Kinderrechte – wie sieht es damit wirklich aus? Um diese Frage drehte sich der Bewegte Donnerstag in Kempten
Beim Bewegten Donnerstag in Kempten diskutierten die Gäste über das Thema „Kinderrechte – Mitbestimmung von Anfang an“. Können diese umgesetzt werden und wenn ja wie?
Kempten – Als Impulsgeberinnen und Impulsgeber beim Tischgespräch im Haus Internationalwaren Oliver Götz, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin und leitender Oberarzt am Klinikum Kempten, Erna-Kathrein Groll, Dritte Bürgermeisterin der Stadt Kempten sowie Isabella Salger, Beraterin beim Evangelischen Kita-Verband Bayern e. V. geladen.
Katharina Schrader, SPD-Stadträtin und Kinder- und Jugendbeauftragte der Stadt Kempten, leitete den Abend mit einem kurzen historischen Exkurs durch die Geschichte der Kinderrechte ein. Von der Französischen Revolution über die „Children’s Charter“ des Völkerbundes von 1924 bis hin zur Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1948 gab es immer wieder Versuche, auch Rechte für Kinder zu schaffen. Aber erst vier Jahrzehnte später gelang es schließlich. Am 20. November 1989 wurde die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen (KRK) beschlossen und konnte schließlich am 2. September 1990 in Kraft treten.
Die vier Prinzipien der Kinderrechtskonvention
Sie besteht aus insgesamt 54 Artikeln und basiert auf vier Grundprinzipien: dem Recht auf Gleichbehandlung, dem Recht auf Leben und persönliche Entwicklung, dem Recht auf Beteiligung und Meinungsfreiheit und dem Kindeswohlvorrang.
Seit Jahren ist es geplant, dies Kinderrechte auch im Grundgesetz zu verankern. Das Vorhaben scheiterte jedoch bisher am Fehlen der notwendigen Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat. Für ein demokratisches Zusammenleben ist es aber von zentraler Bedeutung, dass auch Kinder von Anfang an über ihr Leben mitbestimmen können. Wie und ob das im alltäglichen Leben auch umgesetzt werden kann, war für die Gäste des Bewegten Donnerstags das zentrale Thema.
Bewegter Donnerstag im Kemptener Haus International: Kann Kindermitbestimmung funktionieren?
Zuerst wurde einmal die Frage geklärt „Wer ist Kind?“. Laut Artikel 1 der KRK ist ein Kind jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. „Das Kind gibt es aber nicht“, stellt Oliver Götz dem entgegen. „Es ist ein riesiger Unterschied, ob ich ein Neugeborenes vor mir habe und es an der Welt teilhaben lassen möchte oder einen 17-Jährigen, der eine ganz andere Sicht auf die eine oder andere Situation hat.“
Kindheit sei ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess und es ergeben sich in den unterschiedlichen Stadien auch immer andere Möglichkeiten, mit den Kindern zu kommunizieren. So ist es wichtig, jedes Kind und jeden Jugendlichen entsprechend seines Entwicklungsstandes mitentscheiden und mitwirken zu lassen. Das wiederum ist aber in den Kinderrechten nicht klar definiert und muss daher von den entsprechenden Bezugspersonen in richtigem Maße erkannt und unterstützt werden.
Blick in die Illerstadt
Wie sieht es nun direkt hier in Kempten aus? Haben Kinder und Jugendliche die Möglichkeit, sich aktiv am Geschehen zu beteiligen? Erna-Kathrein-Groll erklärte dazu: „Der Partizipationsgedanke ist in vielen Kemptener Kitas und Schulen, trotz schwieriger Umstände wie Personalmangel, vorhanden. Partizipation von Kindern in der Stadtpolitik findet dagegen so gut wie keine statt.“ Seit 1990 gibt es zwar eine Kinderkommission in Kempten, deren Anliegen und Vorschläge werden aber über den Jugendhilfeausschuss an den Stadtrat weitergeleitet. Die Kinder können also nicht direkt mitwirken, sondern werden durch ein Sprachrohr vertreten.
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Kinderparlament in Lindenberg
Karin Bartelt und Gisela Hummel vom Kinderschutzbund berichteten vom bayernweit ersten „Platz der Kinderrechte“ in Lindenberg und dem dort vertretenen Kinderparlament. Für sie ist es unverständlich, warum es dergleichen nicht auch in Kempten gibt. „Die Kinderrechte müssen bekannt gemacht werden. Was ich nicht kenne, kann ich auch nicht umsetzten“, so Hummel.
Oliver Götz forderte dagegen klar die Politik zum Handeln auf: „Es geht hier nicht um eine direkte Beteiligung. Es geht darum, dass die vorhandenen demokratischen Strukturen die Umsetzung der Kinderrechte in Angriff nehmen müssen. Es ist die Aufgabe der Erwachsenen. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich per Unterschrift verpflichtet, diese Rechte umzusetzen und dass das so hinterherhinkt, finde ich bemerkenswert schlecht“, bezog er deutlich Stellung. Letztendlich müsse beides parallel laufen, damit es im Ganzen funktioniert.
Beteiligungsmöglichkeiten bereitstellen
Kinder sollten von klein auf über ihr Leben mitbestimmen dürfen, denn sie haben unter anderem ein Recht auf freie Meinungsäußerung und Beteiligung. Verantwortlich dafür seien in erster Linie die Eltern, welchen die Fürsorgepflicht obliegt, gefolgt vom sozialen Umfeld wie Krippe, Kita oder Schule. All diese Bezugspersonen müssen ihnen Beteiligungsmöglichkeiten, dem jeweiligen Alter entsprechend, bieten. Nur ein Kind, dem auch Verantwortung übertragen wird, kann daran wachsen und selbstwirksam sein. Wer das von klein auf erfährt, kann es auch weitergeben.
Dieser demokratische Grundgedanke klingt in der Theorie sehr einfach, praktisch ist er aber oft nicht umsetzbar. In der Gesprächsrunde berichteten Sozialpädagogen und Familientherapeuten von gestressten, überforderten, egoistischen Eltern und überlastetem, gefrustetem Einrichtungspersonal. Die Kinder stehen dazwischen. Von Eigenverantwortung keine Spur.
Alles muss einfach irgendwie funktionieren. Bemängelt wurde außerdem, dass sämtliche Hilfen für Kinder nicht am Kind ansetzten, sondern immer den Weg über die Erwachsenen gehen. Sie haben, ohne deren Zustimmung keine Möglichkeit, sich über ihre religiöse Zugehörigkeit oder ihre sexuelle Identität zu entscheiden. Auch bei Scheidungsverfahren werden ihre Wünsche und Bedürfnisse kaum gehört.
Kleine Schritte gehen
Im Laufe des Abends wurde klar: Die Zeiten und die Gesellschaft haben sich verändert. Daher müsse sich die Politik dringend dazu verpflichtet fühlen, sowohl die Kinder wie auch die sozialen Einrichtungen in ihren Handlungsmöglichkeiten zu stärken. Kinder sind trotz ihrer Rechte immer in gewissem Maße abhängig von den Erwachsenen.
Da eine Einflussnahme auf politische Entscheidungen doch eher schwierig ist, solle sich jeder individuell mit diesem Thema beschäftigen und über das eigene Handeln nachdenken. Sich Zeit für die Kinder nehmen, auf ihre Bedürfnisse eingehen, ihnen Ruhepausen gönnen, gesunde Grenzen setzen, ihnen etwas zutrauen und vor allem sie ernst nehmen. Das sind nur kleine Schritte, aber grundlegend für ein demokratisches Zusammenleben.
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