Nato und Verteidigung gegen Putin: Schweden wünschen sich „starke politische Führung“ in Europa
Zwei Ehepartner teilen sich den Botschafter-Job in Schweden. Im Interview sprechen sie über den schwedischen Blick auf Deutschland – und die Gefahr durch Putin.
Stockholm – Joachim Bertele schaltet sich aus dem geparkten Auto per Video dazu. „Ich bin gerade auf dem Weg nach Köln, zu unserer Tochter“, sagt er. Er hat frei, seine Frau Christina Beinhoff muss arbeiten und sitzt in ihrem Büro in der deutschen Botschaft in Schwedens Hauptstadt Stockholm. Die beiden teilen sich seit 2021 den Job des deutschen Botschafters in Schweden: Spitzendiplomaten-Jobsharing, ein ungewöhnliches Konstrukt.
Jeweils acht Monate übernimmt er die Aufgaben, dann sie. Immer im Wechsel. Im Sommer 2025 endet ihre gemeinsame Botschafter-Zeit in Schweden. Zeit für ein Fazit. Wie regelt man das, wenn Gesprächspartner es zuerst mit Frau Beinhoff und ein paar Monate später plötzlich mit Herrn Bertele zu tun haben? „Zu zweit ein vertrauensvolles Netzwerk aufzubauen, ist eine große Herausforderung“, sagt Christina Beinhoff. „Unsere Gesprächspartner sitzen ja erst einmal nur mit einem von uns zusammen. Wir haben deshalb oft längerfristige Kontakte zum Beispiel zum Abendessen eingeladen, wenn wir beide anwesend waren.“
Botschafter in Schweden: „Wunderbares Geschenk“
Man merkt im Gespräch schnell: Die beiden sind ein eingespieltes Team und einigen sich blitzschnell, wer zuerst auf Fragen antwortet. „Jockel, mach du erst mal“, sagt Christina Beinhoff dann zum Beispiel – und ihr Mann startet. Etwa bei dieser Frage: Freut man sich eher auf die Freizeit- oder die Job-Phasen? „Was dem Sharing eine gewisse Leichtigkeit gibt, sind jeweils die ersten drei Monate der freien Zeit und die letzten drei Monate der Arbeitszeit“, sagt Joachim Bertele. „Wenn man in die Freizeitphase kommt, ist das erst mal wie ein wunderbares Geschenk. Dann aber irgendwann kommt leichter Neid auf den Partner, der spannende Termine hat.“

Die Botschafterin reflektiert: „Man sieht sich in der freien Phase selbst mit der Frage konfrontiert: Was macht mich aus, außerhalb des Berufs, in dem ich Spaß habe und erfolgreich bin? Viele erleben das erst bei der Pension, wir hatten diese Erfahrung immer wieder.“ Das habe sie gerade zu Beginn intensiv beschäftigt. Inzwischen habe sie mit dieser Frage ihren Frieden machen können, wie sie sagt. „In der freien Zeit habe ich einen Sprachkurs gemacht und wieder intensiv Klavierspielen gelernt und natürlich mehr Zeit für die Familie gehabt.“
Kulturelle Missverständnisse in Schweden: „Pünktlichkeit spielt andere Rolle“
Kann es ein Problem sein, wenn zwei Menschen im Job-Sharing unterschiedliche Arbeitsansätze haben? Führt das nicht schnell zu Chaos? Nein, sagen beide bestimmt. Es habe professionelle Übergaben gegeben und man habe sich permanent auf dem Laufenden gehalten. Aber: „Ich musste auch schon mal schmunzeln“, sagt Christina Beinhoff. „Mein Mann ist hervorragend organisiert, möchte Sachen abarbeiten. Wenn ich mal schnell zwischendurch von ihm Einschätzungen zu unterschiedlichen Themen haben wollte, hat er manchmal gesagt: Das passt mir jetzt nicht, lass uns einen festen Termin dafür verabreden.“
Den eigenen Partner im Arbeitskontext kennenzulernen, sei eine interessante Erfahrung gewesen. Direkte Bezüge zu Schweden hatten beide vorher nicht unbedingt. „Es gibt bei mir aber eine familiäre Verbindung“, erzählt Beinhoff. „Mein Vater stammt aus der ehemaligen DDR und konnte mithilfe eines Schweden, der sehr gut vernetzt war, die DDR verlassen.“ Deshalb habe sie schon immer eine persönliche Verbundenheit gespürt. Allerdings würden die Schweden schon anders ticken, am Anfang habe es das ein oder andere Missverständnis gegeben. „Pünktlichkeit spielt eine andere Rolle“, sagt Joachim Bertele.
Verteidigung gegen Putin: „Zeitenwende von Olaf Scholz war Vorbild“
„Wenn man bei einer Verabredung 19 Uhr sagt, meint man bis 19 Uhr. Höfliche Gäste kommen also bis zu 20 Minuten früher, darauf muss man als Gastgeber vorbereitet sein.“ Manche Klischees über Schweden stimmten überdies nicht.
Meine News
„Schweden ist nicht nur liberal, sondern auch ein sehr bürgerliches Land. Es gibt eine Gleichheit beim Einkommen, aber eine Ungleichheit beim Vermögen.“ Und es gebe Probleme in der Migrationspolitik und mit kriminellen Banden in den Vorstädten, die dem Bullerbü-Bild zuwiderliefen. Entwicklungen in Deutschland hätten die Schweden durchaus klar im Blick. „Es wird sehr viel über Deutschland berichtet, es ist der wichtigste Handelspartner“, erklärt Christina Beinhoff. „In Schweden hofft man, dass die deutsche Wirtschaft bald wieder wächst. Und man wünscht sich eine starke politische Führung innerhalb Europas gemeinsam mit Frankreich.“
Die jüngsten Grundgesetzänderungen beim Thema Verteidigung etwa habe man sehr begrüßt. „Die von Olaf Scholz proklamierte Zeitenwende war Vorbild für die hiesigen Sozialdemokraten und die jüngste Grundgesetzänderung zu den Verteidigungsausgaben wurde in Schweden binnen einer Woche faktisch nachvollzogen“, sagt Joachim Bertele. Das zeige: „Wenn Deutschland Führung übernimmt, dann ziehen oft andere Länder mit.“ Benchmark und engster Partner beim Thema Verteidigung gegen Putin und Beitritt zur Nato seien indes die Finnen.
Nato-Beitritt: Finnland als Benchmark für Schweden
Gerade beim Thema Verteidigung werde in Schweden sehr pragmatisch Politik gemacht. „Welche Opfer jeder bringen muss, um das Land verteidigungsfähig zu machen, und wie die Gesellschaft resilient werden kann, wird parteiübergreifend und pragmatisch diskutiert“, sagte Bertele. „Da kann sich Deutschland eine Scheibe von abschneiden.“ Schweden hat derzeit eine Minderheitsregierung mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten als Mehrheitsbeschaffer. Ein Konstrukt, das im Land durchaus umstritten ist.
„Die Sozialdemokraten sind entschiedene Kritiker der Schwedendemokraten. Aber der Pragmatismus überwiegt: Viele Wähler aus dem bürgerlichen Lager können damit leben und sich arrangieren“, erklärt Christina Beinhoff. Wenn ihre vier Jahre Botschafter-Jobsharing zu Ende gehen, werden sie sich neuen Aufgaben widmen, sagen die beiden Juristen. „Aber diese Zeit werden wir sicher als sehr seltenes Geschenk in Erinnerung behalten“, so Christina Beinhoff.