Vier Punkte aus der Wirtschaftskrise: Top-Ökonom skizziert Plan für Aufschwung

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Vier Strategien aus der Wirtschaftskrise: Top-Ökonom skizziert Plan für Aufschwung

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Die neue Regierung muss vier Punkte angehen, um die Wirtschaft in Gang zu bringen, erklärt Ökonom Michael Hüther. Ohne höhere Schulden gehe es nicht.

Im Wahlkampf überbieten sich die Parteien mit Schuldzuweisungen für die wirtschaftliche Misere. Doch ist die Ampel wirklich schuld an allem? Wird es besser, sollte die Union den Kanzler stellen? Und was sind eigentlich die wichtigsten Aufgaben für die neue Bundesregierung? Das haben wir Professor Michael Hüther vom arbeitgebernahem Institut für Wirtschaft in Köln gefragt.

Warum die Ampel bei der Wirtschaft gescheitert ist: Aus „produktiver Reibung“ wurden „Neid und Missgunst“

Herr Hüther, die Ampel-Regierung ist bald Geschichte. Wirtschaftlich lief es nicht gut. Weshalb?

Neben allen Problemen wie den Spätfolgen der Pandemie oder dem Ukraine-Krieg samt Anstieg der Energiepreise muss man den Ampel-Parteien vorwerfen, dass sie sich nie auf eine gemeinsame Strategie für die Zukunft einigen konnten. Ich war 2022 auf einer Kabinettsklausur in Meseberg, da wurde viel und offen diskutiert. Nach dem bleiernen Mantel des Stillstands in der Merkel-Ära war das erfrischend. Das Drama der Ampel ist aber, dass aus dieser produktiven Reibung schnell Neid und Missgunst wurden, wenn mal jemand etwas besser dastand. Das hat dazu geführt, dass gefundene Kompromisse nie eingehalten wurden und es dauernd Streit gab.

Wirtschaft ist zur Hälfte Psychologie, heißt es. Hat der Dauerstreit zur aktuellen Krise beigetragen?

Er hat auf die Stimmung gedrückt. Richtig klar wurde das im Herbst 2023, als das Verfassungsgericht den Nachtragshaushalt mit den nicht gebrauchten 60 Milliarden aus der Corona-Pandemie abräumte. Ab da war das Geld weg, mit dem man die Gräben in der Koalition vorher noch überdecken konnte.

Nun gibt es Neuwahlen, aus denen die Union und Friedrich Merz als Sieger hervorgehen dürften. Problem gelöst?

Nein, Probleme lösen sich leider nie von selbst.

Private Investitionen als Baustelle: Deutsche Wirtschaft hat „enormer Nachholbedarf“

Welche großen Baustellen muss die nächste Bundesregierung anpacken?

Unser großes Problem sind die privaten Investitionen, die einfach nicht in Gang kommen. Die deutsche Wirtschaft hat enormen Nachholbedarf bei Modernisierung, Digitalisierung und Transformation zur Klimaneutralität, um wettbewerbsfähig zu werden. Das muss uns Sorgen machen, denn die Investitionen sind das Scharnier zwischen dem Heute und der Zukunft. Die Zurückhaltung ist auch der Spiegel eines schwachen Staates, der über Jahre viel zu wenig in seine Infrastruktur investiert hat.

Das ist aber nicht die Schuld der Ampel, oder?

Nein, sie hat aber auch keinen Weg aus Misere gefunden. Außerdem hat sie bei der Transformation zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft durch einen Schlingerkurs, schlechte Kommunikation und handwerkliche Fehler viel Unsicherheit geschürt und einen Scherbenhaufen hinterlassen. Die Aufgabe der nächsten Regierung ist, diesen Scherbenhaufen zusammenzukehren und die Investitionen in die Zukunft wieder anzukurbeln.

Wie denn?

Vier Punkte: Deutschland braucht erstens eine Investitionsprämie. Unternehmen müssen Zukunftsinvestitionen sofort abschreiben können. Das wäre steuerrechtlich einfach und schnell machbar. Zweitens: Die Bürokratie muss abgebaut werden, Firmen brauchen wieder mehr Freiraum. Drittens brauchen wir wettbewerbsfähige Strompreise. Dafür müssen kurzfristig die Netzentgelte mit Bundesmitteln gedeckelt werden. Für den Ausbau von Bahn, Autobahnen und der Infrastruktur in Bund, Länder und Gemeinden muss viertens ein Infrastrukturfonds gegründet werden, vergleichbar mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr. Der Investitionsstau liegt schon bei etwa 600 Milliarden Euro, das geht aus dem normalen Haushalt nicht mehr.

IW-Chef Hüther zu höheren Schulden: „Wir brauchen diese Investitionen; sie sind alternativlos“

Das heißt aber auch: es geht nicht ohne höhere Schulden.

Natürlich nicht, wir brauchen diese Investitionen; sie sind alternativlos. Investitionen in die Zukunft sind ein klassisches intertemporales Kosten-Nutzen-Kalkül. Bei Staaten ist das nicht anders als in Unternehmen.

Im Wahlkampf 2021 hat Klima eine riesige Rolle gespielt, heute will das Thema keiner mehr hören. Manche Politiker sagen, dass man sich bei der Transformation mehr Zeit lassen müsse, um die Wirtschaft nicht zu belasten. Ist das der richtige Ansatz?

Ich kann nur raten, keine Verunsicherung aufkommen zu lassen, dass wir zu den Klimazielen stehen. Nicht nur, weil wir uns in internationalen Verträgen zu den Zielen verpflichtet haben. Mir macht es Sorgen, dass manche Politiker nicht erkennen, wie eng die Verbindungen zwischen Wettbewerbsfähigkeit und Klimaneutralität ist. Dass man glaubt, bei dieser Transformation der Wirtschaft ohne Industriepolitik auszukommen, ist absurd. Ab 2027 werden der Verkehr und die Gebäudemissionen über das ETS2-System in den CO2-Handel aufgenommen. Spätestens dann muss man über ein Klimageld für Bürger sprechen, um die Kosten abzufedern. Und man muss sich überlegen, wie man die energieintensive deutsche Industrie in die Zukunft bringt. Auch die Union kommt an dieser Frage nicht vorbei. Wir brauchen insgesamt mehr Ehrlichkeit.

Wie meinen Sie das?

Die Politik muss den Bürgern auch bei umstrittenen Themen reinen Wein einschenken. Der Arbeitskräftemangel beginnt zum Beispiel jetzt erst richtig. Die Zuwanderer sind seit Reform des Zuwanderungsrechts 2020 zwar jünger, weiblicher und gebildeter. Wir müssen aber auch das Arbeitskräftepotenzial im Inland besser mobilisieren. Dass ein Arbeitnehmer in Deutschland 249 Stunden im Jahr weniger arbeitet als in der Schweiz, kann man schlicht nicht erklären. Darüber müssen wir eine gesellschaftliche Debatte führen.

„Bei Deutschland weiß ich nicht, wie das künftige Geschäftsmodell aussehen soll“

Manche Ihrer Kollegen sagen, Deutschland müsse weg von der Industrie und hin zu mehr Zukunftstechnologien. Wie sehen Sie das denn?

Großbritannien hat Banken, die USA Technologiefirmen, bei Deutschland weiß ich aber nicht, wie das künftige Geschäftsmodell aussehen soll. Rollatoren für Altenpflege? Das scheint mir zu wenig. Spaß beiseite: Auch unsere Industrieunternehmen sind im Bereich der Hoch- und Zukunftstechnologien angesiedelt. Denken Sie an die E-Mobilität im Autobau, an die Materialtechnik oder an die Polymerchemie in der Chemieindustrie. Diese Branchen sind sehr innovativ und keine alten Sektoren, selbst die Stahlproduzenten nicht. Sie haben hohe Forschungs- und Entwicklungsausgaben und können zu den Gewinnern der Transformation zählen.

Michael Hüther ist Chef des Instituts der deutschen Wirtschaft.
Professor Michael Hüther ist einer der renommiertesten Wirtschaftsforscher in Deutschland. Er ist seit 20 Jahren Direktor des IW Köln. Das private und wirtschaftsnahe Institut wird von Unternehmen und Verbänden finanziert. Hüther ist außerdem Adjunct Professor an der Stanford University in Kalifornien und sitzt in den Aufsichtsräten und Beiräten mehrerer Unternehmen, unter anderem TÜV Rheinland und Allianz Global Investors. © Uta Wagner

Politische Unsicherheit schadet der deutschen Wirtschaft

Bisher ächzen sie aber unter dem Wandel.

Das liegt auch an der anhaltenden Unsicherheit, weil der eingeschlagene Weg immer und immer wieder politisch hinterfragt wird. Die Unsicherheit wird sich nicht auflösen, wenn die Politik nicht für besseres Erwartungsmanagement und konkrete Investitionsanreize sorgt. Die Firmen investieren Milliarden in die Transformation. Sie wollen nicht, dass ihre langfristigen Planungen obsolet werden. Deshalb müssen sie sich auf die Gesetzgebung verlassen können.

Gerade ist der Abgesang auf die deutsche Wirtschaft aber sehr laut. Kommen wir denn irgendwie durch diese Krise?

Die deutsche Wirtschaft steckt bildlich gesehen gerade mitten in einer matschigen Wiese fest und muss da irgendwie durch. Der Weg zurück ist keine Option. Ich bin aber optimistisch, dass wir es nach vorne ins Trockene schaffen. Wir haben viele tolle Unternehmer, wir müssen sie nur laufen lassen.

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