Hass auf Touristen: Unbekannte sabotieren Klettersteige in den italienischen Alpen

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Unbekannte haben an mehreren Kletterrouten in den italienischen Alpen Sicherungshaken entfernt. Es gibt auch ein Bekennerschreiben, in dem der Grund genannt wird.

Verona/Trient - An immer mehr Touristenhotspots in der ganzen Welt mehren sich die Klagen der Einheimischen über ein Überhandnehmen der Gästescharen, das Schlagwort Overtourism macht die Runde. Auf den spanischen Ferieninseln Teneriffa oder Mallorca wehren sich die Bewohner gegen den Massentourismus, an vielen Orten wie Venedig, Pompeji oder auf Capri wird Eintritt verlangt oder soll die Anzahl der Besucher reduziert werden. Im norditalienischen Etschtal greifen anonyme Täter jetzt zu drastischen und gefährlichen Mitteln: Sie haben die Sicherungshaken an mindestens zwei Kletterrouten entfernt.

Hier haben Unbekannte Bohrhaken von der Kletterroute „Via dei Boce“ geschraubt.
Unbekannte haben Bohrhaken an zwei Kletterrouten im Etschtal abgeschraubt. © Antonio Mervisan/Facebook

Die Kletterroute „Mamma li Turchi“ ist eine beliebte Kletterroute bei Canale im Etschtal zwischen Trient und Verona, etwa östlich des Städtchens Garda am gleichnamigen See. Der Name „Mama, die Türken!“ bedeutet in Italien so etwas wie „eine Katastrophe!“, er stammt aus dem Sizilianischen und rührt von früheren Überfällen muslimischer Piraten her. Doch heute fürchtet man vor Ort offenbar mehr den Überfall von Klettersportlern, die sich die mit Schwierigkeitsgrad 5+/6- nicht einfache, aber auch nicht lange Klettertour vornehmen. Auf bergsteigen.com wird sie als „ideale Nachmittagsbeschäftigung“ beschrieben.

Unbekannte kritzeln auf den Kletterfelsen in Italien: „Climbers go home!“

Bergsteiger machten jetzt aber plötzlich eine unangenehme Entdeckung: Die ersten Bohrhaken bei „Mamma li Turchi“ waren von Unbekannten entfernt worden. Außerdem wurden die blauen Buchstaben des Namens der Kletterroute durchgestrichen, daneben wurde geschrieben: „Climbers Go home!“ (Bergsteiger geht nach Hause!). Ein deutscher Alpinist entdeckte die Manipulationen in der zweiten Novemberwoche und warnte davor auf der Seite bergsteigen.com mit dem Kommentar: „Der erste Haken ist umgeschlagen, die anderen und auch der Stand abgeflext. Auch in der zweiten Länge konnte ich keine Haken entdecken. Die Tour wurde anscheinend komplett demontiert.“ Auf Facebook wurden dann Bilder davon gepostet.

Das Portal ildolomiti.it schließt aus der Tatsache, dass auch weit oben Haken entfernt wurden: „Dies macht die Hypothese, dass die Tat von einer Person ausgeführt wurde, die sich mit der Bewegung auf dem Felsen auskennt, umso plausibler.“

Auf Facebook wiederum wird kombiniert: „Wenn auch die Haken aus der zweiten Seillänge entfernt wurden, dann können wir daraus schließen, dass der Verursacher dieser Tat auch ein Kletterer ist.“ Auch in der letzten Seillänge der Kletterroute Via dei Boce einen guten Kilometer weiter nördlich bei der Ortschaft Tessari wurden Kletterhaken in der zweiten Seillänge entfernt.

Doch wer steckt hinter diesen Attacken? Auf der Facebook-Seite „Arrampicata in Val d‘Adige“ (Klettern im Etschtal) wurde das Foto eines Schreibens gepostet, das jemand offenbar in einer Klarsichthülle am Fels befestigt hatte. Die Überschrift „Zur Verteidigung des Etschtals“, gezeichnet mit: „Revolutionäre Einheimischenzelle“.

Bekennerschreiben auf Italienisch fordert Ende der Werbung fürs Klettern

Die Begründung der Attacken lautet dort: „Angesichts der Phänomene der touristischen Überfüllung, die das Leben der Stadt Tessari beeinträchtigen, macht die unkritische Neuvorstellung von Tourismusmodellen aufgrund einer übertriebenen ‚Aufwertung des Territoriums‘ durch einige Lobbys die Notwendigkeit deutlich, die fehlende Lenkung der Touristenströme durch politische Maßnahmen zum Schutz der lokalen Gemeinschaften abzumildern“, heißt es in dem Schreiben etwa gestelzt. „Tatsächlich interessiert sich keiner von uns für den Tourismus, den wir heute aufgrund der jahrzehntelangen Trägheit des Denkens und Handelns erleben müssen, was die Verbreitung individueller Initiativen einiger Bergsteiger ermöglicht hat.“

Das „Bekennerschreiben“ der Kletterroutensaboteure.
Das „Bekennerschreiben“ der Kletterroutensaboteure. © Andrea Marchini/Facebook

Tessari sei über das Internet extrem bekannt geworden. Auf Kletterseiten wie thecrag.com werden in den Felsenwänden zwischen Tessari und Canale 13 Kletterrouten angezeigt. Die oder der Verfasser sprechen von „wahlloser Werbung“ und klagen: „Wir wollen nicht, dass unsere Städte jedes Wochenende überfallen werden, und aus diesem Grund üben wir den ersten einer langen Reihe von Anschlägen aus.“ Tatsächlich fordern die Verfasser das „Ende der Bewerbung“ der Kletterrouten. Die Bevölkerung und nicht Interessengruppen von Bergführern, Reiseveranstaltern oder Politiker solle künftig „Entscheidungen zum Schutz unserer Kleinstädte“ treffen. Und sie drohen mit weiteren Attacken.

Tatsächlich boomt der Klettersport in Italien wie nie zu vor. Der italienische Sportkletterverband FASI verzeichnete in den Jahren unmittelbar nach der Pandemie einen sprunghaften Anstieg seiner Mitgliederzahlen von 40.000 im Jahr 2019 auf 85.000 im Jahr 2023. In diesem Jahr kamen laut ildolomiti.it nochmals 15.000 Mitglieder hinzu.

Verärgern zugeparkte Weinberge, Fäkalien und arrogante Touristen die Italiener vor Ort?

Manche sind sich der Schattenseiten des Booms bewusst, so schreibt ein User bei Facebook über die beiden Anschläge: „In Tessari hätte man das verstanden - wenn man einmal gesehen hat, wie über 100 Autos die Weinberge zuparken - aber in Canale ?“ Eine Userin mutmaßt: „Vielleicht standen zu viele mit dem Camper am Parkplatz und haben die Umgebung zugesc****?“

Ein Mann postet: „Sowas passiert, wenn man nicht weiß, wie man sich auf fremden Grund und Boden zu verhalten hat und manche - nicht alle - glauben, wenn sie im Urlaub sind, haben sie Narrenfreiheit“ Ein weiterer User meint: „Die wenigen Individualisten, die früher dort geklettert sind, fahren dort eh schon lang nicht mehr hin.“ Viele Urlauber würden denken: „Ich bin Tourist und Kunde, also bin ich König. Dann passiert halt sowas.“ Gar kein Verständnis für die Verärgerung der Einheimischen hat ein anderer User: „Alle wollen euer Geld, aber sie wollen euch nicht.“

Auch in den Dolomiten tauchten kürzlich Protestparolen gegen den Overtourism an Felswänden auf. Der Präsident der Sektion Südtirol des italienischen Alpenvereins beschwerte sich über das Verhalten vieler Touristen.

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