US-Wahl: Warum Frauen über Trumps „sexistische Aggressionen“ hinwegsehen
Trotz herabwürdigender Aussagen kann sich Donald Trump auf viele weibliche Supporter verlassen. Einige glaubten, wenn er „die Frauen im Griff“ habe, dann auch die Nation, erklärt die Amerikanistin Birte Christ.
Berlin – Wenn Birte Christ über die Vereinigten Staaten und die US-Wahl im November spricht, präzisiert sie ihre Sätze häufig mit Anglizismen. Sie spricht dann etwa von „Double Haters“, also von Demokraten, „die Donald Trump sowieso hassen, sich aber auch nicht durch Biden vertreten fühlen“. Christ ist weit herumgekommen in Amerika: Studiert hat sie in Texas, sie war an der Elite-Universität Yale, anschließend noch einige Jahre in Massachusetts und Kalifornien. Inzwischen lehrt die Amerikanistin an der Uni Gießen.
Zum Zeitpunkt des Gesprächs mit IPPEN.MEDIA war Christ in der Schweiz, um bei einer Sommerakademie der Studienstiftung des deutschen Volkes eine Arbeitsgruppe über die US-Wahl zu leiten. Eingeladen zu dieser „Summer School“ waren junge Menschen, die Jura, Physik oder Medizin studieren „und jetzt ihren Horizont erweitern“, sagt Christ. „Sie wollen verstehen, warum die Politik in den USA so polarisiert ist und weshalb so viele Menschen bereit sind, Trump zu wählen.“
Vor allem Deutsche verwundert es immer wieder, dass sich der ehemalige US-Präsident und republikanisch Kandidat Trump offenbar alles leisten kann, ohne dass ihm seine Anhängerschaft auch nur irgendetwas übel nimmt. Seine demokratische Kontrahentin Kamala Harris sagte zuletzt, sie kenne Typen wie Trump aus ihrer Zeit als Staatsanwältin: „I took on perpetrators of all kinds – predators who abused women“, sie habe Straftäter aller Art gesehen – auch Sexualstraftäter. „I know Donald Trump‘s type.“
Frau Christ, was begeistert so viele Frauen in den USA an Donald Trump?
Es sind vor allem weiße Frauen, die Trump unterstützen. Es hat sich schon nach den letzten beiden Wahlen gezeigt, dass sie zu ähnlichen Anteilen wie weiße Männer den Kandidaten Trump gewählt haben. Dass alle Trump-Wählerinnen von ihm begeistert wären, wäre sicher eine Übertreibung. Sie nehmen im Sinne ihrer eigenen politischen Interessen aber vieles in Kauf.
Trump hat sich häufig abfällig über Frauen geäußert, er hat sexualisierte Gewalt legitimiert – etwa als er sagte, man könne Frauen ab einem gewissen Status zwischen die Beine greifen. Warum wird er dafür nicht härter abgestraft?
Das Patriarchat wird grundsätzlich auch von Frauen getragen, die von diesem Gesellschaftsmodell profitieren. Es gibt immer Frauen, die die traditionelle Familie verteidigen, insbesondere in der weißen Mittelschicht. Als vor ein paar Jahren die Aufnahme auftauchte, in der Trump sagte „You can grab ‘em by the pussy“, hat ihm dies nicht geschadet. Männliche Aggression dieser Art gehört zur traditionellen Geschlechterhierarchie. Diese Dominanz, die ein Mann gegenüber Frauen ausübt, wird als ein Zeichen von Stärke gelesen. Sie wird verstanden als Beleg dafür, dass ein Mann seine Familie – und im Falle des Präsidenten: die Nation – notfalls mit Gewalt schützen kann.
Sexualisierten Machtmissbrauch gab es in Washington schon lange vor Trump
Bereits zu Beginn seiner US-Präsidentschaft wurde Trump bescheinigt, er sei ein Narzisst wie aus dem Lehrbuch. Wird ihm seine groteske Selbstüberhöhung bei gleichzeitiger Herabwürdigung von Frauen sogar positiv ausgelegt?
Er wird sogar dafür bejubelt. Sexualisierter Machtmissbrauch hat allerdings nicht erst in Trumps Fall dazu geführt, dass Politiker als im positiven Sinne „männlich“ gesehen wurden: Bill Clinton zum Beispiel ist aus der Affäre mit der Praktikantin Monica Lewinsky in den Umfragen gestärkt hervorgegangen. Wurde Clinton vorher eher als verweichlicht wahrgenommen, so hieß es nach seiner Affäre: Das ist doch ein richtiger Mann. Er hat die Frauen und damit auch die Nation im Griff. Diese Logik gilt auch für Trump.
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Wie steht es um den Einfluss der Frauenbewegungen in den Vereinigten Staaten?
Da Sie von Frauenbewegungen im Plural sprechen: Frauen treten auf beiden Seiten des politischen Spektrums lautstark für ihre Interessen ein. Auf der Seite der demokratisch orientierten Frauen sehen wir Aktivismus wie den Women‘s March und die #MeToo-Bewegung, auf der republikanischen Seite Organisationen wie die „Moms for Liberty“, die sich für eine traditionelle Familienordnung einsetzen und die Uhr der Emanzipation zurückdrehen wollen. Die politische Landschaft in den USA ist extrem polarisiert, und das gilt auch für die Interessen von Frauen. Die Grabenkämpfe zwischen Frauen auf der politischen Rechten und Linken zeigen sich bereits in den 1970er Jahren. Damals wurde die verfassungsrechtliche Verankerung der Gleichstellung von Männern und Frauen in letzter Minute von konservativen Anti-Feministinnen verhindert, weil sie die traditionelle Familie gefährdet sahen.
„Harris nennt Trumps sexistische Aggressionen klar beim Namen“
Es geht darum, die alte Ordnung zu bewahren?
Eher darum, den Status quo der 1950er Jahre wiederherzustellen – eine Ordnung, in der sich viele weiße Frauen aus der Mittelschicht eingerichtet haben. Werden mehr Rechte auch für Frauen gefordert, die nicht diesem Milieu entspringen, unter anderem für Women of Color, fürchten diese weißen Frauen um ihre liebgewonnenen Privilegien, um Wohlstand und Einfluss.
Eine privilegierte Woman of Color ist Kamala Harris, die gerade zur Kandidatin der Demokraten gewählt wurde. Wie sollte sie auf Trumps Sexismus reagieren?
Sie geht damit schon richtig um und nennt seine sexistischen Aggressionen klar beim Namen. Sie bezeichnet Trump auch ganz klar als einen Rassisten und Verbrecher.
Vor dem Wechsel zu Harris ist deutlich geworden, dass US-Präsident Joe Biden bei jungen Wählerinnen an Zustimmung verloren hat. Kann Harris das so kurzfristig noch aufholen?
Viele junge, demokratisch orientierte Frauen gehörten angesichts der Kandidaten Trump und Biden zu den sogenannten Double Haters – zu den Wahlberechtigten, die sich von Trump sowieso, aber auch nicht von Biden vertreten sahen. Ich glaube, gerade in diesen Kreisen kann Harris punkten – insbesondere, indem sie ihren Kampf für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch unterstreicht und Trumps Sexismus eine Absage erteilt. Unverheiratete Frauen unter 30, die grundsätzlich demokratisch orientiert sind, könnte diese Wahlbotschaft durchaus in größerer Zahl ansprechen.