Grundwasserstress in Deutschland: Welche Landkreise besonders betroffen sind

Südhessen, Darmstadt: Ein Wald liegt im Sterben. Der Boden ist ausgedörrt, 13.000 Hektar Bäume verdursten. Vor dem Verwaltungsgericht geht es um eine zentrale Frage: Zieht der Wasserverband Hessen zu viel Grundwasser – und treibt damit das Waldsterben weiter an?

620 Kilometer nordöstlich, bei Berlin: Der Wasserverband Strausberg-Erkner schreibt den Menschen inzwischen vor, wie viel Wasser sie täglich verbrauchen dürfen. Wer mehr nimmt, zahlt Bußgeld. Die Region, Heimat der Tesla-Gigafactory, kämpft seit Jahren mit knappen Reserven – Bürger, Industrie und Politik ringen um jeden Kubikmeter.

344 Kilometer weiter westlich, in der Lüneburger Heide: Landwirte pumpen mehr Wasser zur Feldbewässerung, als sich natürlich erneuern kann. Eigentlich gäbe es genug Grundwasser – doch ein Teil fließt in andere Regionen ab. Hamburg fordert seit Jahren 17 Prozent mehr Wasser. Der örtliche Wasserverband hält dagegen, beruft sich auf alte Nutzungsrechte. Das Verwaltungsgericht Lüneburg gibt ihm Recht. Hamburg legt Berufung ein.

Und 505 Kilometer südlich, in Ludwigshafen: Die Grundwasserspiegel sinken. Die Chemieindustrie darf laut SWR-Recherche jährlich 26 Millionen Kubikmeter entnehmen – und schöpft diese Rechte fast vollständig aus. Die Folge: Mehr Wasser raus, als nachkommt. Auch das trägt erheblich zum Grundwasserstress in der Rheinregion bei.

Zeitraffer: Die Dürre der letzten 12 Monate in Deutschland
Im Zeitraffer: Die Dürre der letzten 12 Monate in Deutschland Helmholtz-Institut

Eine alte Wasser-Gewissheit

Deutschland gilt als wasserreiches Land – noch. Denn der Wasserhaushalt gerät zunehmend aus dem Takt. Wälder trocknen aus, Flüsse führen weniger Wasser, vielerorts sinken die Grundwasserspiegel. Fast jeder zweite Landkreis ist betroffen. Industrie, Landwirtschaft und Bürger konkurrieren zunehmend um eine Ressource, die lange selbstverständlich schien: unser Wasser. 

Was zunächst nach regionalen Engpässen aussieht, ist Teil einer viel größeren Entwicklung. Der Klimawandel beschleunigt sie. Ein Dürrejahr folgt dem nächsten, dann wieder tagelanger Starkregen. Zu viel auf einmal.

Versiegelte Flächen, ausgeräumte Landschaften und fehlende Rückhaltebecken verhindern, dass Regen versickert. Die Böden können das Wasser nicht aufnehmen, es fließt in die Flüsse und schließlich ins Meer – fürs Grundwasser bleibt kaum Nachschub.

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„Eine neue Normalität“

„Deutschlands Wasserhaushalt gerät aus dem Gleichgewicht“, sagt Hydrologe Dietrich Borchardt zu FOCUS online Earth. „Wir erleben eine neue Normalität: lange Trockenzeiten, gefolgt von heftigen Regenfällen. Das Grundwasser kann sich kaum noch erholen. Das wird unsere Landwirtschaft, unsere Wirtschaft und unser tägliches Leben massiv beeinflussen.“

Das Jahr 2025 zeigte bereits, was der Experte meint: Im Frühjahr blieben Niederschläge aus, Felder und Böden vertrockneten, viele Landkreise verboten Wasserentnahmen. Flüsse und Seen führten zu wenig Wasser, die Binnenschifffahrt musste eingeschränkt werden – mit Folgen bis in die Lieferketten. 

Dann brachte der Sommer Starkregen. Eine kurze Erleichterung für die Vegetation, nicht aber fürs Grundwasser. „Das meiste Wasser floss rasch ab oder verdunstete“, so Borchardt. „Für tiefere Bodenschichten kam kaum etwas an.“ Sein Fazit: „Es ist ein weiteres Jahr hydrologischer Extreme. Das Pendel schlägt unaufhörlich zwischen zu wenig und zu viel Wasser.“

Ein Land im Wasserstress

Deutschland bezieht rund 70 Prozent seines Trinkwassers aus dem Grundwasser. Doch genau diese wichtige Ressource gerät zunehmend unter Druck. Eine aktuelle Studie des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) zeigt: Fast jeder zweite Landkreis kämpft bereits mit Grundwasserstress.

Von 401 Landkreisen sind 201 betroffen – 94 verzeichneten insbesondere in der letzten Dürre ab 2018 sinkende Pegel. In 141 Regionen wird längerfristig mehr als 20 Prozent des sich jährlich neubildenden Grundwassers entnommen – damit wird der Schwellenwert überschritten, der für abhängige Ökosysteme noch als nachhaltig gelten kann.  

Dabei leiden manche Landkreise sogar unter beiden Stress-Arten. Und es trifft längst nicht nur trockene Landstriche wie Brandenburg oder Sachsen-Anhalt: Auch eigentlich wasserreiche Regionen in Bayern, Hessen oder sogar entlang des Rheins geraten unter Druck.

Die Folgen gleichen sich bundesweit: sinkende Spiegel, versiegende Quellen, geschwächte Ökosysteme. Das Bundesamt für Geowissenschaften und Rohstoffe warnt, dass im Sommer 2025 in fast allen Regionen in Deutschland die Grundwasserstände niedriger sind als gewöhnlich, obgleich der regnerische Juli etwas geholfen hat. 

Die Grundwasser-Prognose (links) und der Grundwasserstand (rechts) für Anfang August von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe
Die Grundwasser-Prognose (links) und der Grundwasserstand (rechts) für Anfang August von der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe

Wer wie viel nimmt – und wer wie viel zahlt

Wasserstress ist nicht nur eine Frage der Menge – sondern auch, wer überhaupt wie viel entnimmt. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Es gibt große Unterschiede.

  • Energieversorgung: Mit 38,6 Prozent ist sie der größte Einzelverbraucher. Das Wasser wird vor allem zum Kühlen genutzt – und meist wieder in Flüsse zurückgeleitet. Die Entnahme ist gewaltig, der tatsächliche Verbrauch gering.
  • Bergbau und Industrie: 29,1 Prozent gehen auf ihr Konto. Vor allem Tagebaue und große Anlagen brauchen enorme Mengen, oft gesichert durch jahrzehntealte Genehmigungen. Fachleute warnen: Diese Sonderrechte passen nicht mehr in die Realität der Klimakrise.
  • Öffentliche Versorgung: 29,8 Prozent entfallen auf Haushalte, Schulen, Krankenhäuser und Gewerbe. Ihr Auftrag: die Grundversorgung. Doch die Nachfrage steigt, Städte wachsen – und geraten in trockenen Sommern schnell in Konflikt mit Industrie und Landwirtschaft.
  • Landwirtschaft: Offiziell nur 2,5 Prozent. Doch in trockenen Regionen wie Niedersachsen oder Brandenburg schnellen die Entnahmen im Sommer in die Höhe. Viele Bauern nutzen eigene Brunnen, die kaum erfasst sind. Experten sprechen von der „großen Unbekannten“ der Wasserbilanz. Künftig könnte der Wasserbedarf der Landwirtschaft durch Extremwetter weiter steigen.

Die entscheidende Preisfrage lautet: Während Bürgerinnen und Bürger für jeden Liter zahlen und die Wasserpreise vielerorts seit 2017 gestiegen sind, profitieren Konzerne oft von alten Sonderrechten und zahlen dafür nur wenige Cent. Dieses Ungleichgewicht ist angesichts des wachsenden Wasserstresses nur schwer zu rechtfertigen, monieren Umweltschützer. 

Wachsende Nutzungskonflikte

Mit der Klimakrise verschärfen sich diese Spannungen. Dürren, sinkende Pegel und steigende Entnahmen führen dazu, dass die verschiedenen Interessen direkt aufeinanderprallen: Bauern wollen ihre Felder bewässern, Stadtwerke müssen die Trinkwasserversorgung sichern und Industrieanlagen laufen im Dauerbetrieb.

Was früher im Hintergrund verhandelt wurde, landet heute immer häufiger vor Gericht. Wasserverbände verklagen Städte, Landwirte streiten mit Behörden und Umweltverbände ziehen gegen Konzerne. Wasser wird zum Zankapfel – ökologisch, wirtschaftlich und juristisch.

Politik der Ankündigungen

Auch die Bundesregierung hat den Ernst der Lage erkannt. Im März 2023 stellte das damals von Steffi Lemke geführte Umweltministerium die „Nationale Wasserstrategie“ vor. Sie sieht unter anderem vor:

  • strengere Regeln für Grundwasserentnahmen,
  • einheitliche Gebührenmodelle, die Großverbraucher stärker belasten.
  • Darüber hinaus sind Investitionen in Hochwasserschutz, Speicher und Schwammstadt-Konzepte geplant.
  • Außerdem soll die effiziente Bewässerung in der Landwirtschaft gefördert werden.

Doch vieles bleibt auf dem Papier. Wer im Ernstfall Vorrang hat – Bürger, Industrie oder Ökosysteme – ist rechtlich weiterhin unklar. Kritiker werfen der Politik vor, zu langsam zu handeln, während sich die Konflikte in den Regionen zuspitzen.

Ein Umbruch steht bevor 

Eines ist klar: Wasser darf nicht länger als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Deutschland muss lernen, mit dieser Ressource anders umzugehen – in der Industrie, in der Landwirtschaft, im Städtebau, im Wassermanagement und im Alltag.

Denn der Blick in andere Länder zeigt: Selbst wasserreiche Staaten können an ihre Grenzen stoßen. Während im Iran bereits überlegt wird, die Hauptstadt wegen Wassermangels zu verlegen, wächst auch hierzulande der Druck. Fachleute sind sich einig: Deutschland steht vor einem Umbruch in der Wasserpolitik – und die Frage, wie wir mit dieser Ressource umgehen, wird zur zentralen Zukunftsfrage.