„Zeitenwende“: Wie geht man mit der Tradition Kemptens als Garnisonsstadt um?
Die Geschichte von Kempten war über zwei Jahrhunderte als ständige Garnisonsstadt eng mit dem hier stationierten Militär verbunden.
Kempten – Seit 2016, als der Bundeswehrstandort aufgegeben wurde, verblasst die Erinnerung zunehmend. An der Stelle der ehemaligen Kasernen entstehen Wohnungen oder sie werden von Behörden genutzt.
Um „gemeinsam mit der Stadt Kempten die Tradition der Geschichte der Bundeswehr auch über den Zeitpunkt der Auflösung der Garnison/des Standortes hinaus nachhaltig zu pflegen und aufrechtzuerhalten“, gründete eine Gruppe aus ehemaligen Soldaten bereits 2014 den Traditionsverband Ehemaliger und Freunde des Standortes Kempten. Der Verein zählt heute knapp 100 Mitglieder, zu ihnen gehören beispielsweise Oberbürgermeister Thomas Kiechle, MdL Joachim Konrad, Stadtrat Thomas Kreuzer, die ehemaligen Stadträte Siegfried Oberdörfer, Herbert Karg, Franz Mayr und Manfred Eiermann, aus dem Umland Bürgermeister Josef Wölfle, die früheren Bürgermeister Arno Zengerle und Berthold Ziegler. Erster Vorsitzender ist Helmut Hitscherich. Der pensionierte Oberst war u. a. Kommandeur des Gebirgsartilleriebataillons Kempten.
Der Verein veröffentlichte bisher vier Fachbücher zur Geschichte des Bundeswehrstandortes. Als er 2021 den Band über das Sanitätsregiment überreichte, habe Hitscherich Kiechle angesprochen, dass der Verein an den Standorten der Artillerie-Kaserne, der Prinz-Franz-Kaserne und des Fachsanitätszentrums Stelen mit historischen Bildern und Informationen aufstellen möchte. Man sei sich schnell einig geworden: Der Verein übernehme die Kosten für die Informationstafeln, die Stadt sorge für das Fundament.
Als nach Recherchen, vor allem im Stadtarchiv, die ersten Entwürfe eingereicht wurden, begannen die Probleme, über die jetzt im Kulturausschuss diskutiert wurde. Der Traditionsverband wollte vor allem dafür sorgen, dass die Standorte von sechs Jahrzehnten Bundeswehrgeschichte nicht in Vergessenheit geraten. Man kann aber natürlich nicht verschweigen, dass die beiden Kasernen in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre im Prozess der Kriegsvorbereitungen erbaut wurden. Die Wehrmacht hat auch das seit 1899 bestehende Lazarett ab 1938 stark ausgebaut. Wie soll man damit umgehen?
Bei den Gesprächen über die Entwürfe stellte sich heraus, dass es dazu auch in der Stadtverwaltung keine einheitliche Meinung gab. Nach viel Hin- und Her landete das Thema in der Kommission für Erinnerungskultur, in der es für lange und kontroverse Diskussionen sorgte. Sogar eine Sondersitzung musste anberaumt werden. Der Traditionsverband habe mehrere Vorschläge aufgenommen, berichtete Kulturamtsleiter Martin Fink. Was jetzt vorliege, verdiene Anerkennung, als Ergebnis von bürgerschaftlichem Engagement. Die Stadt hätte sich eine tiefere fachliche Auseinandersetzung mit dem Thema und mehr pädagogische Vermittlung gewünscht. Deswegen werde im Unterschied zu früheren Planungen das Logo der Stadt auf den Stelen nicht zu sehen sein.
Informationsstelen zur Geschichte der Bundeswehr: Kontroverse Diskussion
Die Debatte im Kulturausschuss lieferte gleich ein Beispiel für die Auseinandersetzung. Auf dem Foto über den Spatentisch für den Bau der Prinz-Franz-Kaserne sind etliche Hakenkreuze zu sehen. Wie sich herausstellte, gab es eine Version, auf der – angeblich auf Wunsch der Bauverwaltung – diese herausretuschiert worden sind. Laut Referatsleiter Tim Koemstedt habe man bei einem Gespräch die Vielzahl der Hakenkreuze an den Stelen insgesamt bemängelt, aber nicht das Retuschieren der Bilder verlangt. „Hier merkt man, wie vermint die Sache ist“, sagte Michael Hofer (ÖDP). Er erinnerte an Fotos aus der Stalin-Zeit, aus denen in Ungnade gefallene Politiker wegretuschiert wurden.
„So eine Gesellschaft sind wir nicht.“ „Fahnen mit Hakenkreuzen dürfen nicht sein“, betonte Kulturbeauftragte Annette Hauser-Felberbaum (FW) und forderte die Verantwortlichen mehrmals dazu auf, dieses Foto durch ein anderes zu ersetzen. „Darf man Hakenkreuze überhaupt zeigen, ohne dass man sie inhaltlich einordnet?“, fragte Andreas Kibler (FW). Die Texte beinhalteten viele Militärbezeichnungen, die nicht jeder versteht, auf die Vermittlung werde jedoch zu wenig Wert gelegt. An die Garnisonstandorte zu erinnern, finde er richtig, er hätte sich aber gewünscht, dass objektive Fachinstitutionen eingeschaltet gewesen wären (Der Verein hat laut Hitscherich von einem Privatdozenten der Bundeswehr und vom Zentrum für Militärgeschichte in Potsdam fachliche Expertise eingeholt). Man spreche deswegen im Ausschuss über das Thema, weil die Stelen auf städtischem Grund aufgestellt werden.
Traditionsverband mit „viel Herzblut“ dabei
„Der Verband hat viel Arbeit und Herzblut reingesteckt“, hob Hofer hervor. Zurzeit bekomme das Thema Landesverteidigung einen neuen Stellenwert. „Wir sind dankbar, wir können mitgehen, wenn auch nicht begeistert“, schloss Bürgermeisterin Erna-Kathrein Groll (Grüne) als Sitzungsleiterin die Diskussion.
Im Auftrag des Verbandes suche Ralf Lienert (verantwortlich für Text und Bilder) ein alternatives Foto und man werde keine militärischen Abkürzungen mehr verwenden, teilt Hitscherich mit. Die Einweihung der Stelen mit dem OB erfolge voraussichtlich im September.
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