Realschullehrerin verzweifelt: "Man plant so, dass alle unverletzt rauskommen"

  • Im Video oben: Schüler drohte: "Ich schieße euch alle ab" - jetzt schlagen Lehrer in Ludwigshafen Alarm

Die Karolina-Burger-Realschule in Ludwigshafen ist seit Monaten im Fokus der Öffentlichkeit. Brandbriefe, Messerbedrohung, Amokalarm: Die Liste der Vorfälle ist lang. Vergangene Woche wurden die schlimmen Zustände sogar im Bildungsausschuss des rheinland-pfälzischen Landtags diskutiert. 

Nun hat eine Lehrkraft, die anonym bleiben möchte, um Repressionen zu vermeiden, dem SWR ein erschütterndes Interview über den Schulalltag gegeben. Die Schilderungen offenbaren eine Schule, in der geregelter Unterricht kaum noch möglich ist und das Kollegium verzweifelt.

Verzweiflung im Ludwigshafener Schulkollegium: „Die Kräfte schwinden eklatant“

Die Angst vor Gewalt und das Gefühl der Ohnmacht prägen den Alltag der Lehrkräfte demnach in Ludwigshafen. Die anonyme Quelle berichtet dem SWR, dass die Stimmung im Kollegium auf einem Tiefpunkt sei. Vier Aussagen fassen die Situation an der Schule drastisch zusammenfassen:

  • „Ich sehe und sah weinende Kolleginnen und Kollegen.“
  • „Wir sind im Prinzip eine Förderschule mit einer Klassengröße von 30 Schülern und einer Lehrkraft.“
  • „Man plant so, dass alle unverletzt rauskommen und irgendwie beschäftigt sind.“
  • „Gewalt ist Alltag.“

Die Lehrkraft beschreibt die aussichtslose Stimmung im Kollegium. Die physischen und psychischen Kräfte der Lehrer würden „eklatant schwinden“.

Viele Schüler kämen ohne Materialien, könnten oft weder lesen noch schreiben und beherrschten die Grundrechenarten nicht. Die gestellten, komplexen Aufgaben seien für sie nicht lösbar.

Aufgrund des Verhaltens der Jugendlichen sei ein geregelter Unterricht mit erreichbaren Zielen nicht mehr möglich. Das Hauptziel sei nur noch Schadensbegrenzung.

Die Lehrkraft schildert, dass man als Lehrer täglich Schlägereien auf den Gängen bewusst „übersehen“ müsse, um schnell ins eigene Klassenzimmer zu gelangen und dort Schlimmeres zu verhindern.

Gewalt, Ohnmacht und die Folgen für den Unterricht

Die Gewalt ist an der Karolina-Burger-Realschule allgegenwärtig. Die Lehrkraft beschreibt gegenüber dem SWR, wie Schüler Täter bei Auseinandersetzungen oder beim Zünden von Böllern durch das Bilden einer „Menschen-Mauer“ vor der aufsichtführenden Lehrkraft schützen. Hinzu kommt die Erkenntnis: „Wir sind nicht mehr in der Lage, diese Dinge zu kontrollieren.“ Die Versuche, durch Dutzende von Brandbriefen an die Aufsichtsbehörde ADD in Trier eine Änderung zu bewirken, seien im Sande verlaufen.

Chronik der Eskalation an der Karolina-Burger-Realschule

Die jüngsten Aussagen der anonymen Lehrkraft bestätigen die drastischen Berichte, die bereits seit Monaten über die Schule kursieren. FOCUS online berichtete bereits mehrfach über die angespannte Lage.

Das zehnseitige Dokument, das das Kollegium im Juni 2025 nach der Messerbedrohung einer Lehrerin durch eine Schülerin verfasste, schildert massive Gewalt und Bedrohungen im Schulalltag. Dazu zählten:

  • Schüler, die Lehrkräfte beleidigen und körperlich angreifen.
  • Drohungen wie: „Ich schieße euch alle ab“ oder „Wenn Sie mir nicht die bessere Note geben, steche ich ihre Autoreifen auf.“
  • Über 120 Polizeieinsätze und 100 Feuerwehreinsätze wegen mutwillig ausgelöster Alarme zwischen 2022 und 2024.
Ein Polizeibeamter steht vor der Karolina-Burger-Realschule.
Ein Polizeibeamter steht vor der Karolina-Burger-Realschule. dpa

Lehrkräfte klagen über eingeschlagene Wände, verschmutzte Toiletten und Kellerräume, die als Ersatztoiletten genutzt würden. Die Bürokratie mache es zudem fast unmöglich, störende Schüler vom Unterricht auszuschließen. Laut der anonymen Lehrkraft müsse man sich das "für die krassesten Fälle" aufsparen, sonst wäre man "24/7 in der Schule".

Ein Appell der Verzweiflung: „Die Folgen werden katastrophal sein“

Die Lehrerinnen und Lehrer fordern dringend Maßnahmen: Kameraüberwachung, maximale Klassengrößen von 18 Schülern und massive Unterstützung durch Jugendamt und Schulpsychologen. Doch die Hoffnung schwindet. Die anonyme Lehrkraft sieht keine Besserung: „Ich bin desillusioniert. Es geht hier nämlich um Geld und das stellt weder die Kommune noch das Land in ausreichendem Maß zur Verfügung für Bildung.“ Ihre düstere Prognose: „Die Folgen werden die nachfolgenden Generationen spüren. Und die Folgen werden katastrophal sein – und unbezahlbar.“

Auch andere Lehrer schlagen Alarm: Lieber Bürgergeld statt Arbeit

Die Probleme in Ludwigshafen stehen nicht allein. Auch Lehrer Jonas Schreiber berichtete im Interview mit der „Welt“ über frustrierende Zustände und Perspektivlosigkeit seiner Schüler an einer Münchner Realschule. Er schildert, dass viele Jugendliche wenig Motivation zeigen und sich offen über das System lustig machen. Einige würden direkt sagen, dass sie lieber Bürgergeld-Empfänger werden möchten, als sich anzustrengen: „Vielen Schülern ist es völlig wurscht, was nach der Schule kommt.“ 

Ein großes Problem sieht er darin, dass die Schüler erkennen, dass sich Mindestlohn-Arbeit im Vergleich zu Sozialleistungen kaum auszahlt – eine Mentalität, die sich fatal auf die Lernbereitschaft auswirke.