Kein Land arbeitet so wenig wie Deutschland – und das Problem wird immer schlimmer
Kein anderes Industrieland verbucht so wenige Arbeitsstunden wie Deutschland. Die Bundesregierung will daran etwas ändern – doch das ist einfacher gesagt als getan.
Berlin – Vergleicht man Deutschland mit den 34 Industrienationen, die Mitglied in der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) sind, dann gibt es viele Bereiche, in denen es nicht so schlecht aussieht. Deutschland hat beispielsweise eine hohe Beschäftigungsrate: 77 Prozent der Menschen im arbeitsfähigen Alter gehen einer Beschäftigung nach, damit ist Deutschland Teil der top zehn Länder im OECD-Vergleich.
Auch gut sieht es aus bei den Beschäftigungsverhältnissen der Jugend in Deutschland: Gerade mal fünf Prozent der jungen Männer und Frauen (15 bis 19 Jahre) sind hierzulande nicht entweder in Arbeit oder in Ausbildung. Das ist einer der niedrigsten Werte in Europa. Die Deutschen verdienen auch ganz gut: im OECD-Vergleich liegen wir auf Platz elf.
Deutsche arbeiten zu wenig: Ein Problem für die Wirtschaft
Doch nicht alles ist Gold, was glänzt, das zeigen auch andere Zahlen der OECD. Denn wenn es um die Arbeitszeit geht, ist Deutschland im internationalen Vergleich das absolute Schlusslicht. Keine andere Industrienation arbeitet so wenig wie die Deutschen. Gerade mal 1341 Stunden haben deutsche Arbeitnehmer pro Person im Jahr 2022 geleistet. Der Durchschnitt über alle 34 Industrienationen liegt bei 1752 Stunden. An der Spitze stehen die Länder Kolumbien, Mexiko und Costa Rica mit über 2000 Stunden pro Jahr.
Für die deutsche Wirtschaft ist das ein Problem – und auch eines, das die Bundesregierung erkannt hat. Am Rande der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds in Washington sagte Finanzminister Christian Lindner (FDP) bereits: „In Italien, in Frankreich und anderswo wird deutlich mehr gearbeitet als bei uns“. Wenn die Menschen im Land mehr arbeiten würden, dann erhöht das die Steuereinnahmen und senkt die Sozialabgaben, die geleistet werden müssen. All das kurbelt schließlich die Wirtschaft an. In einer Krisenzeit ist es also von entscheidender Bedeutung, diesen Wert nach oben zu korrigieren.
Vor allem Frauen arbeiten in Teilzeit – viele würden gerne mehr arbeiten
Doch das ist einfacher gesagt als getan. Wie schon Lindner in Washington feststellte: Ein großer Teil des Problems liegt darin, dass zu viele Frauen in Teilzeit arbeiten, weil es sich finanziell nicht lohnt, mehr Stunden zu arbeiten. Auch das sieht man in einer OECD-Statistik: 22,2 Prozent der Arbeitskräfte in Deutschland arbeiten in Teilzeit. Der Durchschnitt liegt bei 16,1 Prozent. Dabei wissen wir aus Erhebungen, dass viele Frauen gerne mehr arbeiten würden, doch gibt es viele strukturelle und finanzielle Hindernisse.
Diese Tatsache bemängeln Ökonomen immer wieder, so auch zuletzt zu Jahresbeginn, als das ifo Institut in einer Untersuchung feststellte, dass das deutsche Sozialleistungssystem dazu beiträgt, dass sich die Mehrarbeit für viele Menschen nicht lohnt – weil ihnen Leistungen wie Wohngeld oder Kinderzuschlag bei höherem Einkommen gekürzt werden. Dadurch stehen sie trotz höherem Lohn mit weniger Geld da. Ein Fehlanreiz, der dringend korrigiert werden müsste. Noch ein Problem, das vor allem Mütter und Väter von der Arbeit abhält: fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Stille Reserve wird größer: Drei Millionen Menschen würden gerne mehr arbeiten
Neue Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen nun auch: Die Lage verschlechtert sich in Deutschland sogar. Im vergangenen Jahr wünschten sich fast 3,2 Millionen nicht erwerbstätige Menschen in Deutschland eigentlich eine bezahlte Arbeit, wie das Statistische Bundesamt am Donnerstag (16. Mai) berichtete. Die Bürger im Alter zwischen 15 und 74 Jahren standen aber aus unterschiedlichen Gründen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung,
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Die Gruppe machte rund 17 Prozent aller Nichterwerbspersonen aus. Bei der vorangegangenen Erhebung im Jahr 2022 waren es rund drei Millionen Menschen und damit 16 Prozent aller Nichterwerbspersonen. In der Gruppe nicht enthalten sind rund 1,4 Millionen Erwerbslose, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Mit einem unveränderten Anteil von knapp 57 Prozent sind Frauen in der stillen Reserve überrepräsentiert. In der Altersgruppe zwischen 25 und 59 Jahren berichtete knapp jede Dritte (32 Prozent), dass sie keine Arbeit aufnehmen könne, weil sie Angehörige betreuen müsse. Bei den gleich alten Männern nannte nur gut jeder 25. (vier Prozent) diesen Grund. Sie nannten zu mehr als einem Drittel (35 Prozent) gesundheitliche Einschränkungen als Hauptgrund für ihre Inaktivität. Rund 58 Prozent aller Betroffenen verfügen über mindestens eine mittlere Qualifikation, haben also eine abgeschlossene Berufsausbildung oder die Hoch-/Fachhochschulreife.
Ampel will mehr Menschen in Arbeit bringen: Steuerklassen sollen abgeschafft werden
Diese Menschen gilt es nun also in Arbeit zu bringen, dazu müssen die erläuterten Fehlanreize beseitigt werden. Die Ampel-Regierung arbeitet nach eigenen Angaben an Möglichkeiten, die Arbeitsanreize zu verbessern. Ein Weg, der insbesondere Frauen in Arbeit bringen soll, ist die Abschaffung der Steuerklassen 3 und 5. Künftig soll es nur noch Steuerklasse 4 für Ehepaare geben.
Die Idee hinter der Steuerklassen 3 und 5 war ursprünglich, dass die Familie insgesamt monatlich mehr Einkommen zur Verfügung hat, auch wenn häufig jedes Jahr eine Nachzahlung fällig wird. Denn der Besserverdienende wird in Steuerklasse 3 eingestuft und zahlt dadurch sehr wenige Steuern, während der Schlechterverdienende (häufig die Frau) sehr hohe Steuern zahlt und so quasi die gesamte Steuerlast auf sich nimmt. Doch auch wenn dadurch die Familie insgesamt mehr Geld hat, entsteht dadurch ein Machtgefälle. Und es fällt Frauen schwerer, zum Beispiel nach der Geburt eines Kindes zurück zur Arbeit zu gehen, da sie weniger zum Familiennetto beitragen.
Steuerfreie Überstunden, keine Rente mit 63 mehr: Kontrovers debattierte Maßnahmen der Ampel
Ein weiterer Vorschlag, der aus dem Hause Lindners kommt: steuerfreie Überstunden. Vorgeschlagen hat Lindner, eine begrenzte Zahl von Überstunden für Vollzeitbeschäftigte steuerfrei zu stellen. Das soll „Lust auf Überstunden“ machen. Außerdem könnten ausländische Fachkräfte mit einem Steuerrabatt angelockt werden. Auch bei der Rente sieht der Finanzminister Reformbedarf. So befürworten die Liberalen eine Abschaffung der vorgezogenen Altersrente für langjährig Versicherte, um möglichst viele Menschen zum längeren Arbeiten zu bringen. Sozialverbände und auch die beiden Koalitionspartner lehnen diesen Vorstoß jedoch vehement ab.
Bis zum Sommer will die Ampel einen Plan vorgelegt haben, der eine „Wirtschaftswende“ einleiten soll. Ob die Pläne der Regierung dann auch so wirken wie erhofft, wird sich erst Jahre später zeigen. Und auch die bisher diskutierten Maßnahmen werden nicht reichen, um die „stille Reserve“ gänzlich in Arbeit zu bringen. Doch wäre schon viel getan, wenn die Zahl nicht mehr steigt.
Mit Material von dpa
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