„Ein absoluter Einzelfall“: VGH-Urteil zum Tölzer Asylheim Isarleitenweg kein Präzedenzfall
Das Gerichtsurteil zur Tölzer Asylunterkunft am Isarleitenweg zog hohe Aufmerksamkeit auf sich. Jüngst äußerte sich der Stadtrat noch einmal dazu.
Bad Tölz – Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Tölzer Asylunterkunft am Isarleitenweg schlug medial hohe Wellen. Jüngst berichtete sogar die Bild-Zeitung über das Urteil, das überregionale Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. In der jüngsten Stadtratssitzung äußerte sich Bauamtsleiter Christian Fürstberger aus fachlicher Sicht noch einmal dazu.
Der Gerichtsbeschluss zum Tölzer Isarleitenweg hat landauf, landab „eingeschlagen“, berichtete Bauamtsleiter Christian Fürstberger vor Kurzem in der Stadtratssitzung. Es sei jedoch ein „großer Fehler“, wenn sich nun andere Gemeinden das Urteil als Vorbild nehmen wollen, „um damit wie geschnitten Brot“ Asylunterkünfte abwehren zu können. „Wer das glaubt, hat den Beschluss nicht gelesen.“

Bekanntermaßen hat im Oktober der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München die Baugenehmigung für die Asylunterkunft am Tölzer Isarleiten vorläufig außer Kraft gesetzt. Per Eilentscheid wurde der Klage eines Anwohners recht gegeben.
Wie berichtet, war die Flüchtlingsunterkunft am Isarleitenweg auf einem Areal westlich der Bockschützstraße von Anfang an umstritten. Im September 2023 lehnte der Tölzer Stadtrat einstimmig den Bauantrag eines privaten Investors für eine Unterkunft mit rund 50 Metern Länge für die Unterbringung von rund 100 Menschen ab und hatte eine Veränderungssperre erlassen.
Allerdings erteilte das Landratsamt die Baugenehmigung trotzdem, da Flüchtlingsunterkünfte im Kreis dringend gebraucht werden. So müsse ein durchschnittlicher bayerischer Landkreis alle zwei Wochen etwa 50 neue Migranten aufnehmen, teilt die Behörde mit.

Gegen die Baugenehmigung klagte der Tierarzt Max Hildenbrand – die Unterkunft grenzt unmittelbar an sein Elternhaus an, in dem seine 91-jährige Mutter lebt (wir berichteten). Er sah die „nachbarschaftlicher Belange“ durch die Unterkunft verletzt. Die Klägerseite bekam in zweiter Instanz recht: Laut dem jetzigen VGH-Urteil übe die genehmigte Gemeinschaftsunterkunft eine dominierende Wirkung aus, die den Charakter des Wohngebiets verändert.
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Dass sich am Tölzer Vorbild jetzt andere Kommunen orientieren könnten und hier ein Präzedenzfall als Blaupause vorliegt, sei mitnichten der Fall. „Was wir hier haben, ist ein absoluter Einzelfall“, betonte Fürstberger. Und zwar „eine individuelle Entscheidung für diese Anlage in dieser Wohnbebauung“, die diese umgebe. Und weiter: „Es wird sehr selten vergleichbare Situationen geben.“
Tölzer Stadtrat-Debatte um Asylunterkunft „Isarleitenweg“
Der Bauamtsleiter, Christian Fürstberger, stellte in der jüngsten Tölzer Stadtratssitzung auch klar, „dass es nicht die Klage der Stadt, sondern die der Nachbarn war, die gewonnen hat“. Anders als die Stadt könnten diese ganz andere Rechte geltend machen. Konkret: „Das Gericht hat festgestellt, dass hier das Gebot der Rücksichtnahme“ aus dem Baugesetz greife, wenn die Anlage „den unmittelbaren Nachbarn massiv beeinträchtigt“, dann sei auch eine Sozialbaunutzung nicht zulässig.
Das sei hier eingetreten, so Fürstberger weiter. Begründung: Wenn rund 100 Leute dort in kleinen Zimmern wohnen, werde davon ausgegangen, dass sich diese auch viel draußen im Garten des Grundstücks aufhalten, „der auch nicht besonders groß ist“. Diese erhebliche Beeinträchtigung würde den direkten Anwohner laut Gesetzeslage „praktisch enteignen“.
Dieser Umstand habe dazu geführt, dass der Paragraf 246 Absatz 14, mit dem der Gesetzgeber die Planungshoheit der Kommunen zugunsten von Gemeinschaftsunterkünften aushebelt, nicht greife. Damit könne man soziale Unterkünfte etwa in Gewebe-, Wohn und Kurgebiete sowie im Außenbereich aufstellen, weil sie benötigt werden. Das Gesetz sei „eine sehr starke Waffe“, es habe aber auch seine Grenzen. „Denn das Grundgerüst der städtebaulichen Prinzipien muss eingehalten werden.“
Stand jetzt ist: „Mit dem Beschluss darf das Gebäude als Flüchtlingsunterkunft nicht genutzt werden.“ Entschieden würde das erst in einem Hauptsacheverfahren in einigen Jahren. Ob der Freistaat Bayern Rechtsmittel nach dem VGH-Urteil einlege, sei derzeit ungewiss, berichtete Fürstberger weiter.
Auszug aus der Stadtrat-Debatte: Nutzungsänderung der Asylunterkunft baurechtlich schwierig
Per Vertrag sei das Landratsamt verpflichtet, dem Investor für zehn bis zwölf Jahre Pacht zu zahlen, berichtete Martin Harrer (FWG). „Unterm Strich zahlen wir nun mit unseren Steuern ein leer stehendes Gebäude.“ Daher fragte er nach, ob es keine andere Nutzung für das Gebäude gibt. „Wenn das Landratsamt eine andere Idee hat, dann kann es gerne auf uns zukommen“, antworte Bürgermeister Ingo Mehner (CSU). Er wolle jetzt aber auch keine Nutzungsideen „aus der Hüfte heraus“ entwickeln, sagte er zu Matthias Winters (CSU). Der den Vorschlag vorbrachte, etwa Krankenhaus-Personal im Gebäude unterzubringen.
Peter von der Wippel (FWG) forderte den Kreistag auf, eine gute Lösung zu finden. „Die Flüchtlinge müssen ja irgendwo unterkommen“. Und: „Ich hoffe, dass es kein Pyrrhus-Sieg wird und im Landkreis wieder Turnhallen geschlossen werden.“
Mehner antworte daraufhin: „Das entscheidet nicht der Kreistag, das macht das Landratsamt.“ Derzeit biete die Kreisstadt rund 400 Flüchtlingsplätze mehr als im Königsteiner Schlüssel vorgesehen. Aktuell „liegt es nicht an uns, nach mehr Flächen zu suchen“. Um das Platzproblem in den Griff zu bekommen, sind laut dem Tölzer Bürgermeister jetzt insbesondere die Gemeinden gefragt, die ihre Quote noch nicht erfüllen.
Flüchtlingssituation im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen
Aktuell leben 3.300 Geflüchtete im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, wie das Landratsamt auf Nachfrage mitteilt. Alle zwei Wochen bringt ein Bus rund 50 Menschen in die Region, die dorthin verlegt werden, erklärt Behörden-Sprecherin Marlis Peischer weiter. Es handelt sich dabei um Asylsuchende und Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Derzeit geht das Landratsamt nicht davon aus, dass es weniger wird. Als Grund nennt Peischer die derzeitige Situation im Nahen Osten sowie den bevorstehenden Winter mit Blick auf die dortigen Kriegsschauplätze – die nicht erwarten lassen, dass die Zahlen insgesamt sinken werden.
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