkräfte.
Rund 60 Prozent des gesamten Kraftstoffverbrauchs der Bundeswehr entfallen auf die Luftwaffe – doch das zentrale NATO-Pipeline-System CEPS endet in Westdeutschland. Flughäfen wie Leipzig, von denen aus strategische Lufttransporte erfolgen, müssen weiterhin über Straße und Schiene mit Kerosin versorgt werden. Eine Ausweitung der Pipeline in Richtung Ostflanke scheitert bislang an der Finanzierung durch die Bündnispartner.
All diese Entwicklungen zeigen: Ohne zivile Unterstützung ist die Bundeswehr derzeit nicht in der Lage, die Rolle Deutschlands als logistische Drehscheibe für die Nato im Ernstfall auszufüllen. Dabei war es genau diese Funktion, die die Bundesregierung 2023 zur sicherheitspolitischen Priorität erhoben hat – als Antwort auf den russischen Angriffskrieg, der seit Jahren im Osten Europas tobt.