„Kampfpatrouille“ der „Bären“: Putins Atombomber kreuzen bedrohlich über Japans Inseln
Russland reizt auch Japan bis zur Weißglut. Mit seinen strategischen Bombern in der Luft hält Putin seinen Anspruch auf die Kurilen-Inseln aufrecht.
Tokio – „Das russische Militär hat für einen möglichen Krieg mit Japan und Südkorea detaillierte Ziellisten erstellt, die auch Atomkraftwerke und andere zivile Infrastruktur umfassen. Dies geht aus Geheimakten aus den Jahren 2013 und 2014 hervor“, schreiben Chris Cook und Max Seddon über Dokumente, die die Financial Times (FT) eingesehen hat. Offenbar testen die Invasionstruppen von Wladimir Putin neben dem Ukraine-Krieg ihre Reichweite aus. Dabei tauchen vermehrt russische Bomber über Japans Küsten auf, auch die Nato-Verbündeten sind alarmiert.
Möglicherweise sind das die Auswirkungen der Angriffspläne, die bis zur FT durchgesickert sind, wie Cook und Seddon Ende vergangen Jahres gemeldet haben. „Sie umfassen 160 Standorte wie Straßen, Brücken und Fabriken, die als Ziele ausgewählt wurden, um die Umgruppierung von Truppen in Gebieten mit operativem Nutzen“ zu verhindern. Wie das Magazin Newsweek berichtet, sollen jetzt mindestens zwei Bomberpaare samt begleitender Kampfjets über Japans Küsten gesichtet worden sein, wie das japanische Verteidigungsministerium veröffentlicht haben soll.
Japan tobt: „Schon vor dem Ukraine-Konflikt hatte Tokio eine verstärkte russische Militärpräsenz beklagt“
Demnach hätten zwei russische Bomber, eskortiert von zwei Kampfflugzeugen, die La-Pérouse-Straße überflogen. Diese Meerenge trennt den südlichen Teil der russischen Insel Sachalin vom Norden der japanischen Insel Hokkaido – eine der vier Hauptinseln Japans. Ein zweites Paar russischer Bomber samt Eskorte ist laut Newsweek über dem Japanischen Meer vor der Südwestküste Hokkaidos und der Nordwestküste Honshus gesichtet worden, einer weiteren japanischen Hauptinsel. Newsweek berichtet auch über ein gleichzeitiges Auftauchen eines russischen Seeaufklärungsflugzeugs vom Typ Il-38 über den Gewässern zwischen dem russischen Festland in der Region Fernost und West-Hokkaido sowie Nordwest-Honshu, wie das Magazin den Unterlagen des japanischen Verteidigungsministeriums entnommen hat.
„Ab heute werden solche Flüge regelmäßig und in strategischem Umfang durchgeführt. Unsere Piloten waren schon zu lange am Boden.“
Die übrigen Maschinen sollen Bomber des Typs Tupolew Tu-95MS gewesen sein sowie Kampfflugzeugen des Typs Su-35S und Su-30SM. Laut Newsweek hat Russland lediglich ein Bomberpaar bestätigt; Russland dementierte die Verletzung des nationalen Luftraumes, räumte aber ein, auf einigen Abschnitten ihrer Route von Kampfflugzeugen der japanischen Luftwaffe beschattet worden zu sein, wie die russische Nachrichtenagentur Tass unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium formulierte.
„Die Piloten der russischen Langstreckenflugzeuge führen regelmäßige Flüge über den neutralen Gewässern der Arktis, des Nordatlantiks, des Schwarzen Meeres und der Ostsee sowie des Pazifischen Ozeans durch“, betonte das Ministerium, „alle Flüge unter strikter Einhaltung der internationalen Regeln zur Nutzung des Luftraums“. Was Tokio anders sieht, wie Michael Corbin festhält. „Schon vor dem Ukraine-Konflikt hatte Tokio eine verstärkte russische Militärpräsenz auf den Inseln beklagt“, schrieb Anfang 2024 der Analyst des US-Thinktanks Responsible Statecraft und bezog sich auf den Streit zwischen Japan und Russland um eine Insel-Gruppe.
Meine News
Der Westen handelt: „Nato-Wertepartner“ stärker in die Zusammenarbeit mit der Allianz eingebunden
In Russland heißen sie Kurilen, in Japan gelten sie als „nördliche Territorien“ und ziehen sich zwischen der japanischen Insel Hokkaido und der russischen Halbinsel Kamtschatka entlang. Diese Region gilt als geopolitisch heikel, da sie Kontrolle gewährt über den Zugang zum Pazifik. Corbin zitiert einen Satz, den der ehemalige russische Präsident Dimitri Medwedew in sozialen Medien veröffentlicht haben soll: „Die ‚Gefühle der Japaner‘ gegenüber den sogenannten ‚nördlichen Gebieten‘ sind uns völlig egal. Das sind keine ‚umstrittenen Gebiete‘, sondern Russland.“ Der Osteuropa-Experte sieht darin eine ganz klare Haltung Russland zu Japan als „unfreundliches Land“, wie er es formuliert.
Auf ihrer Konferenz im litauischen Vilnius hatten die Nato-Staaten zuletzt Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland als „Nato-Wertepartner“ stärker in die Zusammenarbeit mit der Nordatlantischen Verteidigungsallianz eingebunden. Demnach soll Japan künftig in 16 und Südkorea in elf Bereichen enger mit den anderen Nato-Staaten zusammenarbeiten, wie Martin Kölling berichtete. Laut dem Autor des Handelsblattes fallen folgende Aspekte darunter: Terrorismusbekämpfung, Cybersicherheit und technologische Zusammenarbeit, aber auch eine stärkere Abstimmung von Standards bei Waffen und Kommunikation.
Was wiederum in Moskau als aggressive Expansion des Bündnisses angesehen wird, wie Kölling nahelegt; und worin sich die Brisanz der von der Financial Times Dokumente begründet. Die Papiere sollen wohl Grundlage der Ausbildung von Offizieren sein und aus den Jahren zwischen 2008 und 2014 datieren. Laut den FT-Autoren Cook und Seddon würden sie für einen möglichen Konflikt an der Ostgrenze „noch immer als für die russische Strategie relevant angesehen“, wie sie schreiben. Die Dokumente enthielten demnach Details zu „Funktionsprinzipien für den Einsatz von Atomwaffen“ sowie ein Szenario einer chinesischen Offensive – Stoßrichtung möglicherweise Europa.
Putin modernisiert: „Russlands alte Bären fliegen Richtung Zukunft“
Brisant ebenfalls, dass gerade die Tupolew Tu-95MS Atomwaffen transportieren kann. John T. Correll sieht in der Tu-95 weiterhin das „Rückgrat der sowjetischen strategischen Luftfahrt, selbst nach der Einführung der viel schnelleren Tu-22 Backfire und der Mach 2 Tu-160 Blackjack“. Seit 1981 werde die Produktionslinie sukzessive modernisiert. Der auch mit dem Nato-Code „Bear“ bezeichnete Langstreckenbomber wurde sogar noch 2023 vom deutschen Luftfahrtmagazin Flugrevue geadelt: „Russlands alte Bären fliegen Richtung Zukunft“, titelte Autor Patrick Zwerger bezüglich Russlands Aktivitäten, sein rund 70 Jahre altes Schlachtross aufzumöbeln.
Zwerger zufolge sollen in den kommenden Jahren sämtliche „Bären“ der aktuellen Version Tu-95MS der russischen Luftwaffe auf den neuen Standard Tu-95MSM hochgerüstet werden: „Neues Radar, neue Systeme, mehr Waffen, bessere Triebwerke“, wie er schreibt. Dadurch wolle die russische Luftwaffe den Einsatz der Maschine bis 2024 sicherstellen, so die Flugrevue. Die Aufgaben hätten sich allerdings gewandelt: Die ursprünglichen Einsätze sahen das Abwerfen von Bomben vor, inzwischen sei die „Bear“ ein strategischer Raketenträger geworden, schreibt Zwerger. Sein Fokus liege darin, Marschflugkörper aus sicherer Distanz mit größtmöglicher Präzision auf Bodenziele zu feuern. Derzeit habe Russland 47 aktive Tu-95MS im Bestand, notiert Zwerger. Die Maschine steht auch im aktiven Kampfeinsatz in der Ukraine.
Putin zündelt: Befehl, dass russische Bomber ihre Langstrecken-Patrouillenflüge wieder aufnehmen
Wie John Correll im Magazin Air & Spaceforces berichtet hat, seien diese Überflüge grundsätzlich Tagesgeschäft zwischen gegnerischen militärischen Lagern, schlicht und ergreifend, um Informationen aus dem Äther oder mittels visueller Aufklärung zu erhalten. Beispielsweise durch das Knacken von Codes oder durch die Beobachtung von speziellen Abläufen nach Feindkontakt. „Außerdem konnten sie so die Reaktion der Abfangjäger testen und zeitlich einordnen sowie die Genauigkeit der Radare bestimmen. Sie konnten den maximalen Nutzen aus der Mission nur ziehen, wenn die Abwehr aktiviert war, also mussten sie nahe genug heranfliegen, um die Jäger zum Alarm zu bewegen“, schreibt Correll.
Zum Ende des Kalten Krieges hatten US-Präsident George W. Bush und der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow gemeinsam den „Bären“ kaltgestellt und die Konfrontation in der Luft heruntergefahren. Bis Wladimir Putin an die Macht kam, wie Air & Spaceforces schreibt – im August 2007 soll er angeordnet haben, dass russische Bomber ihre Langstrecken-Patrouillenflüge wieder aufnehmen sollten. Begleitet von Begleitflugzeuge hätten die Langstreckenbomber also ihre Einsätze wieder fortgesetzt über dem Atlantik, dem Pazifik und über dem Nordpol. Der offizielle russische Begriff für solche Flüge lautet „Kampfpatrouille“, schreibt Correll; und zitiert den russischen Diktator:
„Ab heute werden solche Flüge regelmäßig und in strategischem Umfang durchgeführt“, habe Wladimir Putin gesagt. „Unsere Piloten waren schon zu lange am Boden.“ (Karsten Hinzmann)