„Wir schaffen das“-Studie: Zweifel an Zahlen von Geflüchteten, die Arbeit haben
64 Prozent der 2015 Geflüchteten arbeiten laut IAB. Doch Kritiker warnen: Methodik, Einkommen und Abhängigkeit bleiben Probleme.
Berlin – Zehn Jahre nach Angela Merkels berühmtem Satz „Wir schaffen das“ zieht eine neue Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) eine gemischte Bilanz. Zwar zeigen die Daten, dass sich die Beschäftigungsquote der 2015 nach Deutschland gekommenen Geflüchteten inzwischen stark dem Niveau der Gesamtbevölkerung angenähert hat. Doch bleiben deutliche Unterschiede – insbesondere zwischen Männern und Frauen – bestehen. Doch hinter den Zahlen verbergen sich auch problematische Entwicklungen, auf die Experten und Kritiker hinweisen.
Aktuelle Studie: Zweifel an Zahlen von Geflüchteten, die Arbeit haben
Besonders ins Gewicht fällt die Kluft zwischen Männern und Frauen. Während 76 Prozent der Männer einer Beschäftigung nachgehen – damit sogar leicht über dem Niveau der einheimischen Männer –, sind es bei den geflüchteten Frauen nur 35 Prozent. Viele arbeiten zudem in Teilzeit oder in Niedriglohnbranchen. Das IAB zählt insgesamt 64 Prozent der vor zehn Jahren zugezogenen Schutzsuchenden als abhängig beschäftigt, in der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil bei 70 Prozent.
Studienautor Herbert Brücker betont, dass nicht religiöse oder kulturelle Muster den Ausschlag gäben, sondern die hohe Zahl von Kindern in den Familien sowie der unzureichende Zugang zu Kinderbetreuung. So liegt die Beschäftigungsquote von Müttern mit Kleinkindern bei lediglich 21 Prozent, während kinderlose Frauen aus der gleichen Kohorte zu 40 Prozent erwerbstätig sind.
Auch beim Einkommen zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede: Frauen verdienen im Schnitt nur 77 Prozent der Männer. Das verstärkt die Gefahr, trotz Erwerbstätigkeit dauerhaft von ergänzenden Sozialleistungen abhängig zu bleiben.

Kritik an IAB-Studie: „Wir haben es nicht geschafft“
In der öffentlichen Diskussion wird die Studie teils als Erfolgsgeschichte präsentiert. Zahlreiche Medien betonen, die Integration sei besser gelungen als lange befürchtet. Doch Kritiker halten diese Bewertung für Schönfärberei. So weist Cicero darauf hin, dass auch nach neun Jahren mehr als ein Drittel der Geflüchteten nicht erwerbstätig ist und viele Beschäftigte im Niedriglohnbereich verharren. Der Freiburger Finanzwissenschaftler Bernd Raffelhüschen kritisiert hierbei, dass Geflüchtete im Schnitt so geringe Einkommen erzielen, dass sie bis zur Rente kaum genügend Punkte für eine Altersversorgung oberhalb des Existenzminimums sammeln könnten. Seine ernüchternde Schlussfolgerung lautet daher: „Wir haben es nicht geschafft.“
Zudem wird beanstandet, schreibt die Welt, dass die IAB-Studie methodische Schwächen aufweise. Zwar basieren die Zahlen auf einer großen Längsschnittbefragung, doch auch Hochrechnungen spielen eine Rolle. Die Bundesagentur für Arbeit selbst weist in ihrer Statistik für Mai 2025 eine deutlich niedrigere Beschäftigungsquote von rund 41 Prozent aus, wenn man alle Menschen aus den Hauptasylherkunftsländern berücksichtigt. Mit geringfügig Beschäftigten steigt der Wert auf knapp 48 Prozent – deutlich weniger als die optimistischeren IAB-Zahlen. Diese Differenz wirft Fragen auf, wie repräsentativ die IAB-Daten tatsächlich sind. Die Befragung basiert auf rund 3900 Personen und wird hochgerechnet.
Seit 2015 Geflüchtete in Deutschland auf dem Arbeitsmarkt: Regionale Unterschiede
Die Integrationserfolge sind zudem regional höchst unterschiedlich. In Baden-Württemberg, Bayern oder Hamburg erreichen die Beschäftigungsquoten Werte um 66 Prozent, während sie in Ostdeutschland – etwa in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt – teils bei nur 49 Prozent liegen. Auch beim Einkommen zeigt sich dieses Muster: In wirtschaftsstarken Ländern sind die Verdienste deutlich höher.
Das IAB verweist außerdem auf einen Einfluss des gesellschaftlichen Klimas: In Regionen mit vielen rechtsextremen Demonstrationen sinken die Jobchancen von Geflüchteten spürbar. Ein abweisendes Umfeld könne Integration auf dem Arbeitsmarkt erschweren
Bilanz nach zehn Jahren „Wir schaffen das“: zwischen Erfolgsmeldung und Realität
Die Bilanz nach zehn Jahren bleibt daher ambivalent. Einerseits konnten Hunderttausende Geflüchtete erfolgreich in Arbeit integriert werden, viele sogar in systemrelevante und Engpassberufe. Andererseits bleibt die Teilhabe von Frauen weit hinter dem Durchschnitt zurück, die Löhne sind niedrig, und ein erheblicher Teil der Geflüchteten ist weiter auf staatliche Unterstützung angewiesen.
Die Studienautoren betonen, dass Integrationsfortschritte keineswegs selbstverständlich waren und staatliche Maßnahmen wie Sprach- und Integrationskurse, Jobprogramme und beschleunigte Asylverfahren Wirkung zeigten. Doch der Weg sei noch nicht zu Ende: Für nachhaltige Integration brauche es mehr Investitionen in Qualifizierung, bessere Kinderbetreuung und regional angepasste Strategien. Kritische Stimmen mahnen hingegen, dass es nicht ausreiche, Beschäftigungsquoten mit dem Durchschnitt zu vergleichen. Entscheidend sei, ob die Integration auch langfristig tragfähig ist und die Sozialkassen nicht überlastet werden. (chnnn/dpa)