- Zwingt Trumps Ukraine-Krieg das Baltikum in einen Spagat?

Estland, Lettland und Litauen haben ein vitales Interesse daran, dass die Ukraine in ihrem Abwehrkrieg gegen Russland besteht. Sollte die Ukraine den Krieg verlieren, so die Befürchtung, stünden alsbald russische Truppen an den Grenzen der baltischen Staaten. Dementsprechend besorgt ist man in den ehemaligen Sowjetrepubliken über den Konfrontationskurs von Donald Trump. Zuletzt schrillten die Alarmglocken, weil der US-Präsident die Versorgung der Ukraine mit Hilfe und Geheimdienstinformationen gestoppt hat.

Dies hat unter anderem auch Fragen nach den rund zweitausend US-Soldaten aufgeworfen, die in den drei Ländern stationiert sind. Als Donald Trump gefragt wurde, ob seine Truppen auch in Zukunft an der Ostflanke der NATO bleiben würden, bekräftigte er Anfang März das Verteidigungsbündnis mit Polen und den baltischen Staaten: "Auch das ist eine schwierige Gegend, aber sie haben unsere Zusage." Gleichzeitig wiederholte Trump, die Europäer müssten im Allgemeinen deutlich mehr in ihre eigene Verteidigung investieren: "Ich möchte, dass sie aufschließen, denn sie tragen viel weniger (zur NATO, d. R.) bei als wir."

Darin zumindest stimmen die baltischen Staaten mit dem US-Präsidenten überein. Auch sie haben die europäischen Partner aufgefordert, ihre Verteidigungshaushalte zu erhöhen. Im Jahr 2024 steckten Estland 3,43 Prozent, Lettland 3,15 Prozent und Litauen 2,85 Prozent ihres BIP in die Landesverteidigung. Damit lagen sie beim Verhältnis der Verteidigungsausgaben zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf den Plätzen zwei, vier und sechs unter den NATO-Staaten. Angesichts der jüngsten Entwicklungen in der Ukraine und der Beziehungen zwischen den USA und Russland haben sie sich alle drei verpflichtet, ihre Verteidigungsausgaben auf fünf Prozent des BIP zu erhöhen.

Die baltischen Staaten versuchten, zwei unterschiedliche Kommunikationslinien in Einklang zu bringen, sagt Tomas Jarmalavicius, Studienleiter am Internationalen Zentrum für Verteidigung und Sicherheit in der estnischen Hauptstadt Tallinn: "Die eine Linie besagt, dass die USA nach wie vor engagiert und ein wichtiger Verbündeter Europas und des Baltikums sind. Die zweite besagt, dass wir unsere Hilfe für die Ukraine erhöhen müssen, damit sie siegt und erfolgreich den Druck auf Russland erhöhen kann - und dass wir natürlich auch die Investitionen in die europäische Verteidigung aufstocken."

Dies gerate allerdings zusehends zum Spagat, so Jarmalavicius: "Wir werden irgendwann vor dem Dilemma stehen, ob wir die Ukraine weiter unterstützen, oder versuchen, die USA im Boot zu halten. Denn es wird einen Punkt geben, an dem beides nicht mehr möglich sein wird."

Der estnische Ministerpräsident Kristen Michal gab sich im Gespräch mit der DW zuversichtlich, dass dies gelingen kann: "Glücklicherweise muss sich kein NATO-Land zwischen der NATO und anderen Optionen entscheiden, denn meiner Meinung nach funktioniert die NATO."

Sein Land werde weiterhin auf möglichst vielfältige Arten mit den Vereinigten Staaten zusammenarbeiten - vor allem in Bezug auf die Ukraine. Wohlwollend betrachtet, sagt Michal, würden auch die USA und die Ukraine weiterhin versuchen, sich zu einigen. Ein Gipfeltreffen zwischen Trump und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj über einen Austausch von Bodenschätzen und gegen Sicherheitsgarantien führte zu einem Eklat. "Europa kann der Ukraine einen Teil dieses Schutzes und dieser Finanzierung zur Verfügung stellen, aber die Vereinigten Staaten müssen auch daran beteiligt werden", so Michal.

Michal kann Trumps Druck auf Europa durchaus etwas Positives abgewinnen: "Wenn man wohlhabend ist und in seiner Region von Russland bedroht wird, muss man zur Verteidigung beitragen. In diesem Sinne hätten die Alarmglocken schon vor langer Zeit und auch ohne Trump läuten müssen."

Aus Sicht von Andzejs Viļumsons, Staatssekretär im lettischen Außenministerium, ist es noch zu früh, um konkrete Schlussfolgerungen zu Trumps jüngstem Vorgehen zu ziehen: "Ich denke, alle Signale, die wir aus Washington aufschnappen, auch in der Öffentlichkeit, zeigen, dass dies Teil der Verhandlungstaktik mit den Ukrainern ist. Das gibt mir Hoffnung, dass dies nichts Definitives und Unveränderliches ist", sagte Viļumsons der DW.

Einen Grund zu der Annahme, das Weiße Haus stehe plötzlich auf der Seite des Kremls, sehe er nicht: "All die Gespräche, die wir mit der neuen Regierung oder dem Außenminister geführt haben, lassen uns nicht glauben, dass die USA uns im Stich lassen oder plötzlich Freunde Russlands geworden sind", so Viļumsons.

Linas Kojala, Direktor des Zentrums für Geopolitik und Sicherheitsstudien in der litauischen Hauptstadt Vilnius, sieht das Wohlwollen der baltischen Staaten gegenüber den USA kritischer. Wenn es eine Alternative zu den USA gäbe, sagt er, würde ihre Reaktion der baltischen Staaten auf Trump wohl ganz anders ausfallen. "Einige der Äußerungen sind sehr schwer zu ertragen und sie widersprechen den direkten Interessen der Ukraine."

Aber die USA seien als Sicherheitspartner derzeit unersetzlich: "Das Baltikum ist auf einem Schiff mitten auf dem Ozean und das Schiff wird von den USA gesteuert. Wir können vom Schiff springen, aber es ist kein anderes in Sicht." Mit ausreichend Geld und politischem Willen könne Europa die Führungsrolle vielleicht in einigen Jahren selbst übernehmen, sagt Kojala. "Aber zunächst müssen wir alles Notwendige tun, um die Beziehungen zu den USA zu retten."

Künftig wollen sich die baltischen Staaten auf das konzentrieren, was sie beeinflussen können: die Unterstützung der Ukraine, die eigene Verteidigungsfähigkeit sowie die Zusammenarbeit mit europäischen Verbündeten wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Ein positives Signal dafür sendete kürzlich die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, in dem sie einen EU-Verteidigungsplan über 800 Milliarden Euro ankündigte.

Vor einem halben Jahr noch, erzählt Kristen Michal, habe er von der Leyen angetragen, die Regeln für die Verteidigungszusammenarbeit in der EU zu erleichtern. Damals habe die EU-Chefin ihm gesagt, sie sehe dafür keine Möglichkeit. Nun habe er sie darauf angesprochen und gesagt: "Jetzt haben wir es endlich geschafft."

Von Henry Allik

Das Original zu diesem Beitrag "Zwingt Trumps Ukraine-Krieg das Baltikum in einen Spagat?" stammt von Deutsche Welle.