Leben im geordneten Chaos

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Eine Familienbegleiterin der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München unterstützt die Kinder und ihre Eltern regelmäßig in deren Zuhause. © Alice Vogel

Seit 2006 macht der bundesweite „Tag der Kinderhospizarbeit“ jedes Jahr am 10. Februar auf die Situation lebensverkürzend erkrankter Kinder und auf deren Familien aufmerksam. Vor diesem Hintergrund stellt das Zentrum Südwestoberbayern der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz in Inning eine von ihr betreute Familie und ihr Schicksal vor.

Inning - Aufgrund persönlicher Betroffenheit und Erfahrung wuchs im Ehepaar Christine und Florian Bronner aus Inning vor bald 20 Jahren der Wunsch, eine umfassende, professionelle Unterstützung für Familien mit schwerst- oder unheilbar kranken Ungeborenen, Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen aufzubauen. Das Zentrum Südwestoberbayern ihrer Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM) mit Sitz in Inning versorgt unter der Leitung von Heike Otten Familien rund um das Fünfseenland bis in die Garmischer Alpen hinein. Die Familie Pischetsrieder vom Westufer des Starnberger Sees ist eine Familie, die ganzheitlich betreut wird und in deren zuweilen schwierigen Alltag die Stiftung einen Blick gewährt.

Katharina und Alex Pischetsrieder haben vier Söhne: Conni (9), Xaver (6), Alois (4) und Ludwig (1). Zu ihrer Familie gehören außerdem die beiden Hunde Balu und Simba. Doch das Leben der Pischetsrieders ist besonders – Conni, der älteste Sohn, wurde schwerstbehindert geboren und benötigt seitdem intensive Pflege und Aufmerksamkeit. Seit vielen Jahren wird die Familie von dem Zentrum Südwestoberbayern der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz begleitet. Die Stiftung ist zu einem wichtigen Teil ihres Alltags geworden.

„Wir leben in einem geordneten Chaos“, sagt Katharina Pischetsrieder mit einem Lächeln. Ihr Mann Alex ergänzt: „Langeweile gibt es bei uns nicht, wir könnten allerdings täglich zwei bis drei Stunden mehr gebrauchen.“ Der selbstständige Klavierbauer hat seine Werkstatt direkt neben dem Wohnhaus eingerichtet, um so viel Zeit wie möglich mit der Familie verbringen zu können. „Man weiß nie, wie es kommt mit Conni. Gerade erst vor ein paar Wochen wäre er wegen einer Infektion fast gestorben“, erzählt der Vater nachdenklich.

Die Familie hat sich angewöhnt, jeden Tag so zu gestalten, dass am Abend alle glücklich ins Bett gehen können. Eine kleine Tradition hilft dabei: Jeden Morgen nehmen sich Katharina und Alex Pischetsrieder fünf Minuten Zeit, um gemeinsam Kaffee zu trinken – ein Moment der Ruhe, bevor der turbulente Tag beginnt.

Trotz der Herausforderungen durch Connis schwere Behinderung haben die drei jüngeren Brüder eine besondere Beziehung zu ihm aufgebaut. Xaver, der zweitälteste, ist ein einfühlsamer und sensibler Bub, der oft genau weiß, was Conni gerade braucht. Alois liebt es, seinen älteren Bruder zu knuddeln, und Ludwig findet in Conni eine beruhigende Wirkung. Katharina Pischetsrieder erinnert sich daran, wie sie ihre Babys oft auf Connis Bauch gelegt hat, wenn sie weinten, und die Nähe ihres großen Bruders brachte sie schnell zur Ruhe. Die vierfache Mutter betont: „Durch Conni haben unsere Kinder besondere Werte gelernt. Sie sind emphatisch und übernehmen Verantwortung – Eigenschaften, die in der heutigen Welt so wichtig sind.“ Das Leben mit einem schwerstbehinderten Kind bringt viele Herausforderungen mit sich. „Man wird nie wieder unbeschwert glücklich“, gibt die Mutter ehrlich zu, „doch man lernt, zufrieden mit dem Leben zu sein und die kleinen Dinge zu schätzen.“

Ein Herz und eine Seele: die vier Brüder Xaver (6), Ludwig (1), Conni (9) und Alois (4).
Ein Herz und eine Seele: die vier Brüder Xaver (6), Ludwig (1), Conni (9) und Alois (4). © Alice Vogel

Man muss sich damit abfinden, dass nicht alles wie bei anderen Familien ablaufen kann. Doch das Wichtigste ist, dass wir als Familie zusammenhalten und füreinander da sind.

Trotzdem bleibt der Alltag fordernd. Alex Pischetsrieder, der die Familie als „Manager“ zusammenhält, spricht offen über die Verantwortung, die er trägt. „Manchmal muss man sich in die Ecke setzen und einfach weinen. Doch dann heißt es wieder: weiter, weiter, weiter – für die Familie.“ Der Kampf um Unterstützung ist für die Familie oft ermüdend. „Man sieht daran, wie es um ein Land bestellt ist, wie es mit hilfsbedürftigen Menschen umgeht“, findet der Vater ernüchtert. Sei es die Beschaffung von Hilfsmitteln oder die Diskussion um die Schulpflicht – die Pischetsrieders müssen sich jede Unterstützung erkämpfen.

In dieser schwierigen Situation ist die Stiftung AKM ein unverzichtbarer Partner geworden. Eine speziell von der Stiftung geschulte ehrenamtliche Familienbegleiterin ist für die Familie mehr als nur eine Unterstützung – sie ist wie ein Familienmitglied. Jeden Mittwoch kommt sie, um mit den Buben zu basteln, zu spielen oder einfach da zu sein. „Sabine bringt eine Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit mit, die für uns unersetzlich ist“, sagt Katharina Pischetsrieder. Die „Bastel-Biene“, wie die Kinder sie liebevoll nennen, sorgt für unvergessliche Momente. Ob sie mit ihnen puzzelt, ihnen Geschichten erzählt oder sich auf dem Boden kriechend in eine Schnecke verwandelt – sie bringt Freude und Leichtigkeit in den oft stressigen Alltag der Familie.

„Wenn man ein behindertes Kind bekommt, bricht erst mal alles zusammen“, erzählt Alex Pischetsrieder. Die Kunst liege darin, das eigene Leben neu zu bauen – ohne Wenn und Aber. Die Familie hat gelernt, Kompromisse einzugehen und sich von gesellschaftlichen Erwartungen zu lösen. „Man muss sich damit abfinden, dass nicht alles wie bei anderen Familien ablaufen kann. Doch das Wichtigste ist, dass wir als Familie zusammenhalten und füreinander da sind.“ Wie schon die Bronners bestärkt Katharina Pischetsrieder Eltern in ähnlichen Situationen, sich nicht entmutigen zu lassen: „Vergleicht eure Kinder nicht mit anderen. Freut euch über die kleinen Fortschritte und bleibt lebensbejahend.“ Die Entscheidung, nach Conni noch weitere Kinder zu bekommen, sei für sie auf jeden Fall die beste ihres Lebens gewesen.

Die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München freut sich über Unterstützung im Ehrenamt oder eine Spende. Interessierte können sich bei AKM-Sprecherin Elisabeth Kern per E-Mail an elisabeth.kern@kinderhospiz-muenchen.de melden oder schaut auf kinderhospiz-muenchen.de nach.

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