Solarschwemme aus China: Große Teile der Branche lehnen Strafzölle ab

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Solarfertigung in China: Konkurrenz für die einen, günstiger Zulieferer für die anderen. © Nurfoto/CFOTO/IMAGO

Europas Solarfirmen sind unterschiedlich betroffen von der günstigen Konkurrenz aus China. Während die Hersteller leiden, profitieren etwa Verkäufer. Das sorgt für Streit.

Die europäische Fotovoltaikbranche ringt derzeit um den Umgang mit der übermächtigen Konkurrenz aus China. Seit dem Sommer sind die Preise für Solaranlagen aufgrund eines Überangebots aus der Volksrepublik binnen kurzer Zeit auf ein Rekord-Tief gestürzt. Manche Politiker und Firmen fordern daher Handelsbeschränkungen gegen China. Doch große Teile der Branche halten das für eine schlechte Idee.

So haben sich 429 Solarfirmen aus ganz Europa vor wenigen Tagen in einer gemeinsamen Erklärung an EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton gegen Handelsschutzmaßnahmen und Extrazölle ausgesprochen. „Wir sind entsetzt über die Gerüchte, dass eine Handelsschutzuntersuchung im Solarbereich eingeleitet werden könnte“, sagte Walburga Hemetsberger, Geschäftsführerin des Branchenverbandes SolarPower Europe, der den Aufruf koordinierte. „Wir haben bessere, schnellere und effektivere Lösungen für die Krise. Europa darf seine Klima- und Energiesicherheitsziele nicht verraten.“

Solarbranche in der Krise: Zielkonflikt für die EU

Vor allem Firmen im Downstream-Segment, also Verkäufer von Anlagen oder Solar-Installateure, wehren sich gegen Handelsbeschränkungen. Sie befürchten dadurch im Einkauf steigende Preise. Handelsbeschränkungen würden sich direkt auf den Markt auswirken, sagt Markus Meyer, Direktor für Politik und Regulierung bei dem Berliner Solar-Startup Enpal, das Anlagen an Endkunden verkauft oder vermietet – und die Erklärung unterschrieben hat. Enpal verbaut ausschließlich chinesische Solarmodule. „Wir und viele unserer Wettbewerber müssten massiv Stellen abbauen“, so Meyer zu IPPEN.MEDIA.

84 Prozent der rund 648.000 Jobs in der europäischen Fotovoltaik-Industrie sitzen nach der Erklärung von SolarPower Europe heute in diesem Downstream-Segment. Bis 2025 könnten es demnach mehr als eine Million Jobs werden – wenn es keine Strafzölle gibt. Natürlich drohen Firmen und Verbände bei unliebsamen Maßnahmen gerne mit Arbeitsplatzabbau. Doch in diesem Fall haben sie die Erfahrungen auf ihrer Seite. Denn 2013 hatte die EU schon einmal Antidumping- und Ausgleichszölle auf Solarmodule aus China, Taiwan und Malaysia verhängt. Die durch den Preiskampf mit China bereits angeschlagene Branche ging dadurch vollends unter, weil die Nachfrage aufgrund der gestiegenen Preise sank.

2018 schaffte Brüssel die Zölle daher wieder ab. „Arbeitsplätze im Solarbereich, Projektinvestitionen und die Installation von Solarmodulen waren während der Geltungsdauer dieser Handelsschutzmaßnahmen stark zurückgegangen“, begründet die Erklärung der Solarfirmen ihre Ablehnung von Strafzöllen.

Zielkonflikt der EU: Resilienz des Solarsektors und eine günstige Energiewende?

Die EU befindet sich bei alldem in einem klassischen Zielkonflikt: Dem Ziel der strategischen Unabhängigkeit durch den Wiederaufbau eines eigenen Solarsektors steht das Ziel eines raschen und kostengünstigen Fotovoltaik-Ausbaus entgegen. Dieser wäre auch mittelfristig nur inklusive chinesischer Solarmodule zu bewerkstelligen. Chinas Weltmarktanteil bei Solarmodulen und Solarzellen liegt bei etwa 90 Prozent. In Deutschland kamen 2022 nach Angaben des Statistischen Bundesamts rund 87 Prozent der Fotovoltaikanlagen aus der Volksrepublik. Fast alle Anlagenverkäufer oder Installateure nutzen also chinesische Solarmodule und Zellen, vor allem weil es kaum etwas anderes gibt.

Die zentralen EU-Vorhaben reflektieren dieses Dilemma: Bis 2030 will Brüssel den Anteil der Erneuerbaren an der Energieerzeugung auf mindestens 42,5 Prozent erhöhen. Und zugleich sollen ab 2030 nach dem geplanten NetZero Industry Act der EU-Kommission mindestens 40 Prozent aller Fotovoltaikanlagen im europäischen Inland produziert werden. Doch beide Ziele gleichzeitig kann Brüssel kaum erreichen.

EU-Solarfirmen fordern finanzielle Hilfen aus Brüssel

Peking subventioniert seinen Solarsektor seit Jahren. Derzeit ziehen die USA nach – da ist es kein Wunder, dass die EU-Firmen nun auch staatliche Unterstützung fordern, als Antwort auf die Industriepolitik der anderen. So fordert die Erklärung von SolarPower Europe:

  • eine Anpassung der EU-Regeln für staatliche Beihilfen, damit die Mitgliedstaaten Betriebskosten von Fabriken unterstützen dürfen – was bisher nur im Ausnahmefall erlaubt ist;
  • eine Mandatierung für spezifische Resilienz-Ausschreibungen in den Mitgliedsstaaten, in denen auch Nicht-Preis-Kriterien für lokale Produkte enthalten sind;
  • ein neues Finanzierungsinstrument auf EU-Ebene zur Unterstützung von Projekten zur Solarproduktion in Europa.

Markus Meyer von Enpal befürwortet vor allem die Resilienz-Ausschreibungen wegen der marktwirtschaftlichen Komponenten dieses Systems. „Der Gesetzgeber könnte sagen, wir haben hier ein Gigawatt aus europäischen Zellen oder Modulen mit Mindest-Local Content.“ Dabei führe eine Positivliste auf, welche Module oder Komponenten förderfähig sind. „Das System berücksichtigt dabei die zusätzlichen Kosten, die ich durch europäische Produkte habe.“

Meyer ist auch deshalb gegen Zölle, weil er das Dumping-Narrativ der Befürworter für zweifelhaft hält. Dumping bedeutet, dass jemand seine Ware zu Preisen unterhalb der Produktionskosten verkauft. Tatsächlich kursieren in der Branche verschiedene Daten zu den Produktionskosten in China. „Es gehört halt zur Wahrheit dazu“, so Meyer, „dass die europäischen Produkte unglaublich viel teurer sind als die chinesischen.“

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