Tödliche Polizeischüsse auf Lorenz A. – neue Erkenntnisse geben Hinweise auf Schussdistanz

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Nach tödlichen Polizeischüssen in Oldenburg: 3D-Vermessung am Tatort soll Erkenntnisse über den Ablauf des Vorfalls geben. Das Gutachten fehlt allerdings noch. © Jörn Hüneke/dpa

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg steht offenbar vor dem Abschluss der Ermittlungen zu den tödlichen Polizeischüssen auf Lorenz A. Neue Erkenntnisse zeigen: Die Schussdistanz betrug weniger als vier Meter.

Die Staatsanwaltschaft Oldenburg steht offenbar kurz vor dem Abschluss ihrer Ermittlungen im Fall der tödlichen Polizeischüsse auf den 21-jährigen Lorenz A. Wie die Behörde am Donnerstag (7. August) mitteilte, befasse sie sich nun „mit der abschließenden Bewertung des Sachverhalts“. Alle Verfahrensbeteiligten haben Akteneinsicht erhalten und können zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen Stellung nehmen. Zwei wesentliche Elemente fehlen aktuell jedoch noch: eine 3-D-Rekonstruktion des Tatorts sowie ein weiteres, von der Staatsanwaltschaft beauftragtes Sachverständigengutachten.

Auf Nachfrage von kreiszeitung.de erklärt Christina Brendel, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, dass man aktuell nicht sagen könne, wann die noch ausstehenden Gutachten vorliegen werden. Auch Gründe für die Verzögerung könne sie nicht nennen, „da diese jeweils außerhalb der hiesigen Behörde erstellt werden.“

Fall Lorenz A. – Staatsanwaltschaft Oldenburg vor Abschluss der Ermittlungen

Der rechtliche Vertreter von Lorenz A.s Mutter, der Strafrechtler Prof. Dr. Thomas Feltes, zeigte sich im Gespräch mit dieser Redaktion „irritiert“ angesichts der Ankündigung der Staatsanwaltschaft, zeitnah zu einer Entscheidung kommen zu wollen, ob sie Anklage gegen den 27-jährigen Polizeibeamten, gegen den sich die Ermittlungen richten, erheben wird oder nicht. „Ohne dass das 3-D-Gutachten vorliegt, erachte ich das als problematisch. Darüber hinaus hatten wir als Nebenkläger auch noch keine vollständige Akteneinsicht“, sagt er. Zum Beispiel habe er noch keine Einsicht in die Chatverläufe des Polizisten erhalten, was mit Datenschutz begründet wurde – und damit nachvollziehbar sei. Die Verteidigung des Polizisten habe hingegen schon vor Wochen volle Akteneinsicht erhalten.

Neue Erkenntnisse aus den nun vorliegenden Ergebnisberichten deuten darauf hin, dass der tödliche Schusswaffeneinsatz offenbar aus nächster Nähe erfolgte – Schütze und Getroffener sollen weniger als vier Meter voneinander entfernt gewesen sein, als die Schüsse abgegeben wurde. Dies bestätigt auch der rechtliche Vertreter der Mutter des Getöteten auf Nachfrage von kreiszeitung.de.

Polizeischüsse in Oldenburg: Neue Erkenntnisse zur Schussdistanz bei Lorenz A.

Nach bisherigem Stand gab der 27-jährige Polizist in der Nacht zu Ostersonntag fünf Schüsse auf den jungen Schwarzen aus Oldenburg ab. Mindestens drei Projektile trafen Lorenz A. in Kopf, Oberkörper und Hüfte. Die Ermittler vermuten zudem einen weiteren Streifschuss am Oberschenkel. Der 21-Jährige erlag seinen schweren Verletzungen noch in derselben Nacht im Krankenhaus.

Die zentrale Frage des Falls bleibt ungelöst: Warum eröffnete der Polizist das Feuer? Die Beamten waren ursprünglich wegen einer Auseinandersetzung zwischen Lorenz A. und Türstehern einer Diskothek in der Oldenburger Innenstadt alarmiert worden. Der junge Mann soll Reizgas versprüht haben. Zudem erhielten die Einsatzkräfte den Hinweis, dass er ein Messer bei sich führe. Nach Zeugenaussagen soll er zuvor damit gedroht haben. „In dem Aufeinandertreffen mit den Polizisten spielt das Messer juristisch aber keine Rolle, da es zum Tatzeitpunkt keinen Messerangriff gegeben hat. Das Messer wurde ja später in der Hosentasche von Lorenz gefunden“, so Feltes.

Nach Polizeischüssen: Entscheidung über Anklage des Polizisten soll bald fallen

Der Einsatz von Pfefferspray rechtfertige keinen Schusswaffengebrauch, betont der Strafrechtler. Der Einsatz der Schusswaffe gilt für Polizisten immer als Ultima Ratio, also als letztes Mittel, und darf nur erfolgen, wenn eine konkrete Gefahr für Leib und Leben abzuwenden ist. Immer wieder ist von der sogenannten „7-Meter-Regel“ die Rede, die besagt, dass innerhalb von einem Radius von sieben Metern ein Schusswaffengebrauch zur Gefahrenabwehr gerechtfertigt sein kann, zum Beispiel bei Messerangreifern. Dies sei aber kein juristisch festgelegter Begriff, zumal nach bisherigen Erkenntnissen beim Aufeinandertreffen mit den Streifenpolizisten kein Messerangriff von Lorenz A. vorgelegen hat, wie Feltes betont.

Die größten Rückschlüsse darauf, wie sich der schwerwiegende Vorfall zugetragen hat, ließen sich wohl aus dem noch fehlenden 3-D-Gutachten des Tatorts entnehmen. Denn in einem solchen Gutachten werden Positionen und Bewegungsabläufe der Beteiligten genau analysiert, zum Beispiel bei Unfällen oder bei Gewalttaten. „Dass die Staatsanwaltschaft dieses Gutachten offenbar für irrelevant erachtet, finde ich durchaus irritierend“, sagt Feltes. Seiner Erfahrung nach komme das vor Gericht häufiger vor. „Man fragt sich, warum man die Justiz mit diesem sehr aufwändigen und teuren Instrument ausstattet, wenn dieses dann in Strafverfahren keine Berücksichtigung findet.“

„Ohne dass das 3-D-Gutachten vorliegt, erachte ich das als problematisch“

Warum der Polizist auf den 21-jährigen Oldenburger schoss, ist auch weiterhin unklar. Auch die Frage, warum die Schüsse den 21-jährigen Lorenz von hinten trafen, ist weiter unbeantwortet. Ob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen den beschuldigten Polizisten erhebt, ist ebenso weiterhin unklar. Zunächst kann der beschuldige Polizist zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen Stellung nehmen und gegebenenfalls auch noch weitere Ermittlungen fordern.

Lorenz Tod hatte landesweit für Fassungslosigkeit und Wut gesorgt. Viele Menschen hatten sich nach den tödlichen Schüssen zu Demonstrationen für eine lückenlose Aufklärung und gegen Polizeigewalt zusammengeschlossen. Viele stellten sich nach dem Vorfall die Frage, ob möglicherweise rassistische Motive bei dem beschuldigten Polizisten vorliegen und es deshalb zu dem Gebrauch der Schusswaffe kam.

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