Weltkriegs-Wrack in Mündung der Themse: Explosion könnte Tsunami vor Europa auslösen
Seit Jahrzehnten liegt ein Schiffswrack mit 1.400 Tonnen Sprengstoff an Bord in der Mündung der Themse. Die Bergung ist schwierig, doch wird wegen des Verfalls des Schiffs immer dringender.
Kent – Mehr als 70 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs finden sich immer wieder Blindgänger. Etwa 100.000 Tonnen solcher nicht explodierten Weltkriegsbomben sollen allein in Deutschland noch unter der Erde schlummern. Großbritannien hat dieses Problem vor den Toren Londons in einer größeren Dimension: Eine explosive Altlast aus dem Zweiten Weltkrieg könnte in der Themsenmündung einen Tsunami auslösen.
80 Jahre alte Gefahr: Wie die SS Richard Montgomery auf Grund lief und sank
Die SS Richard Montgomery diente im Zweiten Weltkrieg unter anderem dem Transport lebenswichtiger Güter. Mit an Bord waren im August 1944 allerdings auch 7.000 Tonnen Munition, als das Schiff mit dem Konvoi HX-301 nach Großbritannien fuhr, wie es in einer Mitteilung der britischen Regierung heißt. In der Mündung der Themse wurde das Schiff angewiesen, vor Sheerness vor Anker zu gehen. Das Boot schleppte jedoch seinen Anker ins seichte Wasser und lief auf einer Sandbank auf Grund. Dort liegt es seit dem 20. August 1944 – also seit 80 Jahren. Die Masten des Schiffs ragen bei jedem Stand der Gezeiten gut sichtbar aus dem Wasser. Die Umgebung ist als Sperrzone markiert.
Nachdem die SS Richard Montgomery auf die Sandbank aufgelaufen war, begannen sofort Bemühungen, die Ladung zu löschen, also den Sprengstoff von Bord zu bergen. Allerdings bildete sich bereits am Tag nach dem Auflaufen ein Riss im Rumpf, der das vordere Ende überflutete. Bis zum 25. September konnten die Bergungsarbeiten weiterlaufen, doch dann wurde auch das restliche Schiff von Wasser geflutet und sank vollständig. Von den ursprünglich 7.000 Tonnen Munition an Bord befinden sich heute noch immer 1.400 Tonnen in den vorderen Laderäumen, wie die britische Regierung bestätigt.
Tsunami könnte drohnen: Flutwelle könnte auf Kent, Essex und Thames Barrier vor London zurollen
Die Gefahr einer größeren Explosion ist laut Angaben der britischen Regierung „gering“. Doch das Schiff verfällt immer mehr, räumt London ein. Es bestehe ein geringes, aber ein ernstzunehmendes Risiko, dass im Falle einer Explosion der Ladung eine Flutwelle auf die Küsten der Städte Kent und Essex und weiter auf das Sturmflutsperrwerk Thames Barrier vor den Toren Londons zurollt, wie BBC berichtete. Unlängst sollten daher Arbeiten am Wrack beginnen, um die Masten zu entfernen. Damit wollte man verhindern, dass sie auf die Ladung fallen und diese womöglich zum Explodieren bringen.
Entsprechende Sicherungsarbeiten waren ursprünglich für 2020 angekündigt, dann für Juni 2022 geplant, aber wieder verschoben worden. „Wir haben Experten beauftragt, wichtige Vermessungsarbeiten am Wrack durchzuführen“, teilte ein Sprecher des britischen Verkehrsministeriums dem Sender BBC im April mit. „Auf der Grundlage ihrer Erkenntnisse überarbeiten wir unseren ursprünglichen Zeitplan und aktualisieren unsere Strategie, um die Schiffsmasten auf die sicherste Art und Weise zu entfernen.“ Im Jahr 1970 hatte das Royal Military College of Science die Folgen einer Explosion so beziffert: eine 3.000 Meter hohe Wasser- und Trümmersäule und ein fünf Meter hoher Tsunami.
Gefährliche Ladung: Experten warnen vor möglichem Tsunami durch die SS Richard Montgomery
Der Experte David Alexander vom University College London teilte mit, im Falle einer Explosion der Sprengladung auf der SS Richard Montgomery bestehe das Risiko eines „kleinen Tsunamis“. Als Warnung gilt der Fall des polnischen Schiffs Kielce, das in den 40er-Jahren ebenfalls gesunken war und dessen Fracht im Jahr 1967 unschädlich gemacht werden sollte. Bei den Vorarbeiten explodierte allerdings eine Sprengladung auf der Kielce, die Explosion kam einer Stärke von 4,5 auf der Richterskala gleich, wie auch die britische Regierung in einem Bericht bestätigte.
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Der Vorfall habe „die Stadt Folkestone in Panik“ versetzt und „an den Stränden für Chaos“ gesorgt, so der Bericht weiter. Das polnische Frachtschiff soll allerdings nicht annähernd die gleiche Sprengladung wie die SS Richard Montgomery an Bord gehabt haben. In ihrem Bericht schreibt die Regierung in London, das Schiff habe eine „volle Ladung von Bomben und Munition“ mit sich geführt, doch es sei kein Ladungsverzeichnis gefunden worden.
Die durch die Explosion entstandene Welle habe eine Höhe von rund 60 Zentimetern erreicht und das „obwohl die freigesetzte Gesamtenergie höher war als bei 2000 Tonnen TNT erwartet“, so der Bericht weiter. Die Zeit, die gefährliche Ladung der SS Richard Montgomery zu bergen, drängt. Denn der Zahn der Zeit nagt an dem Wrack. „Ich glaube, die Regierung hat sich in den vergangenen 77 Jahren gedacht: ‚Je länger wir warten, desto sicherer wird es.‘“, kommentierte der Experte David Alexander laut BBC. „Wenn man mit Sprengstoffexperten spricht, stellt sich heraus, dass das Gegenteil der Fall ist.“