Führung bedeutet nicht nur Mut, sondern auch das sichere Gespür für den richtigen Zeitpunkt und die richtige Konstellation in Machtspielen. Wenn Wolodymyr Selenskyj am geplanten Gipfel zwischen Donald Trump und Wladimir Putin im US-Bundesstaat Alaska teilnehmen sollte, wäre das ein strategischer Fehler von historischem Ausmaß.
Denn in Verhandlungssituationen hat eine Dreierdynamik immer erhebliche Tücken – das weiß jeder, der einmal in einer Verhandlung mit drei Personen an einem Tisch saß.
Die Versuchung – und ihre trügerische Logik
In den westlichen Hauptstädten gibt es eine stille Panik: Was, wenn Trump und Putin allein verhandeln – und über den Kopf der Ukraine hinweg Fakten schaffen?
Trumps jüngste Aussage, die Ukraine müsse „realistisch“ über territoriale Zugeständnisse nachdenken, hat diese Angst verschärft.
Kishor Sridhar ist angesehener Berater, Keynote-Speaker und Autor, spezialisiert auf Change Management, Führung und Digitalisierung. Er unterstützt Führungskräfte bei Transformationsprozessen und lehrt an der ISM in München. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.
Zudem ist Trump berüchtigt dafür, dass er inhaltlich oft der Meinung desjenigen folgt, mit dem er zuletzt gesprochen hat. Kombiniert mit seiner offen gezeigten Sympathie für Putin ergibt das für viele westliche Strategen ein bedrohliches Szenario.
Die Hoffnung mancher in Europa: Wenn Selenskyj persönlich vor Ort ist, kann er die ukrainische Position direkt einbringen und Trump vielleicht noch umstimmen. Doch genau hier liegt der Denkfehler – weil man die Dreierdynamik von Verhandlungssituationen nicht beachtet.
Was Dreierkonstellationen in der Verhandlungstheorie so gefährlich macht
In der Verhandlungslehre gilt die „Koalitionslogik“: In einem Dreiergespräch neigen zwei Parteien dazu, sich auf Kosten der dritten zu verbünden – insbesondere, wenn zwischen den beiden eine Macht- oder Statussymmetrie besteht. In der Wirtschaftspraxis lässt sich das beobachten, wenn sich zwei große Anteilseigner auf eine Linie bringen und den Minderheitsgesellschafter vor vollendete Tatsachen stellen.
Übertragen auf Alaska: Trump und Putin sind – bei allen Unterschieden – Männer mit ausgeprägtem Dominanzverhalten, die einen kleineren, von ihnen abhängigen Partner schnell in die Rolle des Prügelknaben drängen. Für Selenskyj lauern gleich mehrere Gefahren:
1. Der Prügelknabe-Effekt
Legendär ist die Szene aus dem Weißen Haus, als Trump und sein Vize J.D. Vance Selenskyj öffentlich abkanzelten – wie ein Direktor und ein Lehrer einen frech gewordenen Schüler. Diese Demütigung war kein Ausrutscher, sondern Teil von Trumps Verhandlungsstil: Statusgefälle herstellen, um psychologische Oberhand zu gewinnen. Auch Putin ist jemand, der Gesprächspartner gerne einmal düpiert – wenn auch subtiler und mit einer Portion Sarkasmus.
In jeder Dreierkonstellation gibt es die Dynamik, dass zwei enger zusammenrücken, wenn sie ein gemeinsames Interesse haben. Das Interesse von Machtmenschen mit Dominanzgebaren ist es, sich mit dem Stärkeren auf Kosten des Schwächeren zu verbünden. Selenskyj wäre schnell der Prügelknabe.
2. Geduld gegen Ungeduld – mit Putins Vorteil
Trump denkt in Schlagzeilen. Selenskyj hat gelernt, in Jahren zu denken. Putin denkt in Generationen. In der Wirtschaft würde man sagen: Das ist ein CEO im Quartalszahlen-Modus gegen einen Langfristinvestor – mit einem Großaktionär, der auf seine Chance wartet.
Trump ist notorisch ungeduldig und möchte schnelle „Deals“ präsentieren – am liebsten solche, die ihn als Friedensbringer ins Rampenlicht stellen und ihm den Weg zum Friedensnobelpreis ebnen. Selenskyj hingegen hat in über zwei Jahren Krieg gelernt, politische wie militärische Ausdauer zu kultivieren. Putin ist der Meister des langen Atems, aber er besitzt auch eine weitere Stärke: Er hat eine ruhige Hand.
Oft lässt er andere sich untereinander streiten, um dann erst zum Schluss einzugreifen, wenn schon beide geschwächt sind. Die Verhandlungsdynamik könnte also schnell kippen – von Ukraine und USA vs. Russland zu Ungeduld (Trump) vs. Geduld (Selenskyj) – mit Putin als lachendem Dritten, der dann einfach Trumps Ungeduld aufgreifen und einen schnellen Deal zu seinen Gunsten erzielen kann.
3. Der Katzentisch
In Unternehmensfusionen passiert es regelmäßig: Die Hauptverhandler klären die Eckpunkte unter sich, laden den kleineren Partner am Ende dazu – und lassen ihn nur noch unterschreiben.
Ein klassisches Muster in asymmetrischen Dreiergesprächen: Die mächtigeren Partner verhandeln zunächst bilateral und holen den Dritten erst dazu, wenn die Kernpunkte entschieden sind. Lehnt dieser ab, gilt er als Spielverderber. Putin könnte fortan immer behaupten, dass er doch Frieden wollte – nur die Ukraine nicht.
Trumps Gunst hätte Selenskyj auf immer verloren, denn schließlich hätte er dem amerikanischen Präsidenten die schönen Bilder einer Unterschrift unter ein Abkommen und die Chance auf den Friedensnobelpreis geraubt.
Nimmt Selenskyj die diktierten Bedingungen jedoch an, so akzeptiert er implizit die Vorgaben der anderen – ohne echte Einflussmöglichkeit. Für ihn wäre das der ultimative Lose-Lose-Moment: Entweder er gilt in der internationalen Öffentlichkeit als derjenige, der „den Frieden blockiert hat“, oder er unterschreibt etwas, das seine Position massiv schwächt.
Die Europäer bauen schon vor
Europäische Politiker haben hier bereits vorgebaut. Einerseits haben sie Trump die öffentliche Aussage abgerungen, dass in Alaska keine Abkommen verhandelt werden. Ob er sich daran hält, steht jedoch auf einem anderen Blatt.
Ob Selenskyj nach Alaska kommt, lässt er im Dunkeln – so kann er die Welt wenigstens noch ein wenig rätseln lassen.
Und Putin? Putin wird sich amüsieren, denn bereits jetzt funktioniert die subversive Beeinflussung durch kleine psychologische Gedankenspiele und Manöver zu seinen Gunsten.
Fernbleiben ist manchmal die stärkste Waffe
Die Alaska-Situation ist ein klassisches Beispiel dafür, warum es manchmal sinnvoll ist, einer Verhandlung fernzubleiben oder den Zeitpunkt und die Konstellation neu zu bestimmen. In der Verhandlungstheorie nennt man das die „Power of No-Show“:
Wer nicht erscheint, gibt den anderen die Bühne – aber nicht das Mandat.
Selenskyj könnte die Diskussion verschieben, Bedingungen stellen und seine Botschaft direkt mit anderen europäischen Staatschefs an die Öffentlichkeit und an Trump senden – ohne in die Falle der Dreierdynamik zu tappen
Dieser Beitrag stammt aus dem EXPERTS Circle – einem Netzwerk ausgewählter Fachleute mit fundiertem Wissen und langjähriger Erfahrung. Die Inhalte basieren auf individuellen Einschätzungen und orientieren sich am aktuellen Stand von Wissenschaft und Praxis.