Städtetag-Geschäftsführer warnt: „Wohnungsmarkt entwickelt sich mehr und mehr zum sozialen Sprengsatz“

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Helmut Dedy ist Geschäftsführer des Deutschen Städtetags. In der Wohnkrise sieht er eine Gefahr für das Miteinander und fordert die Bundesregierung deshalb auf, ihr Versprechen einzuhalten.

Berlin – Leben in der Stadt wird immer mehr zum Luxus. Der Wohnmarkt ist so angespannt, dass viele Menschen sich die Wohnung in einer Stadt schlicht nicht mehr leisten können. Helmut Dedy ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags und hat diese Probleme stellvertretend für 3200 Städte im Blick. Er sieht Licht an Ende des Wohnkrise-Tunnels, doch fordert die Politik auch zum Handeln auf.

Herr Dedy, wir befinden uns in einer Baukrise und die Mieten explodieren. Nun riet Bauministerin Klara Geywitz den Menschen, doch aufs Land oder in die Kleinstadt zu ziehen, um den Problemen zu entgehen. Wie kam das bei Ihnen an?

Die Idee ist nett, aber wem hilft sie? Wenn ich 20 Jahre jung bin und gerade meine Ausbildungsstelle in Berlin beginne, bringt mir dieser Gedanke nichts. Die Äußerung war nicht wirklich hilfreich. Und die Situation ist auch echt schwierig. Fast alles, was derzeit gebaut wird, ist zu teuer. Jedenfalls zu teuer für einen sozial ausgerichteten Mietwohnungsmarkt.

Städtetag-Chef: Wohnen bei Menschen in Städten das zentrale Thema

Als Deutscher Städtetag repräsentieren Sie über 50 Millionen Menschen. Ist das Thema Mieten und Wohnen bei den Städten gerade das drängendste?

Wenn man fragt, was in den nächsten zehn Jahren am wichtigsten wird, kommt als Antwort Klimaschutz und Klimaanpassung. Kurz- und mittelfristig aber ist Wohnen das zentrale Thema. Die Zinsen und die steigenden Baupreise führen zu den Wohnungsproblemen, die wir gerade in den Städten sehen.

Helmut Dedy ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetags und fordert Olaf Scholz‘ Ampel-Koalition auf, endlich ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen: Die Verlängerung der Mietpreisbremse, um die Kostenexplosion für Mieterinnen und Mieter beim Wohnen zu bremsen. © IMAGO / dts Nachrichtenagentur

Was heißt das für die Menschen?

Wohnungspolitik ist Sozialpolitik. Die Probleme bedrohen das soziale Gefüge in der Stadt. Wohnungslosigkeit nimmt zu. Das ist nur ein Beispiel, aber es ist ein gewisses Indiz für eine grundlegende soziale Herausforderung. Das Thema Wohnen erfüllt uns mit Sorge, aber auch mit Ehrgeiz.

Bundesregierung will Baukrise in den Griff bekommen

Die Bundesregierung will die Baukrise nun in den Griff bekommen. Als eine Lösung soll der Gebäudetyp E kommen. Das E steht für einfaches und experimentelles Bauen. Dafür sollen Auflagen wegfallen, der Neubau dadurch günstiger, schneller und mehr werden.

Ja, das ist gut, wir unterstützen das. Schon als das Konzept des Gebäudetyp E vorgestellt wurde, haben die Bauexperten bei uns gesagt, dass das eine Lösung sein kann. Der Neubau soll sich künftig auf die Kernziele Standsicherheit, Brandschutz und Klimaschutz konzentrieren und die restlichen Auflagen abspecken können. Wir hoffen darauf, dass dieser Standard im Bau Einzug hält. In diesen Maßnahmen steckt Potenzial.

Eine weitere Maßnahme ist die Bau-Novelle, auch durch sie soll Bürokratie abgebaut werden und im besten Fall dann auch die Mieten sinken.

Auch die BauGB-Novelle sehen wir positiv. Besonders für die Stärkung kommunaler Vorkaufsrechte sprechen wir uns als Städtetag eindeutig aus. Mit mehr Zugriff auf Grund und Boden würden die Städte auch mehr Einfluss auf ihre eigene Bodenpolitik nehmen können. Schritt für Schritt können Städte dann der Preisspirale beim Boden Einhalt gebieten.

Neue Wohngemeinnützigkeit wichtiger Schritt

Ein anderes Leuchtturmprojekt der Bauministerin ist die Wohngemeinnützigkeit. Wer dauerhaft gemeinnützig baut, wird gefördert. Ein richtiger Schritt für leistbares Wohnen?

Sozialwohnungen sind stets zeitlich befristet. Mit der neuen Wohngemeinnützigkeit könnten wir eine neue, dauerhafte Struktur bilden. Das ist ein wenig wie der Genossenschaftsgedanke, nur ohne Genossenschaft. Das hat Zukunft und das unterstützen wir.

Stellt sich die Frage, wer die Wohnungen bauen soll. Viele Träger können sich das nicht mehr leisten.

Ich schaue etwa auf das, was früher als Werkswohnung bekannt war. Dabei wollen wir die Probleme des bezahlbaren Wohnraums und des Fachkräftemangels gemeinsam angehen. Wenn in einer Stadt ein großes Unternehmen händeringend nach Leuten sucht, kann die Stadt mit dem Betrieb sprechen und versuchen, solche Werkswohnungen gemeinnützig auf den Weg zu bringen. Das passiert bereits.

Vielen Linken reicht das nicht. Sie sind der Überzeugung, in Großstädten kann bezahlbares Wohnen nur durch Enteignung klappen. In Berlin gab es sogar einen erfolgreichen Volksentscheid, Immobilienriesen zu enteignen. Wie stehen Sie dazu?

Ich kann die Emotionalität und Wut vieler Menschen verstehen, die einfach keine Wohnung mehr finden. Ich denke aber nicht, dass sich der Deutsche Städtetag für Enteignung aussprechen wird. Wir sind auf Konsens ausgerichtet, wollen Kommunalpolitik mit unterschiedlichen ordnungspolitischen Vorstellungen zusammenbringen. Der Gedanke der Enteignung trennt eher.

Städtetag-Chef fordert Verlängerung der Mietpreisbremse

Die Beschlüsse rund ums Bauen helfen bestenfalls langfristig. Doch die Mieten explodieren schon jetzt. Eine Direktmaßnahme ist die Mietpreisbremse, die Wucher-Erhöhungen ausschließen soll. Halten Sie die Bremse für einen guten Hebel?

Wir müssen dafür sorgen, dass wenigstens die Bestandswohnungen in nachgefragten Städten halbwegs bezahlbar bleiben. Wenn eine Wohnung wieder vermietet wird, steigen die Mieten immer noch in vielen Großstädten oder Uni-Städten. Selbst wenn der Mietspiegel einer Stadt schon zwölf bis 15 Euro pro Quadratmeter für eine Altbauwohnung ausweist, wird bei Nachvermietungen häufig auch das Doppelte verlangt. Die Mietpreisbremse dämpft diese Preistreiberei für Bestandswohnungen in vielen Fällen. Aber sie ist nur befristet bis 2025 gültig. Sie muss verlängert werden und das schnell.

Im Koalitionsvertrag der Ampel ist die Verlängerung der Mietpreisbremse vorgesehen.

Die Koalitionäre haben im April zwar ‚weißen Rauch‘ in dieser Streitfrage aufsteigen lassen, aber ein konkreter Gesetzentwurf fehlt immer noch. Die Zeit drängt: Wir brauchen jetzt in der Ampel einen geeinten Vorschlag für eine Verlängerung der Mietpreisbremse über 2025 hinaus. Der Wohnungsmarkt entwickelt sich mehr und mehr zum sozialen Sprengsatz. Viele Menschen müssten sonst mit noch höheren Mietbelastungen rechnen.

Klimawandel und Hitze in den Städten großes Problem

Probleme gibt es in Städten nicht nur bei der Miete. Auch der Klimawandel und die Anpassung an die zunehmenden Hitzetage drängt sich auf. Haben wir es verpasst, unsere Städte rechtzeitig hitzefit zu machen?

Verpasst würde ich nicht sagen. Vielleicht haben wir als ganze Gesellschaft die Entwicklung zu positiv eingeschätzt. In den Städten zeigen sich beim Klimawandel unsere gesamtgesellschaftlichen Probleme ganz gut. Wenn wir mehr Grün in der Stadt wollen, dann sprechen wir von Flächenkonkurrenzen. Der Grünfläche müssen dann vielleicht Parkplätze weichen, das geplante Wohnquartier, die Gewerbefläche oder der Skatepark. Viele unterschiedliche Interessen müssen wir Städte unter einen Hut bringen. Viele Städte haben dafür bereits Konzepte und setzen sie um.

Wie sehen die aus?

Weniger Versiegelung, mehr Bäume, Rückhaltebecken für Hochwasser und Starkregen, Hitzekarten und Apps dafür. Im vergangenen Jahr kamen viele Trinkbrunnen in den Städten hinzu, auch unter Gesundheitsaspekten. In Frankfurt am Main gibt es zum Beispiel eine eigene Satzung zu Freiraum und Klima. Neue Stadtkonzepte haben die Klimaanpassung immer im Blick. Es geht auch um Dach- und Fassadenbegrünung. Da ist es uns als Städten wichtig, den Eigentümern künftig auch an die Hand zu geben, dass Dächer begrünt werden und PV aufs Dach kommt. Es geht um Eigentum und die Frage der Verantwortung dafür.

Stadt-Land-Vergleiche greifen oft zu kurz

Politisch und medial werden Stadt und Land oft gegenübergestellt. Sie repräsentieren aber nicht nur boomende Metropolen, sondern auch kleine Städte in vom Abstieg bedrohten Regionen, auch in Westdeutschland. Greifen simple Stadt-Land und Ost-West-Vergleiche für strukturschwache Regionen zu kurz?

Es gibt diese benachteiligten Orte, auch im Westen. Im Saarland ist die Stahlindustrie weggebrochen, in Rheinland-Pfalz die Textil- und Schuhindustrie, in Nordrhein-Westfalen der Bergbau. Das sind Regionen, die zum Teil noch immer im Umbruch sind. Wir finden in jedem Bundesland attraktive und weniger attraktive Regionen, das hängt auch immer davon ab, was als Bewertungsgrundlage dient. Und auch ein Stadt-Land-Gefälle greift zu kurz. Stadt und Land dürfen nicht gegeneinander gestellt werden.

Sondern?

Gerade mit Blick auf Wohnen und Mobilität müssen wir Stand und Land gemeinsam denken. Frankfurt am Main etwa ist mit den Orten drumherum ein lebendiger Raum mit gemeinsamen Verkehrs- und Infrastrukturkonzepten. Und am Ende geht es im Kern immer um die Frage, wo wir gut leben können. Die eine mag die Stadt, der andere das Land.

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