696 Milliarden Euro für Erneuerbare Energien: Hätte uns die Atomkraft weniger gekostet?

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Die Energiewende kostet Deutschland laut einer Studie 696 Milliarden Euro. Wäre Atomkraft die günstigere Option gewesen? Forscher des Fraunhofer-Instituts zweifeln an der Rechnung.

Karlsruhe - Wäre es für Deutschland besser gewesen, anstatt in Solar- und Windenergie weiterhin auf Atomkraft zu setzen und dadurch 600 Milliarden Euro weniger auszugeben? Diese Frage stellte der norwegische Wissenschaftler Jan Emblemsvåg in einer Studie, die im International Journal of Sustainable Energy veröffentlicht wurde. Laut seiner Berechnungen hat Deutschland zwischen 2002 und 2022 insgesamt 696 Milliarden Euro in Solar- und Windenergie investiert. Im Gegensatz dazu schätzt er die Kosten für den Betrieb und die Weiterentwicklung der Atomkraft auf 364 Milliarden Euro. Zudem behauptet Emblemsvåg, dass die Treibhausgasemissionen stärker gesunken wären, wenn auf Atomkraft gesetzt worden wäre.

Forscher kritisieren die Rechnung als „grundlegend falsch“: Subventionen für Erneuerbare doppelt gezählt

Vier Wissenschaftler des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI haben auf diese Studie reagiert und kritisiert, dass Emblemsvågs Berechnungen „auf einem grundlegenden methodischen Fehler“ beruhen.

Emblemsvåg hat die Kosten für den Ausbau erneuerbarer Energien berechnet, indem er die Investitionen der Betreiber in erneuerbare Anlagen und die Kosten für deren Betrieb und Wartung zusammengezählt hat. Dies ergibt eine Summe von 387 Milliarden Euro. Allerdings stellt er auch eine mangelnde Transparenz bei den Wartungs- und Betriebskosten auf, weshalb er nur auf Schätzungen zurückgreifen könne.

Der kritische Punkt aus Sicht der Fraunhofer-Forscher ist, dass Emblemsvåg die Subventionen für den Ausbau der Erneuerbaren zusammengezählt hat und zu den 387 Milliarden Euro hinzugefügt hat. Er selbst gibt in seiner Studie zu: „Hier kommen wir zu einer methodischen Herausforderung, um doppelte Zählungen zu vermeiden“. Es sei schwierig zu bestimmen, welche Subventionen zur Refinanzierung von Investitionen verwendet wurden und welche als Gewinn verbucht werden konnten. Trotz der Bedenken hat er genau das getan: Er hat 309 Milliarden Euro an Subventionen zu den Investitions- und Wartungskosten hinzugefügt.

Atomkraft wäre laut Norweger günstiger gewesen - Vergleich zwischen Deutschland und China?

Die Forscher des Fraunhofer Instituts erklären, warum dies nicht funktioniert: „Um die Grundsätzlichkeit dieses Fehlers anhand eines einfachen Beispiels zu illustrieren: Nehmen wir an, ein Student kauft sich ein Auto und zahlt dafür monatliche Raten in Höhe von 300 Euro. Die Eltern unterstützen den Autokauf des Studenten mit 200 Euro im Monat. Emblemsvågs Logik folgend kostet das Auto nun monatlich 500 Euro.“

Bei der Betrachtung der Kernenergie geht Emblemsvåg anders vor. Er berechnet nur die Kosten für den Betrieb der bestehenden Atomkraftwerke in Deutschland und kommt auf 91 Milliarden Euro. Laut Emblemsvåg hätte jedoch nur der Betrieb der bestehenden Anlagen wenig zur Energiewende beigetragen. Stattdessen wären neue Anlagen notwendig gewesen, um eine bessere Klimabilanz und eine höhere Stromproduktion zu erreichen.

Zahlreiche Schaulustige fotografierten das Geschehen.
Zahlreiche Schaulustige fotografierten die Sprengung der Kühltürme eines deutschen Atomkraftwerks. © IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Um die Kosten für den Bau neuer Kraftwerke zu berechnen, muss er sich auf Beispiele aus dem Ausland stützen. Er schätzt, dass Deutschland rund 364 Milliarden Euro für neue Kraftwerke ausgegeben hätte, basierend auf Beispielen aus Finnland, den Vereinigten Arabischen Emiraten und China. Warum er gerade diese Länder - die mit Deutschland eigentlich nicht vergleichbar sind - gewählt hat, erläutert der Forscher nicht.

Das Ergebnis vergleicht er dann mit den 600 Milliarden Euro, die tatsächlich bis 2022 für die Energiewende ausgegeben wurden. Der Vergleich sollte jedoch eigentlich lauten: rund 364 Milliarden Euro gegenüber etwa 387 Milliarden Euro.

Kosten für die Erneuerbaren Energien mutmaßlich überschätzt

Die Autoren des Fraunhofer-Instituts kritisieren diese Methodik als „grundlegend falsch“. Sie vermuten auch weitere Fehler in der Studie, die sie in ihrer kurzen Kritik nicht behandeln konnten. „Allerdings zeigen sich auch im Hinblick auf die verwendeten Daten mögliche Fehler, z.B. scheinen die Investitionen für die Windenergie im Jahr 2002 deutlich (etwa um den Faktor vier) überschätzt zu sein. Aufgrund des prinzipiell falschen methodischen Vorgehens erscheint jedoch eine Detailanalyse der Daten nicht zielführend“, so ihre Stellungnahme.

Auf Nachfrage des Spiegels räumt Emblemsvåg ein, dass eine „Gefahr einer gewissen Doppelzählung“ besteht. Er beharrt jedoch auf seiner Aussage und behauptet, seine Berechnungen für die Investitionen in die Energiewende seien „höchstwahrscheinlich konservativ“. Er hat beispielsweise die Kosten für den Ausbau der Stromnetze nicht berücksichtigt.

Bau von Atomkraftwerken im Ausland nicht immer reibungslos

Es ist jedoch keineswegs sicher, ob der Bau neuer Kraftwerke tatsächlich so reibungslos verlaufen wäre, wie der Norweger in seiner Analyse behauptet. Ein Blick nach Großbritannien zeigt zum Beispiel, dass der Bau des neuen Atomkraftwerks Hinkley Point C voraussichtlich zwölf Jahre dauern wird und bereits jetzt 50 Milliarden Euro gekostet hat, wie die britische Zeitung The Guardian berichtet. Der Betreiber, der französische Staatskonzern EDF, sucht derzeit nach einem Investor, der weitere fünf Milliarden Euro bereitstellen soll.

Es gibt jedoch auch Länder, die mit der Atomkraft Fortschritte gemacht haben und in denen fossile Energieträger wie Öl, Gas und Kohle keine Rolle mehr im Strommix spielen. Dies trifft beispielsweise auf die Slowakei zu, die rund 60 Prozent ihres Stroms aus Atomkraft bezieht und weitere 20 Prozent aus Wasserkraft. Fossile Energieträger machen weniger als zehn Prozent aus, und das Land hat den Ausstieg aus der Kohle gerade auf 2023 vorgezogen.

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