Eine Million Betroffene in Deutschland: Skepsis gegenüber Wirksamkeit von Blutverdünnern

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In Deutschland sind Blutverdünner weit verbreitet. Ein Medikament wurde durch ein anderes ersetzt. Nun gibt es unter Experten Bedenken.

München – Gerinnungshemmer, oft als Blutverdünner bezeichnet, behaupteten sich auf dem deutschen Markt über Jahre mit einer bestimmten Gruppe. Seit 2008 dominieren modernere Versionen, zu denen es bisher keine relevanten Aussagen zur Wirkung gab. Was jetzt in ersten Langzeitstudien zum Vorschein kam, könnte ein Umdenken anstoßen. Die modernen Präparate lassen Zweifel über ihre Wirksamkeit aufkommen und haben Folgen, die dem eigentlichen Ziel sogar entgegenstehen.

Blutverdünner: In Deutschland gibt es zwei Präparate des Herz-Kreislauf-Medikaments

Laut der Deutschen Herzstiftung nehmen rund eine Million Deutsche Gerinnungshemmer – auch Blutverdünner genannt – in Form eines Medikaments ein. Ihre Wirkung liegt allerdings nicht im Blut verdünnen, sondern sie stoppen eine zu schnelle Gerinnung des Blutes. Das verhindert die Bildung gefährlicher Blutgerinnsel, die Schlaganfälle auslösen könnten. Besonders Patienten mit Herzrhythmusstörungen oder nach Herzoperationen erhalten diese Medikamente vorsorglich. 2025 beginnt in Deutschland allerdings mit einer noch nie dagewesenen Medikamentenknappheit.

Über Jahre hinweg dominierten bestimmte Gerinnungshemmer wie Marcumar den Markt. Seit 2008 werden neue Präparate immer beliebter und verdrängen zunehmend die älteren. Doch aktuelle Studien werfen die Frage auf, ob sie aufgrund ihrer geringeren Wirksamkeit weiterhin so häufig verschrieben werden sollten.

Fast nur noch neue Blutverdünner flächendeckend eingenommen – auch in Deutschland

Derzeit gibt es zwei Hauptgruppen von Gerinnungshemmern auf dem Markt:

  • Vitamin-K-Antagonisten (VKA) aus der Klasse der Cumarine, wie Phenprocoumon, bekannt unter den Handelsnamen Marcumar oder Falithrom
  • die neuen oralen Antikoagulantien (NOAKs), auch direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) genannt, mit Handelsnamen wie Apixaban (Eliquis), Edoxaban (Lixiana), Rivaroxaban (Xarelto) und Dabigatran (Pradaxa)

Anstelle von Warfarin wurde bisher das länger wirkende Phenprocoumon als VKA verwendet. In Deutschland, Österreich und der Schweiz haben die NOAKs die VKAs weitgehend ersetzt. Seit ihrer Einführung im Jahr 2008 bieten sie den Vorteil, dass Patienten keine regelmäßige Blutgerinnungsüberwachung benötigen, was sich auch im höheren Preis widerspiegelt.

Die Deutsche Herzstiftung hebt hervor, dass es bisher an engmaschigen Daten zur Wirkung der NOAKs auf die Blutgerinnung mangelt. Eine deutsche Studie, die auf Krankenkassendaten basiert, bietet erste Einblicke. Weitere Untersuchungen nähren Zweifel an der überlegenen Wirksamkeit der modernen Präparate.

Ernüchternde Prognose für moderne Blutverdünner: Sterblichkeit sinkt nicht

Die Untersuchungen bringen „zwei schlechte Nachrichten“ für die modernen Präparate hervor. Univadis fasst im Medizinjournal zusammen, dass die modernen Gerinnungshemmer keine bessere Überlebenschance bieten. Die Studie mit einer halben Million Versicherten einer großen deutschen Krankenkasse ergab sogar, dass Apixaban, Edoxaban und Rivaroxaban im Vergleich zu Vitamin-K-Antagonisten mit einer höheren Sterblichkeit verbunden sind.

Im September 2024 wurden die Ergebnisse der „Real-World-Studie“ veröffentlicht. Zwischen 2012 und 2020 wurden dafür Patienten untersucht, die Gerinnungshemmer einnahmen. Die Präparate teilten sich auf in 26,9 Prozent Apixaban, 4,6 Prozent Dabigatran, 8,8 Prozent Edoxaban und 39,1 Prozent Rivaroxaban. Die altbekannten VKA wurden von 20,7 Prozent der Versicherten eingenommen, fast alle davon Phenprocoumon unter dem Handelsnamen Marcumar (99,4 Prozent).

Studienergebnisse offenbaren die Wirkung von Blutverdünnern.
Studienergebnisse offenbaren die Wirkung von Blutverdünnern. © LUNAMARINA/IMAGO/imageBROKER

Die Studie bewertete Faktoren wie das Gesamtüberleben, schwerwiegende unerwünschte kardiale und zerebrovaskuläre Ereignisse, schwerwiegende thromboembolische Ereignisse und schwere Blutungen. Innerhalb von fünf Jahren war die Sterblichkeit bei allen NOAKs außer Dabigatran höher als bei den VKAs, zu denen Marcumar gehört. Zudem traten unter Dabigatran, Edoxaban und Rivaroxaban mehr Blutungen auf, während Apixaban und Edoxaban häufiger zu thromboembolischen Ereignissen führten.

Studie zu modernen Blutverdünnern: Noch immer Schlaganfallrisiko

Eine weitere Untersuchung der Universität von Montréal in Kanada offenbarte die zweite schlechte Nachricht für moderne NOAK-Präparate: Erwachsene unter 65 Jahren mit Vorhofflimmern und geringem Schlaganfall-Risiko profitieren nicht von Rivaroxaban im Vergleich zu einem Placebo. Experten zweifeln daher an der flächendeckenden Verschreibung der NOAKs und sehen in VKAs wie Marcumar eine bessere Alternative. Weitere Studien seien notwendig, da sich die Wirkungen der beiden Medikamentengruppen im Körper unterscheiden.

Es ist bekannt, dass alle Gerinnungshemmer Blutungen verursachen können. Risikofaktoren sind laut Deutsche Herzstiftung das Alter (über 65 Jahre), unbehandelter Bluthochdruck, schwere Leber- oder Nierenfunktionsstörungen, frühere Blutungen oder Schlaganfälle, schwankende INR-Werte und die Einnahme weiterer Medikamente wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), zu denen Schmerzmittel wie Ibuprofen, ASS und Diclofenac gehören. Wechselwirkungen könnten schwere Organschäden verursachen, etwa an Niere oder Leber. Vor kurzem zeigte sich, dass ein anderes Medikament bei Herzerkrankungen teilweise unnötig eingenommen wird und für riskante Nebenwirkungen sorgt. (diase)

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