Anschlag in Solingen: Der Islamische Staat ist wieder eine Gefahr in Deutschland

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Der IS hat den Anschlag von Solingen wahrscheinlich nicht direkt gesteuert, so ein Experte. Doch der Täter dürfte Zugang zu bestimmten Videos gehabt haben.

Solingen – Zumindest diese Gefahr schien gebannt: Der Islamische Staat (IS) hatte in der öffentlichen Debatte hierzulande jahrelang kaum mehr eine Rolle gespielt. Spätestens nach dem fürchterlichen Anschlag von Solingen, bei dem ein Mann drei Menschen mit Messerstichen getötet und acht weitere verletzt hatte, ist klar: Der IS ist keineswegs verschwunden – und scheint radikalisierten Einzeltätern als Ankerpunkt und Vorbild für Terrortaten zu dienen.

IS proklamiert Anschlag von Solingen für sich

Die Terrororganisation hat die Tat später für sich proklamiert. Außerdem ist ein Video aufgetaucht, das einen vermummten Mann zeigt, der sich zum IS bekennt. Womöglich handelt es sich dabei um den 26 Jahre alten Syrer, der den Anschlag von Solingen begangen haben soll. Vieles spricht allerdings dafür, dass er nicht direkt vom IS gesteuert worden war. „Meine These ist, dass er sich selbst radikalisiert hat und vorher nur wenig bis gar keine direkte Beziehung zum IS hatte. Erst kurz vor der Tat hat er das Video an die Terrororganisation geschickt“, sagt Terrorismus-Experte Hans-Jakob Schindler vom Counter Extremism Project im Gespräch mit dieser Redaktion.

Täter von Solingen könnte Anleitungsvideos vom IS gesehen haben

Er könne sich allerdings gut vorstellen, dass der Täter vorher spezielle Anleitungsvideos des IS gesehen hat. In diesen grausigen Videos führen IS-Terroristen an syrischen Gefangenen vor, wie schnelle Messerattacken bei Terroranschlägen effektiv durchgeführt werden können: etwa durch gezielte Stiche in den Hals. Und am besten mit Küchenmessern, die überall erhältlich und unauffällig sind.

Die Bekenner-Reaktion des IS hält Schindler für „100 Prozent echt“: „Sie wurde auf deren offiziellen Propagandakanal veröffentlicht, zu dem nur der IS Zugang hat.“ Auch wenn die Organisation wahrscheinlich nicht direkt an Planung und Ausführung beteiligt gewesen sein dürfte. Anders als in Moskau, wo Dschihadisten im März einen Anschlag auf eine Konzerthalle verübt hatten, bei dem 60 Menschen gestorben waren. „Moskau war anders, das wusste der IS ganz genau, was passiert, hatte die Attentäter im Ausland rekrutiert, trainiert und nach Russland geschickt und war daher direkter beteiligt.“ 

Terrorismusexperte: Gefahr von Trittbrettfahrer-Taten ist hoch

Einzeltäter-Anschläge nutze der IS allerdings auch gerne, um seine Propaganda weiterzuverfolgen. Allerdings nicht wahllos: „Der IS achtet sehr genau darauf, wozu er sich bekennt. Zu Mannheim etwa haben die Terroristen nichts gesagt.“ Dort hatte ein Mann im Juni einen Polizisten mit einem Messer getötet – auch diese Tat hatte islamistische Hintergründe. Die Gefahr sei aktuell hoch, dass Trittbrettfahrer ähnliche Taten begehen könnten, glaubt Schindler: „Und der Nahostkonflikt befeuert die Radikalisierung von manchen zusätzlich.“

Doch wie ist zu erklären, dass ein Mensch, der zuvor nicht als potenzieller Gefährder aufgefallen war, Menschen durch Messerstiche in den Hals tötet? Ein Aspekt: „Der Tatverdächtige stammte offenbar aus einer Region, die ein Zentrum des IS-Kalifats war. Dort sind schlimmste Grausamkeiten passiert, vom Händeabhacken bis hin zu Steinigungen und Köpfungen. So etwas mitzuerleben, macht was mit jungen Menschen.“ Eigentlich brauche es eine umfassende Traumabegleitung für Kriegsflüchtlinge, findet Schindler. „Aber dafür fehlen die Mittel, um dies für alle Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten umzusetzen.“

Salafistenszene in Solingen: „Islamistische Szene versucht, Menschen zu radikalisieren“

Ob die in Solingen seit Jahren rege islamistische Salafistenszene bei Radikalisierungstendenzen eine Rolle spielen könnte, sei beim aktuellen Fall schwer zu sagen. Was aber grundsätzlich zu beobachten sei: „Bei Radikalisierungsverläufen von Tätern in der Vergangenheit konnte man regelmäßig ein Zusammenspiel aus Online- und Offline-Radikalisierung sehen. Das ist auch in diesem Fall zum aktuellen Zeitpunkt nicht auszuschließen.“

Klar sei, dass die extremistisch islamistische Szene, insbesondere seit dem pogromartigen Angriff der Hamas auf Israel im Oktober 2023, in Deutschland sehr aktiv versucht, Menschen grundsätzlich radikalisieren. „Man versucht, den Konflikt im Nahen Osten hier zu instrumentalisieren“, so Schindler.

Die aktuelle Debatte um Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan sieht der Terrorismus-Experte kritisch: „In Afghanistan herrschen die Taliban und die könnten solche Straftäter eher als Helden empfangen, als sie ins Gefängnis zu schicken.“ Die Taliban beherbergen und schützen aktuell wieder zahlreiche regionale und internationale Terroristen in Afghanistan, wie sie das bereits bis 2001 schon getan hatten.

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