Die Deutschen wechseln zu selten den Job – mit großen Folgen für uns alle

„In Deutschland ist es normal, sein ganzes Leben in einer Firma zu arbeiten“, sagt Nicola Fuchs-Schündeln, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, im Interview mit der WirtschaftsWoche. In anderen Ländern ist man damit die Ausnahme. In den USA etwa sind nur neun Prozent der Beschäftigten länger als 20 Jahre bei einem Arbeitgeber, in Deutschland sind es mehr als doppelt so viele. Und das nicht ohne Grund – aber mit teuren Folgen. 

Arbeitsschutz oder Reformblockade?

Die Deutschen lieben Sicherheit: Versicherungen, Regeln, klare Zuständigkeiten – alles tief verwurzelte Konzepte. Entsprechend zählt der deutsche Arbeitnehmerschutz zu den umfassendsten weltweit. Starke Gewerkschaften, Betriebsräte, Kündigungsschutz und großzügige Abfindungen sorgen für Stabilität. Für viele Beschäftigte ist das ein Segen. Doch es hat auch eine Kehrseite: Kaum jemand wechselt freiwillig den Job.

„Never change a running system“ – dieser Leitsatz prägt nicht nur die deutsche Ingenieurskunst, sondern auch das Arbeitsleben. Der Preis ist ein lähmender Stillstand.

Der Markt bewegt sich – aber ohne uns

Blöd nur, dass das System nicht mehr funktioniert. Deutschland steckt seit Jahren in einer wirtschaftlichen Stagnation. Regierung und Wirtschaft fordern mehr Arbeitszeit und höhere Produktivität, doch Ökonom Benjamin Schoefer von der Berkley University sieht das eigentliche Problem woanders: in den fehlenden Jobwechseln.

Seine These: Die geringe Wechselbereitschaft der Deutschen lähmt den Arbeitsmarkt und damit die gesamte Wirtschaft. Wenn Beschäftigte dauerhaft in der gleichen Firma bleiben, sinkt der Innovationsdruck, so beschreibt er das Problem. Unternehmen müssen sich weniger anstrengen, ihre Prozesse zu modernisieren oder attraktivere Arbeitsbedingungen zu schaffen. Frischer Wind bleibt aus, ebenso wie die Produktivitätssprünge, die mit neuen Perspektiven kommen könnten.

Corona als Beispiel und Warnung

Ein Beispiel liefert die Corona-Pandemie. In Deutschland wurde massiv auf Kurzarbeit gesetzt. Das sicherte Millionen Jobs, aber auch viele ineffiziente Strukturen. In anderen Ländern wie den USA haben Unternehmen zwar kurzfristig viele Mitarbeiter entlassen, doch diese fanden meist binnen weniger Monate neue Jobs, oft sogar mit besseren Perspektiven.

In Deutschland hingegen wurde an alten Strukturen festgehalten. Das Signal lautete: Kein Arbeitsplatz darf verloren gehen – koste es, was es wolle, kritisiert der Ökonom. Das habe zwar soziale Härten abgefedert, aber den Wandel ausgebremst. Deutschland klammere sich zu oft an das Bestehende, selbst wenn es längst nicht mehr trägt.

Wer bleibt, verdient weniger

Der Preis dafür ist auch für die Beschäftigten selbst hoch. Denn wer seltener den Job wechselt, bekommt in der Regel auch weniger Gehaltserhöhungen. Studien zeigen: Wer innerhalb eines Unternehmens bleibt, erhält oft nur Inflationsausgleich. Wer jedoch wechselt, kann mit Lohnsprüngen von 10 bis 20 Prozent rechnen, besonders in stark gefragten Branchen.

Zudem verfestigt der Stillstand Ungleichheiten. Junge Talente, die eigentlich das System dynamisieren könnten, treffen auf festgefahrene Strukturen und träge Hierarchien. 

Bewegung wagen – bevor es zu spät ist

Was also ist der Ausweg? Deutschland muss wieder lernen, sich zu bewegen – nicht nur technologisch, sondern auch mental. Wer heute zu lange auf Sicherheit setzt, könnte morgen den Anschluss verlieren. Das gilt für Unternehmen wie für Beschäftigte.