Reißverschluss-Pflicht am Fliegengitter – ein Symbol für sinnlose deutsche Regelkunst

Ein Bauleiter, der für Bäckerei-Filialen in München arbeitet, erzählt: „Als erster kam ein Mitarbeiter vom Gesundheitsamt und forderte an den Fenstern Fliegengitter - soweit OK. Ein paar Wochen später war Besuch vom Bauamt vor Ort, der sagte es handelt sich um einen Fluchtweg, dementsprechend sollten die Neun-Euro-Fliegengitter wieder weg! Nach mehreren Anläufen und Verhandlungen mit den Behörden, die zu keiner Einigung führten, habe ich um einen Vor-Ort-Termin gebeten. Dabei haben sich die Herren auf einen Reißverschluss im Fliegengitter geeinigt. Kosten für die Sonderanfertigungen über 750 Euro. Mit gesundem Menschenverstand nicht nachzuvollziehen.“

Häufig widersprechen sich Behörden, weil Gesetze widersprüchlich sind

Ein Beispiel, wie uneinige Behörden Frust bei Bürgern und Unternehmen hinterlassen. Von außen betrachtet wirkt der deutsche Rechtsstaat wie ein Uhrwerk – präzise, durchdacht, ineinandergreifend. Doch Mittelständler wissen: Er gerät manchmal völlig aus dem Takt. Gesetze können sich widersprechen, auch wenn sie auf genau denselben Fall anzuwenden sind. Dies kann daran liegen, dass sie unterschiedliche Zwecke verfolgen: etwa Umweltschutz, Arbeitsschutz, Denkmalschutz, Bausicherheit oder Brandschutz. Dies führt dann zu unterschiedlichen Anforderungen der Behörden, die das betroffene Unternehmen zunächst einmal vor eine unlösbare Situation stellt.

Wenn der Brandschutz dem Arbeitsschutz widerspricht

Das kommt in der Praxis oft vor. Ein weiteres Beispiel, wie sich gesetzliche Schutzzwecke widersprechen: Die Arbeitsstättenverordnung schreibt für Werkstätten ausreichend natürliches Licht vor. Klingt sinnvoll. Doch das Bauordnungsrecht in manchen Ländern verlangt bei bestimmten Grenzbebauungen aus Brandschutzgründen fensterlose Wände. Ein Unternehmen, das seine Halle erweitern will, steht plötzlich vor einem Planungsstop. Der Architekt zuckt mit den Schultern, das Bauamt verweist ans Gewerbeaufsichtsamt, das wiederum auf den Gesetzgeber. Währenddessen ruht der Bau und mit ihm die Aufträge und die dringend benötigte Kapazitätserweiterung.

Das Rätselraten um die erforderliche Höhe eines Treppengeländers

Es gibt sogar Vorgaben, die sich widersprechen, obwohl sie dasselbe Ziel verfolgen: Bei einer Absturzgefahr bis zu zwölf Meter schreibt das Baurecht von Baden-Württemberg vor, dass Treppengeländer in einem Betrieb mindestens 90 Zentimeter hoch sein müssen. Doch die Berufsgenossenschaft schreibt eine Mindesthöhe von 100 Zentimeter vor. 

Die Vorgaben beziehen sich hier auf den exakt gleichen Sachverhalt, und zwar die Höhe des Geländers. Noch besser der Klassiker: Der Arbeitsschutz schreibt vor, dass der Boden einer Fleischerei mit Noppen zu versehen ist, damit er rutschfest ist. Hygienevorschriften besagen jedoch, dass er glatt sein muss, damit er optimal gereinigt werden kann. Was gilt? 

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Haben Sie selbst ein Beispiel erlebt, bei dem die Bürokratie so zugeschlagen hat, dass Sie fassungslos waren? Und Sie möchten, dass davon auch andere erfahren? Dann schreiben Sie uns eine Mail an mein-bericht@focus.de.

Der Staat ist verpflichtet, proaktiv zu handeln

Es ist nicht Aufgabe eines Familienunternehmens, diesen Widerspruch aufzulösen. Hier besteht eine Bringschuld des Staates. Die Behörden sind verpflichtet, die Gefahr von Widersprüchen zu erkennen und frühzeitig zu beseitigen, sodass keine unnötige Zeit verlorengeht und dem Unternehmen keine unnötigen Kosten entstehen. Häufig wissen die zuständigen Mitarbeiter, dass die Kollegen (bis hin zur Berufsgenossenschaft und der Versicherung) gegensätzliche Anforderungen stellen werden. 

Wäre es nicht Aufgabe des Staates, die unterschiedlichen Schutzziele frühzeitig in einer konzertierten Aktion mit dem Bauherrn zu klären? Entspricht es tatsächlich unserem Staatsverständnis, dass der Denkmalschutz, der Brandschutz oder der Arbeitsschutz jeweils seine gesetzlich begründeten Forderungen stellt und abwartet, wie sich das Projekt mit welchen staatlichen oder genossenschaftlichen Einflüssen auch immer weiterentwickelt? Ich meine, hier muss etwas passieren.  

Die Verwaltung muss die Konflikte selbst in die Hand nehmen und lösen. Denn nur sie ist in der Lage, mithilfe von Kompromissen, Ermessensauslegungen und unter Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips einen Ausgleich zu finden.

Vertreter von Baurechtsbehörden werden sagen, dass auch der Planer die beteiligten Behörden zu einem gemeinsamen Termin einladen kann, um Konflikte zu entschärfen.  Dies passiert auch immer wieder, aber es ist Staatsangelegenheit, daran proaktiv mitzuwirken, dass Genehmigungsverfahren zu einem guten Ergebnis führen: damit gebaut werden kann, Existenzen gegründet und Arbeitsplätze geschaffen werden können. Daran sollte der Staat ein großes Interesse haben, schließlich entstehen so auch neue Steuereinnahmen. 

Widersprüchliche Rechtsnormen schaden der Wirtschaft und der Gesellschaft

Normenkonflikte, die nicht frühzeitig aufgelöst werden, untergraben die Rechtssicherheit, da sie die Unternehmen vor unlösbare Probleme stellen. Die Betriebe wissen nicht, welche Vorschrift in der Praxis anzuwenden ist, was zu Unsicherheit, Fehlern und gegebenenfalls Sanktionen führen kann. Es leidet das Vertrauen in die Gesetzgebung. Familienunternehmen, die sich auf klare Regeln verlassen müssen, sehen sich mit einem unzuverlässigen und schwer durchschaubaren System konfrontiert. Allzu oft müssen Unternehmen auch ungerechtfertigte Mehrkosten tragen, wie im Fall des Fliegengitters mit Reißverschluss.

Heute ist Bürokratie-FREI-Tag: Gisela Meister-Scheufelen, „Miss Bürokratieabbau“ von der Stiftung Familienunternehmen und Politik, stellt absurde bürokratische Hemmnisse vor, die Zeit, Nerven und Geld kosten.