2,6 Milliarden Euro: Kartell-Mann sagt, wie Koks zwischen Ananas zu uns kommt

Der Angeklagte in Saal 112 des Landgerichts Köln redet. Am vorvergangenen Dienstagmorgen berichtet Habib I. von Geldtaschen, in denen er mehrere hunderttausend Euro transportiert hat. „Bis zu einer Million Euro habe ich eingesammelt“, bekennt der gebürtige Bulgare mit türkischen Wurzeln.

Der mutmaßliche Koksschieber berichtet von Treffen mit seinen Chefs an der türkisch-bulgarischen Grenze. Er erzählt von Containern im Hamburger Hafen mit ihren Drogenverstecken, die er stundenlang beobachtet hat, bevor sie aus dem Zollbereich geschleust wurden. Während der ehemalige Betreiber einer Handwerksfirma aus Eitorf spricht, ist die Anspannung im Saal deutlich zu spüren. 32 Personen sitzen hier eng beieinander.

Streng bewachter Saal: Ein Kronzeuge packt aus

Anwälte, Dolmetscher, Gutachter, die Staatsanwältin, das Gericht – und sechs weitere Angeklagte. Acht Justizwachmänner mit Schlagstöcken und Handschellen kommen noch dazu. Und vor dem Eingang sind zwei weitere Wachleute postiert. Habib I. ist der einzige Beschuldigte in dem Drogenverfahren, der umfänglich aussagt.

Der Mittdreißiger ist Angeklagter und Kronzeuge zugleich. Ein Insider, der während mehrerer Verhandlungstage über die Hintermänner eines gigantischen Drogenverfahrens auspacken soll.

40 Tonnen Kokain: Ein Milliardenmarkt im Fokus

In dem Mammut-Komplex geht es um den Schmuggel von 40 Tonnen Kokain im Marktwert von 2,6 Milliarden Euro. Der größte Kokain-Fund in der deutschen Nachkriegsgeschichte. 

Und so gewährt der mutmaßliche Rauschgifthändler tiefe Einblicke in Strukturen der Bande, die den Stoff zwischen 2022 und 2023 aus Südamerika über den Hamburger Hafen nach Deutschland eingeschleust haben soll. Von Streitigkeiten und Todesdrohungen innerhalb der Organisation ist die Rede. Vor allen Dingen dann, wenn sich die Rauschgift-Connection ums Geld zofft, was nicht selten passiert sei, so der Angeklagte.

Scheinunternehmen und Tarnimporte: So operierte die Bande

Mit drei „Geschäftspartnern“ habe die Gruppierung in Deutschland zusammengearbeitet. Diese Kontaktleute hätten zahlreiche Scheinfirmen für den Drogenschmuggel gegründet, berichtet Habib I. Getarnt etwa als Bananen- oder Ananaslieferungen aus Südamerika, verbargen sich unter den Kisten hunderte Kilogramm „weißer Schnee“.

Habib I. bestätigt etliche Namen fingierter Gesellschaften. Jeder der „großen drei“ Geschäftspartner hätte 250.000 Euro „von der Zentrale“ bekommen, wenn es wieder einmal gelungen sei, einen Koks-Container unentdeckt durch den deutschen Zoll zu bringen.

Schüsse in Eitorf: Polizei bestätigt Angriff

„Als Erfolgsprämie, zusätzlich zu den Spesen, also für die Kosten, die beispielsweise durch Geschäftsräume, Personal oder Lager der Scheinunternehmen entstanden sind“, führt das mutmaßliche Bandenmitglied aus. Wie sie denn heißen würden, die drei Partner des Drogen-Syndikats, fragt der Richter. Der Angeklagte offenbart zwei Namen. Dann schweigt er.

Die dritte Person könne er nicht nennen, sagt er schließlich. Das sei zu gefährlich für seine Familie. „Neulich ist das Haus meines Bruders beschossen worden, nachdem ich angefangen habe, hier auszusagen“, flüstert Habib I. Der Richter nickt wissend.
Tatsächlich schossen Männer am 16. Oktober auf die Hausfassade des Bruders in Eitorf. Ein Sprecher der Kreispolizeibehörde Rhein-Sieg bestätigt FOCUS online die Attacke.

Hinweis auf Warnschuss: Ermittler prüfen Zusammenhang

„Niemand ist verletzt worden“, führt der Beamte aus. Zu weiteren Details will er sich nicht äußern. Wie FOCUS online weiter aus Ermittlerkreisen erfahren hat, geht man inzwischen von einer Warnung aus. Der Angriff, so der Verdacht, galt eigentlich dem Angeklagten Habib I.

Darunter auch den ehemaligen Kölner Boss des aufgelösten Hells-Angels-Charters „Rhine Area“ Kamil S. Sein Bruder Hamid soll 2023 einen Mord an einem Abtrünnigen in Köln-Mülheim beauftragt haben. Dafür wurde Hamid mittlerweile zwar zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Allerdings stellte das Bundesverfassungsgericht Verfahrensfehler fest.

Flucht in die Türkei: Rocker-Boss weiter aktiv

Der Fall muss erneut vor Gericht verhandelt werden. Bis dahin sitzt Hamid weiter in U-Haft. Sein Bruder Kamil, so die Anklage im jetzt vor Gericht verhandelten Drogenkomplex, soll zu der dreiköpfigen Führungsriege gehören, die den Koks-Handel im großen Stil organisiert hat.

Als Chef gilt ein Gangster aus Dubai, dessen Identität ungeklärt ist. Gleich zehn große Rauschgiftlieferungen aus Übersee hat die Staatsanwaltschaft aufgelistet.
Stets soll es sich um Stoff im Tonnenbereich gehandelt haben. Der einstige Rocker-Boss Kamil S. gilt als brutaler Anführer.

Das beschlagnahmte Kokain wurde in einer Müllverbrennungsanlage entsorgt. 
Das beschlagnahmte Kokain wurde in einer Müllverbrennungsanlage entsorgt.  Zollfahndungsamt

Türkische Rocker-Verbindungen: Arabaci erneut verhaftet

Ende 2022 soll er in seine türkische Heimat ausgereist sein. Von dort aus soll er im großen Kokain-Geschäft mitgemischt haben. Nach weiteren Erkenntnissen soll er mit dem ehemaligen Rotlicht-Boss Neco Arabaci enge Kontakte pflegen.

Arabaci galt als „Der Pate von Köln“. 2007 schob man ihn in die Türkei ab. Vor gut einem Monat wurde er in Izmir erneut verhaftet. Sein angeblicher Kumpel Kamil S. indes befindet sich weiterhin auf freiem Fuß. Die Düsseldorfer OK-Ermittler gehen inzwischen der Spur nach, dass S. hinter der Schussattacke stehen könnte.

Kronzeuge nennt belastende Details – und gerät selbst unter Druck

Als Beweis dient eine Aufnahme aus einer Radarkamera in der Nähe des Tatortes.
Bereits in Polizeiverhören hatte Habib I. den Ex-Rocker als einen der Drahtzieher geoutet.

Detailliert schilderte der Unternehmer aus Eitorf, wie er nach und nach in den Dunstkreis des mutmaßlichen Gangsters geraten sein will. Weil er aber nicht zahlen konnte, habe er schließlich eingewilligt, für die Rocker zu arbeiten.

Hamburger Hafen als Drehscheibe: Logistik im Schatten

Fortan gab I. den Handlanger in der Kokain-Bande, spähte die Lage im Hamburger Hafen aus und fuhr Lkws mit der Ware. Der Fall belegt eine zunehmende Kokainschwemme nach Deutschland.

Die Coca-Pflanze gedeiht in südamerikanischen Hochlagen. Die Anbauflächen in Kolumbien, Peru und Bolivien wachsen stetig. Kokain verbreite sich „in Deutschland sehr stark, weil der Markt in Nordamerika gesättigt ist“, warnte BKA-Chef Holger Münch.

Encrochat und SkyECC: Ermittler nutzen geknackte Krypto-Handys

Erst im April wurden in Hamburg zwei ehemalige Hafenmitarbeiter verurteilt.
Die Kommunikation läuft über Krypto-Handys – bis Ermittler die Codes knacken konnten. Insgesamt wurden 2023 laut BKA 43 Tonnen Kokain beschlagnahmt.
Der Großteil stammt aus dem Kölner Mammut-Verfahren.

Zurück zum Kokain-Prozess in Köln. Habib I. will weiter aussagen. Er sitzt im Hochsicherheitstrakt der JVA Köln – streng abgeschottet. Niemand weiß, was ihm sonst passieren könnte.