Oberlandesgericht stoppt Deutsche Bank – EU-Recht sticht US-Sanktionen

Ein unscheinbares Urteil mit explosivem Inhalt: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat in einer Sache gegen Deutsche Bank am 17. Juni 2025 ein wegweisendes Urteil gefällt. Es geht um nicht weniger als die Frage: 

Darf eine deutsche Bank einem Kunden kündigen, weil dieser auf der US-Sanktionsliste stand – auch wenn das gegen europäisches Recht verstößt?

Die Richter sagen: Nein. Und das hat weitreichende Folgen für deutsche Banken, die sich im Spannungsfeld zwischen transatlantischer Regulierung und der europäischen Rechtsordnung, der sog. EU-Anti-Blocking-Verordnung bewegen.

Der Fall: Ein deutscher Kunde mit iranischen Unternehmer-Wurzeln – und einer langen Bankhistorie

Der Kläger ist deutsch-iranischer Staatsbürger, mit umfangreichen unternehmerischen Verbindungen im Iran. Seit rund 30 Jahren unterhielt er Privatkonten, Depots und Kreditkarten bei der Deutschen Bank. Im Oktober und November 2020 erhielt er unerwartet Kündigungen seiner Konten – ohne konkrete Begründung, aber zeitlich auffallend nah an seiner damaligen (unrechtmäßigen) Aufnahme in die sogenannte SDN-Liste der US-Regierung.

Diese Liste (SDN = Specially Designated Nationals) wird vom US Office of Foreign Assets Control (OFAC) geführt. Wer darauf landet, gilt als potenziell sanktionsrelevant – und wird im internationalen Finanzsystem oft faktisch vom Zahlungsverkehr ausgeschlossen. Dort hatte die erste Trump-Regierung ihn gelistet, zu Unrecht, wie sich später herausstellte. 

Der Kunde ließ sich das nicht gefallen und klagte – mit Unterstützung einer auf das Bank-und Kapitalmarktrecht spezialisierte Kanzlei, die bereits mehrere prominente Fälle zur EU-Blocking-Verordnung begleitet hat.

Juristische Zentralklausel: Art. 5 der EU-Blocking-VO

Die EU-Blocking-Verordnung (VO (EG) Nr. 2271/96) schützt europäische Bürger und Unternehmen vor der extraterritorialen Anwendung von US-Sanktionsrecht. Artikel 5 der Verordnung verbietet es ausdrücklich, „Forderungen oder Verboten“ nachzukommen, die auf US-amerikanischem Recht wie dem „Iran Freedom and Counter-Proliferation Act of 2012“ beruhen – genau jenem Gesetz, das auch Grundlage für die Listung des deutsch-iranischen Bankkunden war.

Kurz: Eine deutsche Bank darf ihren Kunden nicht kündigen, nur weil Washington ihn auf eine schwarze Liste gesetzt hat.

Christian Steinpichler ist Rechtsanwalt in München und beschäftigt sich unter anderem mit Wirtschaftsrecht, Bank- und Kapitalmarktrecht, Steuer- und Insolvenzrecht sowie Sozialversicherungsrecht.

Landgericht winkte ab – OLG Frankfurt kontert mit Nachdruck

Das Landgericht Frankfurt hatte die Klage des Bankkunden zunächst abgewiesen. Begründung: Eine spätere Kündigung im Jahr 2022 sei formell wirksam gewesen und mache die Frage, ob die früheren Kündigungen unwirksam waren, irrelevant. Doch das OLG sah das anders:

Zentrale Feststellung:

Die beiden Kündigungen von 2020 verletzten die EU-Blocking-VO – und zwar deshalb, weil sie zeitlich eng mit der SDN-Listung zusammenfielen und die Bank keine andere plausible Begründung liefern konnte. Nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises war für die Richter damit klar, dass die ersten Kündigungen gerade wegen der SDN-Listung erfolgten. 

Die bloße Behauptung, man verfolge seit 2007 eine generelle „Iran-Policy“, genügte den Richtern nicht. Denn:

  • Warum wurde dann erst 2020 gekündigt und zwar wenige Tage nach der SDN-Listung?
  • Warum traf es auch Familienkonten?
  • Und warum betraf es ausschließlich Privatkonten, obwohl das Iran-Geschäft längst beendet war?

Antworten blieb die Bank schuldig.

Einmal rechtswidrig – immer schadensersatzpflichtig

Die Folge: Das OLG stellte fest, dass die Bank dem Kläger alle materiellen und immateriellen Schäden ersetzen muss, die durch die beiden ersten Kündigungen entstanden sind. Dazu gehören unter anderem:

  • zusätzliche Kosten durch neue Kontoverbindungen
  • Rufschädigung
  • etwaige Zugangsschwierigkeiten im Zahlungsverkehr

Zwar hatte die Bank 2022 erneut gekündigt – und diese Kündigung war wirksam, weil der Kunde zu diesem Zeitpunkt nicht mehr auf der Sanktionsliste stand. Doch das ändert nichts an der Pflicht zum Schadensersatz wegen der ersten, rechtswidrigen Kündigungen.

Was dieses Urteil bedeutet – für Banken, Kunden und Europa

1. Signal an Banken: Der Schutzschirm der USA schützt nicht vor europäischem Recht 

Banken und andere Institutionen, die reflexartig Sanktionen umsetzen, weil sie US-Druck fürchten, müssen sich warm anziehen. Denn sobald eine Kündigung auch nur im Verdacht steht, zur Befolgung von US-Recht zu dienen, greift die Beweislastumkehr: Die Bank muss beweisen, dass die Kündigung aus anderen Gründen erfolgte. Und das ist – wie hier – oft schwer bis unmöglich, vor allem wenn zwischen der SDN-Listung und der Kündigung ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht.

2. Bestätigung der Wirksamkeit der Blocking-VO

Lange galt die EU-Blocking-VO als zahnloser Tiger – gut gemeint, aber nicht durchsetzbar. Das OLG Frankfurt zeigt nun: Doch, sie wirkt. Und sie kann Schadenersatzpflichten in fünfstelliger Höhe auslösen 

3. Keine Ausrede durch „Compliance“

Interne Policies, selbst wenn sie seit Jahren bestehen, schützen nicht vor der juristischen Pflicht zur Einzelfallprüfung. Wer pauschal kündigt, ohne zu prüfen, ob ein Sanktionsbezug tatsächlich besteht, riskiert Haftung.

4. Kein Freibrief für sekundäre Kündigungen

Das Argument „wir haben ja später nochmal gekündigt“ verfängt nicht mehr. Wer einmal gegen EU-Recht verstößt, ist schadensersatzpflichtig – auch wenn der Vertrag später durch eine zulässige Maßnahme endet.

Fazit: Das europäische Recht zeigt Zähne – endlich

Dieses Urteil ist ein Meilenstein. Es zeigt, dass europäische Rechtsordnung nicht nur auf dem Papier existiert, sondern auch gegen globale Finanzmächte wie die Deutsche Bank oder anderes institutionelle Global Players durchgesetzt werden kann. Für Betroffene bietet es einen klaren Weg: Kündigung prüfen – EU-Recht heranziehen – notfalls klagen.

Und für Banken bedeutet es: Wer US-Sanktionsrecht über europäisches Recht stellt, spielt mit dem Feuer. Das gilt auch in heutigen Zeiten, in denen amerikanische Politik hegemoniale Züge annimmt.