Experte schlägt Wasser-Alarm: "Das war ein besonders drastisches Beispiel"

FOCUS online Earth: Herr Borchardt, im Frühjahr hatten viele Sorge, dass der Sommer extrem trocken werden könnte. Wie hat sich die Situation entwickelt?

Dietrich Borchardt: Ja, das war tatsächlich eine berechtigte Sorge – und wir haben in diesem Jahr ein echtes Jahr der Wasserextreme erlebt. Schon im Februar und März hatten wir außergewöhnlich wenig Niederschlag – in vielen Regionen ist der Regen fast vollständig ausgeblieben. Das hat sich auf den Wasserhaushalt spürbar ausgewirkt.

Im Mai und Juni mussten in zahlreichen Landkreisen Wasserentnahmeverbote ausgesprochen werden – für private Nutzer, aber auch für landwirtschaftliche Betriebe. In vielen Oberflächengewässern war der Wasserstand so niedrig, dass jede weitere Entnahme ökologische Schäden verursacht hätte.

Hinzu kamen extrem niedrige Wasserstände in großen Flüssen wie dem Rhein. Die Binnenschifffahrt war deutlich eingeschränkt: Frachtschiffe konnten nicht mehr voll beladen werden, manche konnten gar nicht mehr fahren. Das hat Auswirkungen bis in die Lieferketten hinein gehabt – die Situation war angespannt.

Ein besonders drastisches Beispiel war die Elbe: Dort hatten wir bereits im Juni einen Wasserstand, der unter dem historischen Tiefstand von August 2018 lag – und das vor Beginn des eigentlichen Sommers. Zwar hat sich der Pegel inzwischen etwas erholt, aber wir sprechen weiterhin von einer Niedrigwassersituation.

Gleichzeitig haben wir in den letzten Wochen sehr intensive, regionale Starkregen erlebt. Die haben oberflächlich zwar Wasser gebracht – gut für Pflanzen und Böden – aber sie waren oft so heftig, dass es zu Aquaplaning, überfluteten Kellern oder Unfällen kam. Die Liste ist lang. Solche punktuellen Wetterextreme nehmen zu, das beobachten wir sehr deutlich.

Und das „zu viele Wasser“, also der starke Regen der letzten Wochen, hat Deutschlands Böden nicht viel geholfen? 

Borchardt: Genau. Der Regen der letzten Wochen ist entweder sehr schnell wieder abgeflossen – etwa in die Nordsee, Ostsee oder Donau – oder er ist schlicht verdunstet. Die Pflanzen nehmen einen Großteil des Wassers auf und geben es wieder an die Atmosphäre ab. Das bedeutet: Für die tieferen Bodenschichten und das Grundwasser kommt aktuell wenig bis gar nichts an.

Dass der Regen so schnell abgeflossen ist, führt leider auch dazu, dass die Bäche und Flüsse keinen stabilen Mittelwasserstand ausbilden, sondern dass es erst zu einem raschen Anstieg kommt – eine Hochwasserspitze – und dann fällt der Pegel genauso schnell wieder ab. Und so sind vor allem kleinere Fließgewässer, obwohl es geregnet hat, schon wieder im Niedrigwasserbereich.

Das bestätigen auch die einschlägigen Messportale. Dasselbe gilt für das Grundwasser. Von dem Regen der letzten zwei, drei Wochen wird kaum ein Tropfen ins Grundwasser gelangen. 

Warum nicht? 

Borchardt: Entweder ist das Wasser bereits wieder abgeflossen oder es verdunstet direkt vom Boden – oder über die Pflanzen, weil es warm ist. Nur ein kleiner Anteil des Niederschlags, wenn überhaupt, kann versickern. Es kommt in den Sommermonaten kaum etwas im Grundwasser an. 

Das Grundwasser kann sich nur durch Niederschläge regenerieren – und zwar durch langsame, flächendeckende Regenfälle. Der berühmte Landregen also. Entscheidend ist dabei aber auch der Zeitraum: Diese Art der Grundwasserneubildung findet vor allem dann statt, wenn die Vegetation ruht – also zwischen November und März. Nur in dieser Phase kann Regen überhaupt in tiefere Bodenschichten sickern und zur Auffüllung der Grundwasserreserven beitragen. 

Wie geht es also weiter mit dem Wasserhaushalt in Deutschland?

Borchardt: Wir müssen den kommenden Winter abwarten. Erst dann wird sich zeigen, ob sich das Grundwasser zumindest teilweise erholen kann. Bis September wird erwartet, dass die Grundwasserspiegel weiter sinken werden. 

Klar ist: Die letzten Jahre waren deutlich zu trocken – das rächt sich. Die tieferen Böden sind in der Tiefe vielerorts noch immer ausgetrocknet, und die aktuellen Niederschläge helfen da kaum. 

Seit wann sinken die Grundwasserspiegel, und warum?

Borchardt: Die Grundwasserstände ändern sich natürlicherweise im Jahresverlauf: Im Winter füllen sie sich auf, während sie im Sommer sinken, teils weil Grundwasser auch in Flüsse abfließt. Entscheidend ist der langfristige Trend: Man vergleicht beispielsweise die Grundwasserstände im Juli über die letzten 30 bis 50 Jahre. Daraus ergibt sich die aktuelle Einschätzung der Grundwassersituation.

Deutschland gilt eigentlich als wasserreich – ändert sich das gerade? 

Borchardt: Beim Wasserkreislauf betrachten wir diverse Elemente wie Niederschlag, Bodenwasserhaushalt, Wasserstände in Flüssen und Seen, sowie das Grundwasser selbst. Entscheidend dabei sind Niederschläge und Temperaturen als Treiber. Extreme Wettermuster zeigen: Niederschläge bleiben aus oder fallen in hoher Intensität, während Temperaturen steigen. Diese Veränderungen beeinflussen erheblich unseren Wasserkreislauf im Land. 

Was erwarten uns in den nächsten 10, 15 oder 20 Jahren in Deutschland?

Borchardt: Die sicherste Aussage ist, dass extreme Wetterereignisse zu so etwas wie einer neuen Normalität werden. Diese Instabilität und Unberechenbarkeit bringen längere Trockenzeiten, oft mit hohen Temperaturen, sowie intensivere regionale Starkregen. Diese Phänomene sind schwer vorhersehbar, wie das Beispiel im Ahrtal gezeigt hat. 

Diese Entwicklungen führen zu erhöhten Hochwasserrisiken und Unvorhersehbarkeit in der Landwirtschaft. Beispielsweise kann das Wetter die Ernte stark beeinträchtigen, wie aktuell bei verschiedenen Sommerkulturen. Es tangiert auch viele Wirtschaftssektoren, darunter die Schifffahrt, und erhöht die Betriebsrisiken.

Werden Wasserentnahmen für Industrie, Landwirtschaft und Verbraucher ebenfalls davon betroffen sein – und vermehrt verboten?

Borchardt: Ja, Wassersicherheit wird zunehmend herausgefordert. Früher war sie selbstverständlich, doch durch diese Veränderungen ist sie nicht mehr gewährleistet. Beispielsweise hat die Schifffahrt, die auf ganzjährig schiffbare Gewässer angewiesen ist, bereits Probleme. Lieferketten, die beispielsweise Rohstoffe von Rotterdam bis Basel transportieren, sind nicht mehr zuverlässig.

Welche Folgen sind denkbar?

Borchardt: Eine spürbare Folge für Verbraucher sind steigende Lebensmittelpreise. Die Trinkwasserversorgung bleibt sicher, auch in den kommenden zehn Jahren. In Ausnahmefällen könnten einzelne Versorgungsgebiete an ihre Grenzen stoßen. Dies betrifft den Alltagsgebrauch, wie Garten- und Sportplatzbewässerung. Aber die Trinkwasserversorgung selbst ist nicht gefährdet. Das stärkste Zeichen der Auswirkungen für den Verbraucher ist der Preisanstieg bei Lebensmitteln, wie Brot oder Kaffee.

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Was sind die Ursachen hinter der sich verschärfenden Wasser-Extremsituation? 

Borchardt: An erster Stelle steht klar der Klimawandel – der verändert das gesamte Niederschlagsregime. Wir haben zunehmend Regionen mit strukturellen Wasserdefiziten. Und diese betreffen inzwischen nicht mehr nur die Natur, sondern auch das Management mit dem Wasser, ob für unsere Infrastruktur, Unternehmen oder Landwirtschaft. 

Ein großes Problem ist auch, dass wir zu wenig über die tatsächliche Wassernutzung wissen. Das macht es schwer, auf Krisen angemessen zu reagieren. Wir brauchen im Grunde zwei Dinge: Erstens müssen wir den Umgang mit Extremereignissen verbessern – sie lassen sich nicht verhindern, aber wir können besser vorbereitet sein. 

Und das zweite?

Borchardt: Was uns noch fehlt, ist eine zuverlässige Vorhersage – sowohl für Dürren als auch für Starkregen. Daran wird intensiv geforscht. Wenn wir Vorlaufzeiten von vier bis sechs Wochen hätten, könnten Landwirtschaft, Schifffahrt oder auch Unternehmen gezielter reagieren – etwa durch Vorratshaltung oder eine Anpassung der Produktion.

Wir brauchen außerdem eine langfristige Anpassung – also Investitionen in Infrastruktur, die nicht kurzfristig auf ein Ereignis reagiert, sondern das System insgesamt klimaresilient macht. Denken Sie an die Trinkwasserversorgung: Reichen die Brunnen künftig noch aus? Müssen neue Quellen erschlossen werden?

Oder nehmen Sie die Schifffahrt – brauchen wir vielleicht neue Schiffstypen, die bei Niedrigwasser besser fahren können? Und die Landwirtschaft muss sich fragen: Sind die heutigen Fruchtfolgen noch tragfähig? Müssen wir auf klimaangepasste Sorten umsteigen? Auch der Waldumbau ist ein riesiges Thema – die heutigen Wälder sind vielerorts nicht mehr klimafest. Und das dauert: Bis ein neu gepflanzter Baum überhaupt eine Funktion übernimmt, vergehen Jahrzehnte. 

Wir müssen die Klimaszenarien ernst nehmen und in allen Sektoren prüfen: Was bedeutet das konkret für uns – wirtschaftlich, gesellschaftlich, privat? Wie schützen wir unser Haus vor Hochwasser? Wie gestalten wir Städte so, dass sie Wasser besser aufnehmen und speichern können? Da gibt es viele Stellschrauben – und jetzt ist der Moment, sie zu drehen.

Die Bundesregierung hat sich zu der Wasserstrategie bekannt, an der Sie mitgeschrieben haben. Hat das Thema derzeit wirklich politischen Rückenwind?

Borchardt: Es steht auf der Agenda – aber ob mit der nötigen Dringlichkeit, wage ich zu bezweifeln. Immerhin: Die Wasserstrategie wurde schon unter den letzten beiden Regierungen entwickelt und ist auch im aktuellen Koalitionsvertrag verankert – wenn auch nur knapp. Dass sie grundsätzlich weitergeführt wird, ist ein gutes Zeichen.

Also ein politisches Bekenntnis gibt es?

Borchardt: Ja. Es gibt einen Maßnahmenkatalog und einen festen Überprüfungsmechanismus alle sechs Jahre. Dass diese Kontinuität da ist, finde ich positiv. Aber: Angesichts der Herausforderungen hätte ich mir eine deutlich höhere Priorität gewünscht.

Was genau fehlt aus Ihrer Sicht?

Borchardt: Das Thema müsste dauerhaft ganz oben stehen. Klar, andere Krisen drängen sich auf. Aber Klimaanpassung ist keine Zukunftsvision – sie ist Gegenwart und Voraussetzung für unsere Funktionieren als Gesellschaft. Wenn wir jetzt nicht investieren, wird es später deutlich teurer.

Wird die Dringlichkeit überhaupt schon erkannt?

Borchardt: Lokal ja – da passiert oft mehr, weil der Handlungsdruck real ist. Ich sehe gute Projekte in Kommunen und Ländern. Aber auf Bundesebene fehlt mir manchmal der Elan.

Gibt es Fortschritte, die zu wenig wahrgenommen werden?

Borchardt: Definitiv. Etwa die neue kommunale Abwasserrichtlinie seit Januar. Sie verpflichtet erstmals stärker die Verursacher – also vor allem die pharmazeutische und chemische Industrie – zur Mitverantwortung bei der Entfernung von Mikroschadstoffen aus dem Abwasser.

Statt dass alles auf den Gebührenzahler abgewälzt wird?

Borchardt: Genau. Doch genau dagegen wehrt sich die Industrie – aktuell läuft sogar eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Sollte die durchkommen, würde das die Kosten wieder vollständig auf die Allgemeinheit abwälzen. Und das wäre ein Rückschritt – für den Gewässerschutz und für die Gerechtigkeit.

Ein Thema, das kaum Schlagzeilen macht.

Borchardt: Und dabei betrifft es uns alle – ganz konkret. Wenn die Industrie sich durchsetzt, steigen die Wassergebühren. Gewinne werden privatisiert, Schäden sozialisiert – das sollte nicht passieren.

Also weniger die Frage „Wie viel Wasser?“ – sondern: „Was für Wasser?“

Borchardt: Ganz genau. Die Wasserqualität wird genauso zum Problem wie die Quantität. Europa geht hier mit gutem Beispiel voran – das ist international führend, gerade auch mit Blick auf die neue Gesetzgebung und das befördert Innovationen, die weltweit gebraucht werden. Und Deutschland unterstützt das zum Glück – auch über die Wasserstrategie hinaus.

Lieber Herr Borchardt, danke für das Gespräch!