Ukraine erlebt Verhandlungs-„Achterbahn“ – Putin-Absage könnte ein Segen sein
Im Ukraine-Krieg wird nun verhandelt: Eine „emotionale Achterbahn“, heißt es aus Kiew. Aus Russland kam zuvor eine Warnung.
Selbst Donald Trumps größte Kritiker können dem US-Präsidenten eines nicht absprechen: Er hat auch auf der großen politischen Bühne Bewegung in die Verhandlungen rund um den Ukraine-Krieg gebracht. Hinter den Kulissen wird zwar schon seit langem am Frieden gearbeitet, wie Experten sagen. Doch dass Russland und die Ukraine nun direkt miteinander sprechen, dass Wladimir Putin und Wolodymyr Selenskyj sich zu öffentlich Reaktionen auf Druck aus den USA genötigt sehen – das ist neu.
Der Haken: Bislang handelt es sich allem Anschein nach eher um Schattenboxen als um ein ernsthaftes Ringen um Lösungen. Weder Moskau noch Kiew wollen Trump verprellen. Und wenn nun in der Türkei tatsächlich verhandelt wird, ist zumindest Putin selbst doch nicht dabei. In der Ukraine beobachtet man die Vorgänge mit gewissem Argwohn, wie ein Beobachter vor Ort der Frankfurter Rundschau sagt. Ein regierungskritischer russischer Think Thank meint unterdessen: Womöglich sei es sogar Glück, dass der Kreml-Chef die Teilnahme an den Verhandlungen absagte.
Ukraine-Verhandlungen eine „Achterbahnfahrt“ – doch der Krieg dürfte vorerst weitergehen
„Die Bemühungen Trumps und der ‚Koalition der Willigen‘ um einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen bedeuten für viele Ukrainer eine emotionale Achterbahnfahrt“, erklärt Felix Hett auf Anfrage unserer Redaktion. Er leitet von Kiew aus die Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung für die Ukraine und die Republik Moldau.
„Koalition der Willigen“
Die meisten europäischen Staaten und die USA sind eng in Bündnisse eingewoben: EU und Nato etwa. Doch nicht immer sind sich in Sachfragen alle Mitglieder einig. Dann schlägt die Stunde der „Koalition der Willigen“: Wenn das formale Bündnis uneins ist, können sich „willige“ Staaten zu einem informellen Bündnis zusammenschließen. Im Ukraine-Krieg geschah das zuletzt etwa mit dem Viererbündnis Frankreich, Großbritannien, Deutschland und Polen. Diese vier Staaten drohten Russland mit scharfen Sanktionen, wenn es einen Waffenstillstand ablehnt. Die EU scheint dazu angesichts einer Veto-Haltung etwa von Viktor Orbáns Ungarn kaum fähig.
Trump sei schließlich mit großen Versprechen gestartet – binnen „24 Stunden“ wollte der US-Präsident den Ukraine-Krieg zu einem Ende bringen. Als dieser spektakuläre Erfolg ausblieb, „gab es eine spürbare Resignation“, wie Hett beobachtete. Auch der Rauswurf Selenskyjs aus dem Weißen Haus Ende Februar erschütterte die Ukraine.
„Nun haben wir eine neue Dynamik und damit wieder Hoffnung“, fügt der Mitarbeiter der SPD-nahen Stiftung hinzu. „Aber zumindest in meinem Umfeld dominiert die Erwartung, dass der Krieg kurz- bis mittelfristig weitergeht.“ Das deckt sich auch mit den Einschätzungen aus der ukrainischen Zivilgesellschaft aus den vergangenen Monaten: Putin gehe es ohnehin nicht um Geländegewinne, heißt es immer wieder.
Putin schickt „Requisiten“ zu Verhandlungen im Ukraine-Krieg – ein Segen?
Tatsächlich scheint sehr fraglich, dass die von Putin entsandte Delegation den Auftrag für einen massiven Friedens-Durchbruch bekommen hat – Russlands Vertreter wirkten wie „Requisiten“, sagte Selenskyj noch vor offiziellem Beginn der Gespräche. Wichtig scheint für Putins Regime vor allem die Aussicht auf eine Annäherung an die USA und mögliche Sanktionserleichterungen. Dafür muss Trump bei Laune gehalten und im besten Fall der schwarze Peter an die Ukraine weitergereicht werden. Bei Bedarf eben auch mit der demonstrativen Bereitschaft zu Gesprächen.

Ein kriegskritischer Think Tank russischer Wissenschaftler hatte zuletzt indes eine bemerkenswerte Warnung geäußert: In einem Essay bezeichnete „Re: Russia“ die mittlerweile abgesagte Teilnahme Putins bei Verhandlungen in der Türkei als gewichtiges Risiko. Darüber berichtet unter anderem das russische Oppositionsmedium Meduza.
Wenn Putin und Trump verhandelt hätten: „Warnsignal“ für Ukraine und Europa
Die Argumentation: Putin gehe es angesichts seines Vorschlags zeitnaher Verhandlungen nicht wie oft vermutet um Zeitgewinn – sondern darum, Trump bei seinem erklärten Wunsch nach einem schnellen Durchbruch zu packen. Das Datum 15. Mai habe perfekt in Trumps Reisepläne gepasst. Ein „diplomatisches Wunder“ just auf Trumps erster offizieller Auslandsreise könne wiederum das Traumziel der USA gewesen sein. Die hypothetische Folge: Selenskyj hätte beinahe keinen Verhandlungsspielraum mehr besessen, hätten Putin und Trump in Istanbul gemeinsam auf eine vorbereitete Einigung gedrängt. Die Anwesenheit beider wäre ein „Warnsignal“ für Ukraine und Europa gewesen, so die These.
Und die russischen Experten vermuten bei Putin nach den bisherigen Eindrücken zwar Bereitschaft, auf noch nicht eroberte, aber formal „annektierte“ Gebiete in der Ukraine – etwa in Cherson und Saporischschja – zu verzichten. Westliche Militärunterstützung für die Ukraine und westliche Truppen in der Ukraine wolle der Kreml aber in jedem Fall verhindern. Genau das könne ein Zugeständnis Trumps an Putin sein, wenn Selenskyj und Europa keinen Einfluss auf das Papier bekommen, warnten die Experten von „Re: Russia“. Eine starke Armee und Sicherheitsgarantien gehören für Kiew aus nachvollziehbaren Gründen zu den Grundvoraussetzungen für eine Einigung.
Letztlich wurde dieses Szenario nicht einmal annähernd Wirklichkeit, Putin blieb zuhause – und Trump in Arabien. Das Gedankenspiel legt aber dennoch nahe: Vor einem Frieden dürften der von Russland angegriffenen Ukraine noch einige weitere emotionale „Achterbahnfahrten“ drohen. Gerade angesichts der wankelmütigen USA unter Trump. Für den Fall Putins Fernbleiben hatte „Re: Russia“ indes eine klare Prognose. „Wenn Putin nicht nach Istanbul kommt, werden die Verhandlungen auf Ministerebene höchstwahrscheinlich im Sande verlaufen.“ (fn)