Wasser-Wunder Mannheim: Was deutsche Kommunen von der „Schwammstadt“ lernen können
Typisch deutsche Blockidylle: Einen sonderlich speziellen Eindruck machen die drei neu errichteten Wohnhäuser im Mannheimer Viertel Feudenheim erstmal nicht. Doch es sind nicht die Häuserblocks selbst, die das Anfang August eröffnete Wohnviertel Aubuckel zu einem Vorbild für die ganze Republik machen sollen – sondern das, was zwischen ihnen liegt.
Wo sich sonst eine pflichtschuldig gemähte Wiese und drei Wäscheleinen finden würden, vielleicht noch ein Sandkasten und paar Holzbänke, befindet sich zwischen den drei Blöcken von Feudenheim: ein Teich. Wie eine gigantische Regentonne sammelt der Teich das anfallende Regenwasser und macht es nutzbar. Eine sogenannte Filtrationsanlage bereitet zusätzlich das Wasser wieder auf, das die Bewohner im Badezimmer oder der Waschanlage genutzt haben.
Der grüne Plan mit grauem Wasser
Wozu der ganze Aufwand? Bislang lassen deutsche Kommunen und einzelne Wohnanlagen das Wasser nur so durchrauschen: Regenwasser versickert oder verdunstet; das Wasser aus der Leitung landet in der Kanalisation. Effektiver wäre es, das anfallende Wasser zumindest teilweise zu speichern und wiederzuverwenden. Die gesammelten Mengen, in der Fachsprache „Grauwasser“ genannt, lassen sich zwar nicht zum Duschen oder Kochen nutzen. Aber zum Pflanzengießen, zum Wäschewaschen oder für die WC-Spülung taugt das „Grauwasser“ allemal.
Für die Bewohner der 117 Einheiten hat das Wasserspar-System gleich zwei Vorteile. Bei hohen Temperaturen kühlt die Teichanlage die umliegende Luft ab. Und die Haushalte müssen nach Angaben der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GBG keinen Abwasserbeitrag zahlen: Ein substanzieller Teil des verwendeten Wassers landet ja zurück im heimischen Kreislauf. Um mehr als 40 Prozent konnte der Frischwasserbedarf in Aubuckel gegenüber einer vergleichbaren Wohnanlage gesenkt werden, ermittelte eine begleitende Studie der Technischen Universität (TU) Darmstadt.

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„Wir tun alles dafür, dass Mannheim eine Schwammstadt wird“
Auch die nähere Umgebung profitiert vom Teich: Der ist nämlich darauf ausgelegt, viel mehr Regenwasser zu sparen, als üblicherweise vom Himmel kommt. In extremen Starkregen-Situationen kann der Teich also das Wasser auffangen, das sonst die Kanalisation überfluten würde.
„Schwammstadt“ nennt sich dieses Prinzip: Eine Stadt, die das Wasser aufsaugen und bei Bedarf wieder abgeben kann – wie ein Schwamm eben. In einer „besonders heißen Stadt” wie Mannheim sei das Konzept alternativlos, sagte die Erste Bürgermeisterin Diana Pretzell (Grüne) dem Südwestdeutschen Rundfunk (SWR): „Wir tun alles dafür, dass Mannheim eine Schwammstadt wird.”
Im Ausland wird das „Schwammstadt“-Konzept schon länger angewandt. In China werden Millionen-Metropolen wie Peking, Shanghai oder Wuhan bereits seit zehn Jahren zu Schwämmen umgebaut. Das wasserarme Singapur ist zum Weltmeister im Auffangen und Wiederaufbereiten von Wasser geworden, um perspektivisch nicht mehr auf Importe aus Malaysia angewiesen zu sein. Und Kopenhagen beschloss nach einem verheerenden Starkregen im Jahr 2011 einen sogenannten „Wolkenbruch-Plan“: Straßen, Parks und Plätze wurden so gestaltet, dass sie bei Regen als Notwasserwege dienen. Gleichzeitig entstanden viele grüne Oasen, die im Sommer die Umgebung abkühlen.
Deutscher Kreislauf aus den Fugen
Ideen, denen in Deutschland noch nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde – bis jetzt. „Deutschland ist ein Land, in dem das Wasserangebot noch sehr gut ist“, sagt Ramona Giese, Wasser- und Klimaexpertin beim Beratungsunternehmen Drees & Sommer, zu FOCUS online Earth. „Dadurch ist der Druck noch nicht so da.” Das ändert sich aber gerade – durch den Klimawandel.
Wie sehr der deutsche Wasserkreislauf aus den Fugen gerät, zeigt eine Studie des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) im Auftrag der Umweltorganisation BUND. Demnach verbraucht schon die Hälfte der Landkreise mehr Grundwasser, als sich von selbst regenerieren kann. Die globale Erwärmung sorgt für heißere Temperaturen, in denen mehr Wasser verdunstet, kombiniert mit längeren Trockenperioden ohne Regen. Und wenn es doch mal regnet, kommt es durch den Klimawandel verstärkt zu Starkregenereignissen – mit ausgetrockneten Böden, die das Wasser gar nicht aufnehmen können.
„Wir haben da ein Paradox, das gegenwärtig eines der größten städtebaulichen Herausforderungen ist“, sagt Giese. „Einerseits haben wir zu wenig Regenwasser, andererseits braucht dieses Regenwasser immer mehr Platz, wenn es einmal kommt.“ Kein Wunder also, dass immer mehr deutsche Kommunen gegensteuern. Nicht nur Mannheim, auch Großstädte wie Berlin, Hamburg, Leipzig und Essen experimentieren verstärkt mit „Schwammstadt“-Ansätzen.
„Man denkt immer: Ach, eine deutsche Eiche ist so kraftvoll“
Denn der Wassermangel ist selbst schon in Parks und Stadtwäldern zum Problem geworden. Giese etwa ist Teil eines Teams, das ein neues Wasserkonzept für den bekannten Telegrafenberg in Potsdam erarbeiten soll. Auf dem 27 Hektar großen parkähnlichen Gelände sind international renommierte Forschungseinrichtungen wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) oder das Geoforschungsinstitut Potsdam (GIZ) beheimatet. Doch die Bäume rund um den Telegrafenberg verdursten langsam – 78 Prozent von ihnen gelten bereits als geschädigt.
Dabei sollte eine grüne Oase wie der Telegrafenberg eigentlich kein Problem mit Wasser haben. „Aber das ist nur das, was man oberflächlich sieht“, sagt Giese. „Vegetation braucht ja lange Perioden mit Wasser, durch den Klimawandel haben wir die aber generell nur noch phasenweise.“
An diese neue Realität seien viele in Deutschland heimische Pflanzen nicht angepasst. „Schockierend“ sei es gewesen, bei einem ersten Vor-Ort-Besuch zu sehen, wie einer ganzen Reihe von Bäumen die Rinde platze, erzählt Giese. „Dabei denkt man sich ja immer: Ach, eine deutsche Eiche ist so kraftvoll. Aber auch die ist eben anfällig für das ganze Thema.“

Umleitung fürs Regenwasser
Also machten sich Giese und ihr Team an die Arbeit. In mühsamer Kleinarbeit analysierten die Experten, wie viel Wasser und Nährstoffe die Böden überhaupt speichern können. Ein neuer Regenwasser-Plan soll das Wasser außerdem den Pflanzen zuführen, statt es wie bislang ungenutzt im sandigen Boden Brandenburgs verschwinden zu lassen. Momentan, erklärt Giese, versickere ein großer Teil des Wassers in einer einzigen großen Mulde – wenn es gelänge, mehrere Mulden zu schaffen, dann könnte sich das Wasser auch besser auf die Pflanzen verteilen.
Womöglich braucht es aber noch radikalere Ansätze, etwa indem ganz neue Pflanzenarten angesiedelt werden. „Meine Kolleginnen haben sich viel mit dem Thema befasst, wie sich der Standort naturverjüngen lässt“, sagt Giese. „Etwa durch die Nutzung von Pflanzenarten, die eine tiefere Durchwurzelung haben, die einen geringeren Wasserbedarf haben, die feuerresistent sind.“ In einer trockenen Region wie Brandenburg seien Waldbrände auch in urbaner Umgebung eine wachsende Gefahr.
„... dann würde der Park sterben“
Bis April nächsten Jahres soll der große Rettungsplan für den Telegrafenberg stehen. Denn die Frage, wie eine Stadt am besten ihr Regenwasser nutzen kann, ist oft überraschend komplex. Eine große Zahl Behörden möchte bei dem Thema mitreden, bis hin zum Denkmalschutz. Und die Kommunen selbst verfügen oft weder über das Know-how noch über die Personalstärke, um sich mit der Frage zu befassen.
Gerade Großstädte jedoch werden um das Thema nicht herumkommen, glaubt Giese – das grüne und naturnahe Potsdam ist vielleicht das beste Beispiel. „Wenn wir da nicht eingreifen würden, dann würde der Park sukzessive sterben“, sagt die Expertin. „Zumindest die großen alten Bäume.“
Dem gegenüber stünden die ganzen positiven Nebeneffekte einer gewissenhaften Wasserplanung: Mehr Grünflächen, gesündere Pflanzen, kühlere Temperaturen in der Stadt. „Die Leute“, sagt Giese, „können die Städte einfach ganz anders genießen.“ Vielleicht zeigen Potsdam und Mannheim schon bald, wie dieser Traum in der Realität aussieht.