„You saved my life“: Student rettet anonym ein Leben – alles begann auf Instagram

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Florian Firlus heute - locker posierend fürs Foto - und bei der Stammzellenspende. © SH/Privat

Florian Firlus kennt ihn zwar nicht, aber er hat ihm das Leben gerettet. Einem Mann in den USA spendete der Wolfratshauser Stammzellen.

Als ihn die Nachricht des Fremden erreichte, stand Florian Firlus auf der Ludwigshöhe und schaute in die Ferne. Auf seinem Smartphone sah er die E-Mail des Amerikaners. Der Wolfratshauser stellte sein Rennrad auf die Seite und guckte aufs Handy statt auf das Schwarzwaldpanorama. „You saved my life“, schrieb der Fremde. „Es war einer der schönsten Momente meines Lebens“, sagt Firlus. Noch heute bekomme er Gänsehaut, wenn er daran denkt. Viel investieren musste Firlus dafür nicht. Nur ein paar Stunden seiner Zeit, einen Muskelkater und Stammzellen.

Stammzellenspende rettet US-Amerikaner: Wolfratshauser wird zum Lebensretter

Instagram trug einen Teil dazu bei, dass Firlus überhaupt zum Lebensretter wurde. „Ich habe dort ständig die Werbung von der DKMS gesehen“, sagt er. DKMS steht für Deutsche Knochenmarkspenderdatei. So hieß die Organisation früher. Sie wirbt mit griffigen Slogans für eine Registrierung. Am bekanntesten: „Mund auf. Stäbchen rein. Spender sein.“ Firlus wiederholt den Satz im Gespräch mit unserer Zeitung immer wieder. „Die Registrierung war wirklich so einfach.“ Viele Menschen lassen sich bei großen Typisierungsaktionen aus Mitleid mit bekannten Fällen in der Region registrieren. Firlus machte es vor eineinhalb Jahren zu Hause auf dem Sofa. Einen Anlass gab es nicht. „Es ist gut, wenn sich bei Krankheits-Fällen in der Nachbarschaft viele Leute typisieren lassen und in der Datei aufgenommen werden.“ Dann würden nicht nur für den vor Ort Erkrankten potenzielle Spender gefunden, sondern für Kranke auf der ganzen Welt, deren Leben von einem Spender abhängt.

Typisierung auf dem Sofa

Die Spenderkartei umfasst die ganze Welt. Als Firlus vor einigen Wochen eine SMS bekam, wurde ihm das klar. Er sollte sich bei der DKMS melden. Es könnte sein, dass seine DNA perfekt passen könnte. Er meldete sich sofort. „Der Arzt meinte, das sei eine zehn von zehn. Alles hat perfekt übereingestimmt“, sagt Firlus. Irgendwo in den USA hing das Überleben eines Menschen von Firlus‘ Stammzellen ab. Sein genetischer Zwilling brauchte ihn. Der Wolfratshauser sagte sofort Ja.

DKMS wirbt für Stammzellenspende auf instagram

Seine eigene Vorbereitung dauerte weniger als eine Woche. Der 31-Jährige musste sich selbst an fünf Tagen ein Präparat spritzen. Das sollte die Produktion der Stammzellen ankurbeln. „Ich durfte keinen Sport machen, weil durch das Präparat die Milz vergrößert wurde und die Gefahr zu groß war, dass etwas passiert.“ Ihm fiel das schwer. „Ich kann nicht nichts tun.“ Firlus ist ein Mensch, der oft lacht. Auch, wenn er sich daran erinnert, grinst er breit. Mit vergrößerter Milz, angekurbelter Stammzellen-Produktion und dem Wissen, etwas Gutes zu tun, fuhr er in die Spenderklinik.

Der Wolfratshauser darf nicht verraten, welches Krankenhaus genau er ansteuerte. Das liegt daran, dass er zwei Jahre nach seiner Spende gänzlich anonym für den Empfänger bleiben muss. Die Regel soll die Spender schützen. Deshalb schreiben sich Firlus und der Amerikaner auch nicht direkt, sondern über ein Postfach der DKMS. Die DKMS schwärzt manche Passagen, bevor Firlus die Schreiben seines genetischen Zwillings erhält – das wären Absätze, die einen Rückschluss auf die Identität zulassen. Der genaue Ort der Spende wäre ein solches Detail.

Beim Lebensretten kann man Netflix gucken

In der Klinik wurde ihm ein Zugang gelegt. Er verbrachte den Tag im Bett. „Ich habe Netflix geschaut. Fünf Stunden lang.“ Irgendeine Action-Serie war es wohl, die ihm die Langeweile beim Lebensretten vertrieb, vermutlich S.W.A.T, aber eigentlich ist das auch egal. Eine Stammzellenspende über einen Zugang ist kein sonderlich spannender Prozess. „Es ist wie bei einer Blutspende“, nur die Farbe des Beutels war eine andere. Ein bisschen dunkler, fast mehr lila als rot, und die Konsistenz von Stammzellen ist auch anders als von Blut. Genau hinschauen wollte Firlus aber nicht. Er guckte in seinen Laptop oder machte die Augen zu, um zu dösen. Man hat ja Zeit als Lebensretter.

Per Transfusion oder Operation: Es gibt zwei Wege zur Stammzellen-Spende

Es gibt noch einen zweiten Weg, Stammzellen zu spenden: eine Operation, bei der Knochenmark entnommen wird. „Ich wäre auch dafür bereit gewesen“, sagt der Wolfratshauser Spender. Dass für ihn auch die sogennante periphere Stammzellenentnahme am Tropf infrage kam, fand er trotzdem beruhigend. „Es gibt viele Leute, die Bedenken haben sich typisieren zu lassen und Angst haben vor dem Eingriff. Aber wenn man denen erklärt, dass es nur wie eine etwas längere Blutspende ist, dann haben sie auf einmal gar kein Problem mehr damit.“

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An zwei Tagen spendete Firlus. Nach dem ersten Durchlauf haben die Ärzte seine Blutwerte geprüft und erfragt, wie es ihm geht. Seine Spende wäre da schon genug gewesen für die Mindestmenge. „Aber die Ärzte in den USA haben sich mehr für die Behandlung gewünscht.“ Er hielt durch. An den Tagen nach der Prozedur und den vielen Streaming-Stunden hatte er Schmerzen im Becken-Bereich, wo die Stammzellen produziert werden. „Es war wie ein schwerer Muskelkater, mehr auch nicht“, sagt der angehende Mittelschullehrer.

You saved my life.

Ein paar Tage später hatte der junge Mann seinen gewohnten Alltag zurück. „Sport ging die ersten zwei Wochen wegen der Milz noch nicht.“ Sein Lehramts-Studium in München besuchte er wie gewohnt, nur an den zwei Tagen im Krankenbett ließ er sich krankschreiben. Vor und während seines Studiums war der Wolfratshauser mit der hohen Gesangsstimme als Tenor in Kirchen und Konzerthallen der Region unterwegs. Seit Jahren ist er Mitglied in der Feuerwehr. Unter den Rettern hat sich seine Stammzellen-Spende schon herumgesprochen. „Die Kameraden fanden das mega cool, und das Thema interessiert sie immer noch.“ Einige hätten sich nach Firlus‘ Erläuterungen auch gleich selbst typisieren lassen. „Das hat mich sehr gefreut – ich find's schön, wenn ich da als gutes Beispiel vorangehen kann.“ Die Wehr postete ein Bild von ihrem Kameraden auf Instagram. Hunderte Menschen reagierten auf das Foto. Ein bisschen stolz schmunzelt der Wolfratshauser, wenn man ihn darauf anspricht. „Wenn es dabei hilft, dass das Thema mehr Aufmerksamkeit bekommt, freue ich mich darüber“, sagt Firlus bescheiden.

Genetische Zwillinge halten Kontakt

Mit seinem „Blutsbruder“ hat er immer wieder Kontakt. Diesen Spitznamen erfand der US-Patient in seiner ersten Nachricht an den Wolfratshauser. „Ich fand, das passt ganz gut.“ Über ihn weiß der 31-Jährige wenig. Nur, dass er krank ist – vermutlich eine Bluterkrankung – und sich jetzt auf einem guten Weg befinde. „Es scheint ihm immer besser zu gehen“, sagt Firlus. Der Arzt habe dem Kranken gute Chancen eingeräumt. Das erfuhr der Student in einer Nachricht aus den USA. „Wenn ich daran denke, kriege ich heute noch eine Gänsehaut.“

Die beiden verstehen sich in den Briefen gut. Und der Wolfratshauser wurde schon zum Abendessen eingeladen. Die Einladung kann er frühstens in zwei Jahren annehmen. So lange gilt strengste Geheimhaltung. Nur über Mails halten die beiden Kontakt. Ein Satz hat sich Firlus besonders eingebrannt. „You saved my life.“ Du hast mein Leben gerettet. Firlus: „Es fühlt sich komisch an. Komisch, aber unglaublich schön.“

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