Im Fall ihrer Großeltern bleibt wohl nur eine Wahl: „Wir müssen ihr Haus verkaufen. Was anderes steht gar nicht zur Debatte, denn die Rente der beiden reicht hinten und vorne nicht, und das bisschen Ersparte auch nicht.“
Die Oma kriegt knapp 900 Euro Rente, der Opa 1300. Zusammen also 2200 Euro – aber 6000 Euro sollen sie zuzahlen für einen Heimplatz. Das entspricht dem derzeitigen bundesweiten Durchschnitt von rund 3000 Euro Eigenanteil pro Person für einen stationären Pflegeplatz.
„Wenn das Geld aus dem Hausverkauf alle ist, müssen wir aufs Sozialamt und einen Antrag stellen, dass der Staat die Heimkosten übernimmt.“
Anne Wrona: „Eigentlich wollen wir, dass die beiden in ihrer vertrauten Umgebung bleiben können.“ Aber es ist unwahrscheinlich. Bislang hat die Oma ihren Mann, der unter Senilität leidet, zu Hause gepflegt. Jetzt wurde bei ihr Krebs im fortgeschrittenen Stadium festgestellt. „Es ist eine Frage von wenigen Monaten oder nur Wochen, wo das Ganze kippen wird“, sagt Wrona. „Meine Oma schafft es nicht mehr.“
Pflege-Expertin: „Ich könnte mir keinen Heimplatz leisten"
Die Enkelin, die sich von Berufs wegen gut mit Formularen auskennt, hat etliche Anträge ausgefüllt und ihre Großeltern, die seit 60 Jahren verheiratet sind, auf Wartelisten setzen lassen. Offene Plätze gibt es aktuell nicht. „Die Pflegeheime sind voll.“
Ist das nicht deprimierend? Man arbeitet ein ganzes Leben lang hart, spart etwas an, baut sich ein Häuschen – nur, um am Ende alles in seine Alterspflege zu stecken?
Anne Wrona überlegt kurz. Dann sagt sie: „Am Ende ist das Haus weg. Es bleibt nicht in der Familie.“ Ja, das sei traurig. Auf der anderen Seite: „Die Großeltern haben sich das aufgebaut. Und wenn das Geld jetzt dafür benötigt wird, dass sie es auf ihrem letzten Lebensabschnitt noch schön haben und gut versorgt werden, dann ist das völlig okay.“
Die 38-jährige Thüringerin weiß, dass auch sie irgendwann vor dem Pflege-Problem stehen wird wie jetzt ihre Großeltern. Zwar verdient die Mutter von zwei Söhnen (11 und 14 Jahre) gut. Von den monatlich 4200 Euro brutto bleiben ihr 2900 Euro netto. Davon könne sie gut leben, sagt Wrona. „Ich bin mit meinem Gehalt zufrieden.“
Doch schon beim Blick auf ihre künftige Rente von etwa 1800 Euro wird klar: „Ich könnte mir keinen Heimplatz leisten. Ich weiß, dass ich zum Sozialamt muss. Das ist ein schwerer Gang, keine Frage.“
Dass man später im Notfall aufgefangen wird und nicht unter der Brücke landet, sei zwar beruhigend. „Aber es ist nicht schön, dass am Ende der Staat einspringen muss. Und es ist auch nicht fair, dass ein Pflegeheimplatz so teuer ist und ich ihn aus meiner privaten Tasche bezahlen muss, obwohl ich mein Leben lang in die Pflegekassen eingezahlt habe.“
Was die Eigenbeteiligung für den Pflegeplatz betrifft, steht für Anne Wrona fest: „Da muss die neue Bundesregierung die Bremse reinhauen, der Betrag muss gedeckelt werden.“
Eigenanteil für Heim mittlerweile bei 3000 Euro im Monat
Seit 1. Januar 2025 zahlen Pflegebedürftige für das erste Jahr im Heim monatlich durchschnittlich 2984 Euro aus der eigenen Tasche hinzu. Wenn ihre Renteneinkünfte dafür nicht reichen, müssen sie ihr Erspartes angreifen.
Sind die eigenen Reserven bis auf höchstens 10.000 Euro verbraucht, übernimmt das Sozialamt die verbleibenden Kosten. Vorher prüft die Behörde allerdings, ob Kinder für ihre pflegebedürftigen Eltern zahlen können. Sie sind jedoch erst zum Unterhalt verpflichtet, wenn ihr Jahresbruttoeinkommen 100.000 Euro übersteigt.
Die Finanzierungsprobleme ließen – und lassen – sich offenbar auch nicht durch immer höhere Abgaben lösen. Erst Anfang 2025 wurde der allgemeine Beitragssatz der Pflegeversicherung stark angehoben – auf nunmehr 3,6 Prozent des Bruttoeinkommens. Die Bürger zahlen also schon jetzt viel Geld in die Pflegekasse, dennoch steigt ihr Eigenbeitrag im Pflegefall kontinuierlich.
Grundsätzlich findet die junge Mutter das deutsche Pflegesystem gut – und trägt gemeinsam mit ihrem Team dazu bei, dass es funktioniert. In ihrer Einrichtung in Gera scheint alles in bester Ordnung. Bei seinen regelmäßigen strengen Qualitätsprüfungen stellte der Medizinische Dienst in den vergangenen Jahren keinerlei Mängel fest, alles tipptopp.
„Wir sind 13 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Tagespflege“, sagte Anne Wrona. Aktuell kümmern sie sich um insgesamt 56 Frauen und Männer, 45 von ihnen haben eine Demenz-Erkrankung. Manche von ihnen kommen einmal in der Woche, andere mehrmals. Maximal 30 Patienten dürfen pro Tag in der Einrichtung sein. Wrona nennt sie liebevoll „unsere Gäste“.
Ein Fahrdienst vom ASB holt sie gegen acht Uhr morgens ab und bringt sie am Nachmittag gegen vier wieder nach Hause. In der Tagespflege genießen die Rentner einen „All-inclusive-Service“, so Wrona.
Dazu gehören: frisch zubereitetes Frühstück, Mittagessen, Nachmittags-Kuchen. Den backen die Gäste übrigens gemeinsam mit den Betreuerinnen. Sie können Gymnastik machen, Sport treiben, fernsehen, sich ausruhen, schlafen, spielen, spazieren, basteln, Handwerksarbeiten erledigen – „alles, was sie möchten“. Auch regelmäßige Ausflüge in den Zirkus, ins Café, ins Museum oder ins Einkaufszentrum stehen auf dem Programm.
„Es muss für die Patienten noch viel individueller werden"
„Weil wir Schwestern immer nicht wussten, wo wir unsere Jacken hinhängen sollen, hat uns ein Patient sogar eine Garderobe gebaut“, berichtet Anne Wrona lächelnd. Die Freude ist ihr anzumerken – über die nette Begebenheit, über ihren Job insgesamt. „Es war schon immer mein Traumberuf“, sagt sie. Sie kennt ihren Job von der Pike auf, hat alle Stationen durchlaufen.
Nach der Regelschule absolvierte sie ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Klinik und danach eine dreijährige Ausbildung zur Krankenschwester. Dann der Wechsel in die Altenpflege – zunächst im ambulanten Dienst, später im Heim, schließlich die Ausbildung zur Pflegedienstleiterin.
Die ersten Jahre arbeitete Wrona rund um die Uhr. „Ich habe alle Schichten gemacht: nachts, am Wochenende, an Feiertagen, Weihnachten, Silvester.“ Irgendwann kam der Punkt, an dem sie sagte: Jetzt ist Schluss, ich muss mich um meine Kinder kümmern. Heute kann sie pünktlich Feierabend machen. Die Tagespflege endet 17 Uhr, dann wird die Einrichtung geschlossen.
Im Moment, sagt die junge Frau, möchte sie neben ihrer verantwortungsvollen Arbeit „das Leben genießen“, um die Welt reisen, Neues entdecken – so lange wie möglich. Irgendwann wird das nicht mehr gehen, und vielleicht muss sie selbst in einem Pflegeheim betreut werden. „Ja, das kann ich mir gut vorstellen.“
Allerdings hat sie einen Wunsch: „Es muss für die Patienten noch viel individueller werden – ohne extrem starre Zeiten für Essen, Körperpflege oder Beschäftigungen.“
Sie selbst wolle später nicht geweckt werden, sondern nach dem Aufwachen „selbst klingeln“. Wrona: „Dann möchte ich, dass mir jemand den Morgenmantel anzieht, mir einen Kaffee in die Hand drückt und mich an die frische Luft fährt – und gegen um zehn, halb elf können wir drüber reden, wie der Tag weitergeht.“