Hat Chinas Wirtschaft ihren Zenit überschritten?
Schwaches Wachstum, Immobilienkrise, Geburtenrückgang: Chinas Wirtschaft startet mit gestutzten Flügeln ins Jahr des Drachen. Ein Sektor aber macht Hoffnung.
Alles wird gut. Das ist, vereinfacht gesagt, die Botschaft, die Chinas Astrologen für das an diesem Samstag beginnende Jahr des Drachen in die Welt aussenden. In der chinesischen Mythologie steht der Drache für Glück, Wohlstand und Weisheit, kein anderes der zwölf chinesischen Sternkreiszeichen gilt als derart verheißungsvoll.
Auch Chinas Premierminister bemühte unlängst die Drachen-Symbolik. Alle Länder müssten „mit der Kraft eines fliegenden Drachens“ gemeinsam Wohlstand und Frieden schaffen, sagte Li Qiang auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Li war in die Schweizer Berge gekommen, um für Vertrauen in sein Land zu werben und für Investitionen in die chinesische Wirtschaft. „Chinas Markt zu wählen, ist kein Risiko, sondern eine Chance“, sagte Li.
Dass sich der Premierminister der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt bemüßigt sieht, Werbebotschaften für sein Land in die Welt zu schicken, hat einen guten Grund: Vielerorts ist das Vertrauen in die chinesische Wirtschaft einer tief sitzenden Skepsis gewichen. Schlagworte wie „Peak China“ machen die Runde, vor allem in den USA. Der Tenor: China hat seinen Zenit überschritten. Ein Blick auf die Aktienmärkte scheint die Pessimisten zu bestätigen. So liegt der Hongkonger Leitindex Hang Seng dieser Tage bei Werten, wie man sie zuletzt in den Jahren der weltweiten Finanzkrise gesehen hat. Ähnlich schlecht sieht es beim CSI 300 aus, der die wichtigsten Unternehmen der Börsen in Schanghai und Shenzhen bündelt.
Chinas Wirtschaft wächst – doch „nationale Sicherheit“ geht vor
Die Probleme, vor denen China steht, erscheinen tatsächlich gewaltig. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, die Geburten gehen zurück, die ausländischen Direktinvestitionen brechen ein. Auch der private Konsum schwächelt, woran die Reisezeit rund um das chinesische Neujahrsfest nur kurzfristig etwas ändern dürfte. Und Chinas Regierung? Die scheint das Problem aussitzen zu wollen. Das zumindest liest manch Beobachter aus der Tatsache, dass noch immer kein Termin feststeht für das so wichtige Dritte Plenum des Zentralkomitees von Chinas Kommunistischer Partei, auf das Beobachter seit dem Herbst warten. Diese alle fünf Jahre stattfindende Sitzung stellt traditionell die Weichen für die Wirtschaftspolitik der nächsten halben Dekade. In der Vergangenheit stießen diese Dritten Plenen oftmals Reformschübe an, die Chinas Entwicklung beschleunigten.
Einen solchen Liberalisierungsimpuls könnten vor allem Chinas Privatunternehmen derzeit gut gebrauchen. Staats- und Parteichef Xi Jinping lässt die Wirtschaft stärker kontrollieren als seine Vorgänger – denn für ihn stehen nationale Sicherheit, soziale Stabilität und die Sicherung der KP-Herrschaft an erster Stelle. Die zuvor seit Jahrzehnten fortschreitende Öffnung zu mehr Marktwirtschaft hat Xi vorerst weitgehend ausgebremst. „China ist bereiter denn je, eine langfristig schwächere wirtschaftliche Entwicklung in Kauf zu nehmen“, sagt die Ökonomin Wan-Hsin Liu vom Kiel Institut für Weltwirtschaft. Dass das Plenum noch immer nicht einberufen wurde, ist daher kein gutes Omen für Chinas Wirtschaft im Drachenjahr.
Trotz allem ist Chinas Wirtschaft 2023 um 5,2 Prozent gewachsen, was etwa dem im vergangenen März ausgegebenen Wachstumsziel von „um die fünf Prozent“ entspricht. Das Wachstum sei 2023 „hart erkämpft“, sagte der Chef des Statistikamts, Kang Yi, bei der Vorstellung der Daten im Januar. Die Wirtschaft stehe einem komplexen externen Umfeld gegenüber und sei auch 2024 mit einer unzureichenden Nachfrage konfrontiert. Ökonomen der Weltbank erwarten für dieses Jahr nur noch 4,5 Prozent Wachstum. Der Internationale Währungsfonds sieht einen Abwärtstrend für die kommenden Jahre voraus – auf nur noch 3,4 Prozent im Jahr 2028. Zu wenig für ein Land, das noch viele hundert Millionen Menschen aus der Armut holen muss.
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China ächzt unter hohen Schulden
Bislang hat Chinas Wirtschaft zwar auch in schweren Zeiten stets eine gewisse Resilienz bewiesen; der immer wieder von ausländischen Beobachtern herbeigeschriebene Kollaps trat nie ein. Doch in der Vergangenheit legte Peking in jeder Krise milliardenschwere Konjunkturprogramme auf, ließ mit dem Geld Infrastruktur bauen, vom Hochgeschwindigkeitszug bis zum Kohlekraftwerk. Doch das ist nicht mehr so einfach: Eisenbahnbrücken und Flughäfen gibt es mittlerweile genug, und Kohlekraft steht angesichts der Klimakrise nicht mehr hoch im Kurs. Ob Dutzende im Rahmen regionaler Stimulusprogramme genehmigte neue Kraftwerke wirklich alle gebaut werden, ist aufgrund des Zielkonflikts zwischen Wachstum und Klimaschutz unklar.
Und auch das Geld sitzt nicht mehr so locker. Die Milliardenprogramme der Vergangenheit haben Chinas traditionell niedrigen Schuldenstand empfindlich erhöht: Ende 2023 lag die staatliche Schuldenquote (das Verhältnis von Staatsschulden zum Bruttoinlandsprodukt) nach einem Bericht des chinesischen Wirtschaftsmagazins Caixin auf dem Rekordstand von 55,9 Prozent. Damit würde China sich der Schwelle der Maastricht-Kriterien nähern, wonach der öffentliche Schuldenstand der Euro-Mitglieder höchstens 60 Prozent betragen darf (was von diesen freilich nicht immer eingehalten wird).
Auf die schleppende Erholung nach der Corona-Pandemie antwortete Peking denn auch nicht mit einem Wumms, sondern mit zahlreichen kleineren Hilfsmaßnahmen wie gezielten Zinssenkungen, Finanzspritzen und Steueranreizen für bestimmte Sektoren. Doch reichen diese Maßnahmen bislang nicht aus. Angesichts der Turbulenzen bei den großen Immobilienentwicklern in China sind die Menschen verunsichert. Sie halten ihr Geld zusammen, anstatt es für Konsumgüter oder Anschaffungen wie ein Auto auszugeben. Hinzu kommt die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die im vergangenen Sommer bei über 20 Prozent lag und seither nur leicht zurückgegangen ist. Unter diesen Umständen ist es schwierig, den Konsum anzukurbeln, was eigentlich das zentrale Element der chinesischen Wachstumsstrategie ist.
Chinas Immobiliensektor steht vor dem Kollaps
Der Aufruhr im Immobiliensektor ist der wichtigste Einzelfaktor für die schwierige Lage. Gleich mehrere der größten Wohnungsbaukonzerne sind durch ihre exorbitanten Schulden in Schieflage geraten. Ende Januar besiegelte ein Gericht am Börsenstandort Hongkong das Aus des mit sagenhaften 300 Milliarden US-Dollar verschuldeten Problemkonzerns Evergrande. Was aus den vielen halbfertigen Wohnprojekten der Firma wird, ist völlig unklar. Die meisten Käuferinnen und Käufer bezahlen in China für ein Apartment, bevor es überhaupt gebaut wird. Die aktuelle Krise zerstört den Traum vom Eigenheim oder vernichtet Investments der Mittelschicht. Einige Städte senkten daher die Hypothekenzinsen oder die Mindestanforderungen für den Wohnungserwerb. Trotz dieser Bemühungen gibt es kaum Anzeichen für eine Erholung.
Auch für ausländische Firmen ist es von enormer Bedeutung, ob etwa der Markt für Konsumgüter endlich anzieht oder nicht. Laut dem kürzlich vorgestellten Geschäftsklimaindex der Deutschen Handelskammer (AHK) in China sehen 83 Prozent der Befragten die chinesische Wirtschaft derzeit im Abwärtstrend. Doch immerhin fast zwei Drittel von ihnen glauben, dass die Konjunkturschwäche nur ein bis drei Jahre anhalten werde. „Der Markt mag langsamer wachsen, und es könnte in Zukunft mehr Unebenheiten auf dem Weg geben“, sagte AHK-Vorstandschef Ulf Reinhardt. „Aber China ist ein so großer Markt, dass selbst ein geringes Wachstum aufgrund seiner schieren Größe von Bedeutung ist.“
Gleichzeitig halten viele westliche Unternehmen – Stichwort „De-Risking“ – auch nach neuen Standorten Ausschau, etwa in Indien oder Vietnam. Das zeigt sich etwa bei den ausländischen Direktinvestitionen (FDI) in den chinesischen Markt, die 2023 um acht Prozent auf 1,13 Billionen Yuan (146 Milliarden Euro) zurückgingen.
China steckt viele Milliarden in erneuerbare Energien
Doch es ist nicht alles trist. Milliarden fließen etwa in die energetische Transformation, vor allem in den Ausbau erneuerbarer Energien. Dadurch ist ein völlig neuer Wirtschaftssektor entstanden, mit vielen Firmen und Arbeitsplätzen, die Solarmodule, Elektrofahrzeuge und Batterien produzieren. Die Investitionen in saubere Energien stiegen 2023 nach Angaben von Lauri Myllyvirta, China-Experte vom Centre for Research on Energy and Clean Air in Helsinki, um 40 Prozent auf 6,3 Milliarden Yuan (820 Mrd. Euro). Das gesamte Investitionswachstum der chinesischen Wirtschaft im Jahr 2023 entfalle allein auf diesen Sektor, zu dem Myllyvirta auch Kernkraft, Stromnetze, Energiespeicherung und Eisenbahnen zählt.
„Diese Sektoren der sauberen Energien waren somit 2023 die größte Triebkraft des chinesischen Wirtschaftswachstums insgesamt und trugen 40 Prozent zum Wirtschaftswachstum bei“, schreibt Myllyvirta. Und dieser Sektor wird weiter wachsen, denn auch die Volksrepublik arbeitet an der Energiewende. Gute Nachrichten – für China und das Weltklima.