Parlamentswahl in Portugal: Regierungspartei unter Druck von rechts

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Portugal wählt. Korruptionsvorwürfe und die zuletzt wachsende Unzufriedenheit im Land setzen die Regierung unter Druck – auch von rechts.

Lissabon – In Portugal wird am heutigen Sonntag (10. März) ein neues Parlament gewählt. Dabei hat es die sozialistische Regierungspartei PS mit großer Konkurrenz von rechts und rechts außen zu tun. Denn die rechtsextreme „Chega“ dürfte vor allem beim jungen Klientel punkten. Dabei profitiert sie auch von der zuletzt immer weiter wachsenden Unzufriedenheit im Land.

Jüngste Umfragen prognostizieren bei der heutigen Parlamentswahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der PS und dem oppositionellen Mitte-Rechts-Bündnis „Demokratische Allianz“. Die sozialistische Partei bildet die Regierung bereits seit acht Jahren. Sollte sie abgewählt werden, könnte dies die Bildung einer Minderheitsregierung nach sich ziehen.

Der Vorsitzende der PS könnte steht der anstehenden Parlamentswahl in Portugal unter hohem Druck von Rechtsaußen. Die rechtsextreme „Chega“ profitiert von der gedrückten Stimmung im Land.
Pedro Nuno Santos, Vorsitzender der portugiesischen Partido Socialista © IMAGO/Rita Franca / SOPA Images

Expertinnen und Experten zufolge dürfte auch die seit fünf Jahren im portugiesischen Parlament vertretene rechtsextreme „Chega“ mit einem Ergebnis im zweistelligen Bereich rechnen. Die vom ehemaligen TV-Sportkommentator André Ventura angeführte Partei könnte sich jüngsten Umfragen zufolge von sieben auf 15 bis 20 Prozent Stimmenanteil verbessern. Damit könnte sie als drittstärkste Kraft ins portugiesische Parlament einziehen. Der portugiesische Ausdruck „Chega“ lässt sich mit der Phrase „Es reicht“ ins Deutsche übersetzen. 

Die Stimmung in Portugal ist gedrückt – unter anderem wegen niedriger Löhne und hoher Mietpreise

Die heutige Parlamentswahl in Portugal ist eine vorgezogene. Sie war angesetzt worden, nachdem der sozialistische Regierungschef António Luís Santos da Costa im November nach Vorwürfen der Korruption und Vetternwirtschaft seinen Rücktritt erklärt hatte.

Obwohl Portugal nach einem kräftigen Wirtschaftsplus von 6,7 Prozent 2022 auch im vergangenen Jahr ein über dem EU-Durchschnitt liegendes Wirtschaftswachstum von 2,4 Prozent verzeichnete, ist die Stimmung im Land gegenwärtig gedrückt. 

Denn vom wirtschaftlichen Aufschwung bekommt ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger im Land nichts zu spüren: Die Mietpreise befinden sich auf einem hohen Niveau, während die Löhne im europäischen Vergleich recht niedrig sind. 2022 etwa lag das monatliche Durchschnittsgehalt vor Abzug von Steuern bei rund 1400 Euro. Für viele bedeutet es, dass Wohnraum nicht mehr erschwinglich ist – ein Trend, der sich mittlerweile nicht nur in der Hauptstadt Lissabon eingestellt hat.

Vorwürfe der Korruption und Vetternwirtschaft – Image der Volksparteien ist beschädigt

Hinzukommt, dass die Reputation der beiden Volksparteien PS und PSD wegen der Korruptionsvorwürfe beschädigt ist. Für die anstehende Parlamentswahl sind die Vorwürfe ein bestimmendes Thema. Die publik gewordenen Fälle hätten eine „Menge Unmut“ ausgelöst, sagt Paula Espirito Santo vom Institut für Sozial- und Politikwissenschaften der Universität Lissabon der Rheinischen Post.

Diese Stimmung könnte Portugal ähnlich wie gegenwärtig auch einige andere europäische Länder nach rechts rücken lassen. Dort könnte die vergleichsweise junge rechtspopulistische Chega-Partei von der Enttäuschung über die etablierten Parteien profitieren.

Ihr Parteichef Ventura ist dabei in der Vergangenheit immer wieder damit aufgefallen, sich veralteter Ressentiments zu bedienen, um damit Politik zu machen. Im Frühjahr 2020, auf dem Höhepunkt der ersten Corona-Welle in Portugal, forderte er etwa, Sinti und Roma in eine Art Zwangslager zu verbannen. So sollte die ungewöhnlich hohe Ausbreitung des Virus, die sich in dieser Bevölkerungsgruppe entwickelt habe, nicht auf andere Gesellschaftsteile übergreifen.

Rechtspopulistische Politik nimmt Sinti und Roma als Zielscheibe

Dass der Rechtspopulist sich ausgerechnet diese Minderheit als Zielscheibe ausgesucht hat, überrascht die Politikwissenschaftlerin Isabel David von der Universität Lissabon nicht. Vorurteile gegen Sinti und Roma seien immer noch weit verbreitet in der portugiesischen Mehrheitsgesellschaft, erklärt sie der Tagesschau. Im Gegensatz zu rassistischen Haltungen gegenüber anderen Gruppen, etwa afrikanischen Geflüchteten aus dem Gebiet der Subsahara, hielte in Portugal auch fast niemand mit Rassismus gegenüber Sinti und Roma hinter dem Berg.

In Anspielung auf den Aberglauben vor allem älterer Sinti und Roma, würden Geschäftsleute Froschfiguren vor ihren Läden oder in ihren Schaufenstern aufstellen, um Menscher dieser Bevölkerungsgruppe davon abzuhalten, ihre Geschäfte zu betreten. Außerdem gebe es das Vorurteil, Sinti und Roma seien arbeitsscheu. Chega-Chef Ventura nutze all diese teils sehr alten und eigentlich antiquierten Vorurteile gezielt zur populistischen Verbreitung seiner politischen Ansichten.

Enorme Auswanderungsrate unter jungen Menschen und niedrige Geburtenrate

Profitieren könnte die rechtsextreme Chega-Partei bei der Parlamentswahl insbesondere auch von der zuletzt enormen Abwanderungsrate junger Menschen aus Portugal. Viele von ihnen sehen zunehmend keine Perspektive für sich in ihrem Herkunftsland und verlassen Portugal in Richtung Ausland, wo ihnen noch Chancen zur Selbstverwirklichung gegeben seien.

So kommt die Beobachtungsstelle für Auswanderung in ihrem aktuellen Auswanderungsatlas zu dem Ergebnis, dass etwa ein Drittel der in Portugal geborenen Menschen im Alter von 15 und 39 Jahren aktuell im Ausland lebt, wie die Tagesschau berichtet. Insgesamt sind dies mehr als 850.000 Menschen. Es heißt, dass vorwiegend gut ausgebildete junge Menschen Portugal verlassen – und in vielen Fällen nicht zurückkehren.

Mit seiner Auswanderungsrate liegt Portugal im globalen Vergleich auf Platz 8. Kein anderes europäisches Land weist eine vergleichbar hohe Auswanderungsrate vor. Das hat Folgen für das gesamtdurchschnittliche Alter der portugiesischen Gesellschaft. Sie wird immer älter, da sie zudem eine der niedrigsten Geburtenraten innerhalb der Europäischen Union aufweist.

Konservative Partei schließt Regierungsbündnis mit rechtsextremer „Chega“ aus

Der konservative Oppositionsführer Luís Montenegro kann sich berechtigte Hoffnungen darauf machen, mit seinem Mitte-Rechts-Wahlbündnis bei der anstehenden Wahl stärkste Kraft im portugiesischen Parlament zu werden. Aber aller Voraussicht nach ohne eigene Regierungsmehrheit. Eine Zusammenarbeit mit der Chega-Partei hatte Montenegro in der Vergangenheit mehrfach ausgeschlossen.

Chega-Präsident Ventura hat derweil angedeutet, bereit zu sein, einige der kontroversen Positionen der Partei, darunter chemische Kastration für manche Sexualtäter, fallen zu lassen, insofern es die Tür zu einem Regierungsbündnis mit anderen Parteien aufstoßen könnte. (fh)

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