Sie waren Münchens Zukunft: Georg Soanca-Pollaks Kunstinstallation „AugenBlicke“ im NS-Dokuzentrum

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Er bringt im NS-Dokuzentrum München die Porträts der Ermordeten zurück ins Bewusstsein: Georg Soanca-Pollak. © Yannick Thedens

Das NS-Dokuzentrum in München zeigt die Kunstinstallation „AugenBlicke“ von Georg Soanca-Pollak. Im Zentrum des Werks stehen die Fotos jüdischer Kinder. Eine berührende Ausstellung.

Es ist ein Satz, der in seiner Wucht und Wahrhaftigkeit ein Solitär ist an diesem Abend im NS-Dokuzentrum, an dem viel Kluges, Berührendes und Wichtiges gesagt wird. Aber dieser eine Satz hebt sich ab, weil er am klarsten, am eindringlichsten die Brücke von Damals ins Heute schlägt. „Es hätte nicht viel gefehlt“, sagt Charlotte Knobloch also, „und mein eigenes Gesicht hätte sich hier eingereiht.“ Die Präsidentin der Jüdischen Gemeinde, vor wenigen Tagen 92 Jahre alt geworden, spricht zur Eröffnung der Kunstinstallation „AugenBlicke“ von Georg Soanca-Pollak. Wenige Monate, nachdem Knobloch 1932 im Münchner Westen zur Welt kam, wurde Hitler in Berlin zum Reichskanzler gewählt. Die Shoah hat sie überlebt, weil ihre Großmutter den eigenen Namen auf die Deportationsliste setzen ließ – und weil Knoblochs Vater seine Tochter getarnt als katholisches Mädchen auf dem Land versteckte. „AugenBlicke“ erinnert an jene Kinder aus den jüdischen Familien Münchens, die deportiert und ermordet wurden.

Ihre Porträtaufnahmen hat Soanca-Pollak vergrößert und ohne weiteren Kommentar in die Architektur des NS-Dokumentationszentrums am Max-Mannheimer-Platz integriert. Als letzte Ausstellung vor der Schließung des Hauses aufgrund von Umbauarbeiten umfasst sein Werk die (Glas-)Fassade ebenso wie den Innenraum. Uns begegnen hier etwa Beate Hirsch und Leonore Bacharach, beide sind zum Zeitpunkt des Besuchs im Foto-Atelier zwölf Jahre alt. Oder wir blicken ins Gesicht des 13-jährigen Fritz Siegfried Gold. Die meisten der gezeigten Mädchen und Buben wurden mit dem ersten Transport, der 1941 den Güterbahnhof Milbertshofen verließ, aus ihrer Heimatstadt nach Kaunas gebracht und dort getötet.

„AugenBlicke“ im NS-Dokumentationszentrum
Ihre Gesichter erzählen von Hoffnung, Zukunftsplänen und Neugierde. Doch die Porträtaufnahmen der jüdischen Kinder aus München in der Installation „AugenBlicke“ stehen auch für die Vernichtung dieser jungen Leben. © Connolly Weber

Die Fotografien entstammen den „Kennkarten“, eine verpflichtende Schikane für alle Jüdinnen und Juden von 1938 an. Aus den rund 4500 Duplikaten, die sich im Stadtarchiv befinden, hat der Künstler rund 90 Kinderporträts ausgewählt und groß skaliert. Durch diesen technischen Kniff gelingt es ihm, die Basis für einen Dialog zu schaffen zwischen den historischen Bildern und dem Betrachter der Gegenwart. Die Vergrößerung sorgt für eine leichte Unschärfe, was die Motive noch sanfter, verträumter, hoffnungsvoller wirken lässt. Der Amtsstempel mit Reichsadler und Hakenkreuz zerstört diese Harmonie brutal und nimmt die Vernichtung des jungen Lebens vorweg.

Eröffnung der Kunstinstallation „AugenBlicke“ im NS-Dokuzentrum
Die Namen der deportierten und ermordeten Münchner Kinder und Jugendlichen auf der Fassade des Hauses. © Yannick Thedens

Soanca-Pollak, der 1967 im rumänischen Klausenburg geboren wurde, ist in München kein Unbekannter. Sein bislang wichtigstes Werk ist der „Gang der Erinnerung“, der das Gemeindezentrum der Israelitischen Kultusgemeinde am St.-Jakobs-Platz mit der Hauptsynagoge „Ohel Jakob“ verbindet. Diese feinsinnige und berührende Installation aus Licht, Glas und Schrift versammelt auf einer Länge von 32 Metern die Namen der mehr als 4500 Münchnerinnen und Münchner jüdischen Glaubens, die zwischen 1933 und 1945 vernichtet wurden. Soanca-Pollaks Arbeit holt sie sprichwörtlich aus der Vergangenheit ins Licht der Gegenwart und gibt ihnen ihre Individualität zurück.

Mit „AugenBlicke“ geht der Künstler nun einen wesentlichen Schritt weiter. Denn er verzichtet auf jegliche Texte oder historische Einordnung. Seine Installation wirkt tatsächlich ausschließlich über die „Augen“ und „Blicke“ der Gezeigten. „Die Worte finden wir nur in uns“, fasst der Historiker Andreas Heusler in seiner Werkeinführung zusammen.

Dass es sich bei den Porträtierten um Kinder handelt, verleiht dieser Schau eine besondere Brisanz, da sie uns an die fundamentale Verpflichtung einer Gesellschaft erinnert: „Wenn ein Kind geboren wird, übernehmen wir die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es eine Zukunft hat“, sagt Mirjam Zadoff, die Direktorin des NS-Dokuzentrums. Beate, Fritz, Leonore und all die anderen hatten diese Zukunft nicht.

Informationen zur Ausstellung: bis 1. Dezember 2024, Di.-So., 10-19 Uhr, Eintritt frei; weitere Informationen, auch zum Rahmenprogramm, online unter www.nsdoku.de.

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