Chinas Wirtschaft in der Krise: Wohin steuert Deutschlands wichtigster Handelspartner?

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Chinas Führung stellt die Weichen für die Wirtschaftspolitik der kommenden Jahre. Trotz massiver Probleme setzt Peking wohl auf altbekannte Rezepte – mit Folgen auch für deutsche Unternehmen.

Vier Tage müssen reichen, um Chinas wirtschaftliche Probleme in den Griff zu bekommen. Von Montag bis Donnerstag kommt in Peking das Zentralkomitee der regierenden Kommunistischen Partei (KP) zusammen, um den Wirtschaftskurs für die kommenden fünf bis zehn Jahre abzustecken. Das sogenannte Dritte Plenum – also die dritte Sitzung des im Oktober 2022 gewählten Zentralkomitees (ZK) – war bereits seit Monaten erwartet worden, die Hoffnungen auf eine Kurskorrektur sind also groß. Auch, weil in der Vergangenheit manches Dritte Plenum gewaltige Veränderungen angestoßen hat, etwa den Beginn der Öffnungspolitik unter Reformpatriarch Deng Xiaoping ab 1979. Etwas Ähnliches könnte die angeschlagene chinesische Wirtschaft auch heute gebrauchen.

Zwar zogen die Exporte im Juni wieder an, auch wuchs Chinas Wirtschaft im ersten Quartal dieses Jahres um 5,3 Prozent. Für ein Land, das noch viele Hundert Millionen Menschen aus der Armut holen muss, ist das allerdings nicht genug. Und die Probleme sind weiterhin groß. Nach dem Ende der Null-Covid-Politik ist die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt nicht wieder recht in Fahrt gekommen. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, vor allem unter jungen Menschen. Die Immobilienkrise ist weiter ungelöst, die Schulden der Provinzregierungen sind gewaltig. Auch der private Konsum schwächelt. Vieles deute darauf hin, dass sich „die Wirtschaft weiter verschlechtert“, sagt Max Zenglein, Ökonom bei der China-Denkfabrik Merics.

Chinas Wirtschaft: Reformen, die gar keine Reformen sind

Vieles deutet darauf hin, dass die 367 ZK-Mitglieder ab Montag wieder einmal eine „Vertiefung umfassender Reformen zur Förderung der chinesischen Modernisierung“ beschließen. Diese Formel weist allerdings nicht wirklich auf Reformen hin, sondern auf ein Kurshalten. Parteichef Xi Jinping verwendet sie schon seit Jahren. Eine echte Kurskorrektur sei jedenfalls nicht zu erwarten, so Zenglein. Statt der Wirtschaft den Freiraum zu geben, die sie brauche, herrsche in der KP weiterhin die Überzeugung vor, „dass die Partei die Wirtschaft kontrollieren soll“.

Menschen besuchen eine Jobmesse in der Stadt Yichang
Jobmesse in der Stadt Yichang: Chinas Wirtschaft hat sich vom Covid-Schock noch nicht erholt. © Liu Junfeng/Imago

Im Vorfeld ringen verschiedene Kräfte in der Partei darum, wie das konkret aussehen soll: Soll die Partei, wie von Xi Jinping gewünscht, weiter die Angebotsseite unterstützen – also die Industrie, die Waren und Dienstleistungen anbietet, mit viel Geld fördern und subventionieren? Oder, wie eine wachsende Zahl renommierter Ökonomen fordert, auf eine Nachfragepolitik umschwenken, die gezielt die Verbraucher fördert, damit diese mehr Geld in der Tasche haben und so auch mehr auf dem Markt nachfragen können?

Auch chinesische Ökonomen fordern ein Umsteuern in der Wirtschaftspolitik

Chinesische Ökonomen und KP-Funktionäre fordern in verschiedenen Bereichen einen Politikwechsel hin zu mehr Nachfrageorientierung. Einige wünschen sich Steuerreformen, um den klammen Lokalverwaltungen mehr Spielraum zu geben. Andere machen Vorschläge für eine bessere Krankenversicherung. Manche fordern eine echte Reform des Hukou-Systems, das Wanderarbeiter in den Städten noch immer von vielen öffentlichen Dienstleistungen ausschließt. All das würde es den Verbrauchern ermöglichen, weniger sparen zu müssen und mehr auszugeben. Das wäre wichtig, denn das Konsumentenvertrauen hat sich von der Pandemie bislang kaum erholt. Nach dem Ende der Null-Covid-Politik habe die Partei gedacht, „auf Knopfdruck würde sich alles um Besseren wenden. Aber das ist nicht passiert“, sagt Zenglein.

Xi Jinping aber hält nichts von direkten Transfers an die Bevölkerung, weil das angeblich die Faulheit fördert. Und die jungen Leute forderte Xi angesichts einer Rekordarbeitslosigkeit von über 20 Prozent bei den unter 25-Jährigen auf, doch mehr Leidensfähigkeit an den Tag zu legen.

Dass Chinas Parteichef klingt wie ein westlicher Neoliberaler in den 1990er-Jahren, ist womöglich kein Zufall. Chinas heutige Regierungsberater und führende Ökonomen seien von dem Studium neoliberaler westlicher Angebotspolitik in der Ära Ronald Reagans und Margaret Thatchers geprägt, räumte der Ökonomieprofessor Li Dekui von der Pekinger Tsinghua-Universität im Juni bei einer Veranstaltung ein. „Wir wurden angehalten zu sagen, die Regierung sollte hart an der Angebotsseite arbeiten und sich keine Sorgen über die Nachfrageseite machen. Zu viel Sozialhilfe werde den Enthusiasmus der Bevölkerung für harte Arbeit abtöten. Ich glaube, wir haben uns damit geirrt.“ Li spricht sich nun etwa für Erleichterungen beim Wohnungskauf oder eine konsumfördernde Lokalpolitik aus. Er plädiert also für einen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik, der so aber wohl nicht kommen wird. „Reform ist nicht gleichbedeutend mit Kursänderung“, sagte Xi Jinping Anfang Juli in der Parteizeitung People‘s Daily.

Auch deutsche Unternehmen leiden unter Schwäche der chinesischen Wirtschaft

Auch für westliche Unternehmen wäre eine Förderung des Konsums besser als eine Fortsetzung der aktuellen Politik. Denn für viele Firmen, etwa die deutschen Autokonzerne, ist China der wichtigste Auslandsmarkt. Und so leiden auch sie unter der schwachen Nachfrage. Umgekehrt führt die bisherige Angebotspolitik mit ihrer Investitionsförderung zum Aufbau immer neuer Produktionsanlagen. Schon jetzt sorgen Überkapazitäten in vielen chinesischen Industriesektoren für politische Verwerfungen, etwa mit der EU. Denn Überkapazitäten führen zu vermehrten Exporten und niedrigen Preisen. So sorgte 2023 ein Überangebot chinesischer Solarmodule für einen Preissturz, der den europäischen Solarherstellern bis heute große Probleme bereitet. Gegen E-Autos aus China hat Brüssel Anfang Juli bereits Sonderzölle verhängt, mit der Begründung, China fördere den Sektor mit unfairen Mitteln. Peking reagierte darauf mit Vergeltungsdrohungen und eigenen Anti-Dumping-Ermittlungen etwa gegen Schweinefleisch aus Europa.

Xi Jinping plädiert dennoch auf ein Weiter-so. Zengleins Merics-Kollege Nis Grünberg fasst die Strategie der chinesischen Regierung so zusammen: „Sie wissen, dass die Wirtschaft in Schwierigkeiten ist, und trotzdem setzen sie weiter auf Staatskapitalismus.“

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