Das ist jetzt klar: So lange der CDU-Parteichef Friedrich Merz heißt, bleibt es bei der „Brandmauer“-Politik gegenüber der immer stärker werdenden AfD. Für konservativ-liberale Wähler ist mit dieser – unmissverständlichen – Weichenstellung ein zwiespältiges Signal verbunden. Vereinfacht gesagt: Sie wählen mehrheitlich rechts, werden aber mehrheitlich links regiert.
Friedrich Merz sagte, es bleibe beim CDU-Beschluss von 2018, der keine Zusammenarbeit mit den radikalen Parteien rechts wie links und der CDU erlaubt. Niemand in der Führung der Union stelle das infrage.
Im Hinblick auf die Linkspartei trifft das aber nicht zu – Präsidiumsmitglied Daniel Günther, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, plädiert „zur Not“ für eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Ohne die hätte es auch einen zweiten Wahlgang, den Merz bei der Kanzlerwahl brauchte, nicht so rasch gegeben. Und auch bei der Richterwahl zum Bundesverfassungsgericht brauchte die Regierungskoalition die Stimmen der Linken. Schließlich ist es denkbar, dass nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern im kommenden Jahr die CDU gleichfalls die Stimmen der Linken braucht, um einen Ministerpräsidenten von der AfD verhindern zu können.
Im Prinzip geht Merz eine riskante Wette ein: Überzeugt seine Politik?
Die Linken-Frage bleibt einstweilen offen – und damit ungelöst.
Offen bleibt auch die AfD-Frage – wobei sie sich für Merz erledigt hat. Der Parteivorsitzende und Bundeskanzler sagt: „Wir müssen vor allem den Wählerinnen und Wählern in Deutschland ein gutes Angebot machen, so dass sie gar nicht auf den Gedanken kommen, erneut möglicherweise bei der nächsten Wahl diese Partei zu wählen.“
Was in Kurzform gebracht bedeutet: Merz will die AfD klein- oder wegregieren.
Das allerdings hat bisher nicht geklappt. Seitdem der Bundeskanzler Merz heißt, ist die AfD in der Zustimmung der Bevölkerung nicht kleiner geworden, sondern vielmehr noch gewachsen. Zuerst haben die Rechten die CDU überholt, inzwischen liegen sie vor der Union insgesamt, das heißt: Vor CDU und CSU zusammengenommen.
Lange Zeit profitierte die CDU von der besonderen Stärke der CSU in Bayern. Das ist inzwischen vorbei – die AfD hat auch in Bayern zugelegt, und im Rest-Deutschlands noch einmal.
Das „gute Angebot“, das Merz den zur AfD neigenden Wählern machen will, hat jedenfalls bei diesen bis heute nicht verfangen. Dafür gibt es mehrere Gründe, die wachsende Arbeitslosigkeit und eine sich abzeichnende Deindustrialisierung in Schlüsselindustrien ist einer davon.
Ein anderer dürfte mit der Enttäuschung konservativer CDU-Wähler über Merz selbst zu tun haben. Das „Angebot“, dass die CDU und ihr Kanzler machten, besteht eben auch aus nicht eingehaltenen Wahlversprechen – bei den Schulden, einem konsequenten Umbau des Sozialstaats, der Abschaffung des Bürgergelds wie auch des linken NGO-Komplexes, beim Selbstbestimmungsgesetz und in der Energiepolitik.
Die gewachsene Stärke der AfD ist also auch eine Folge der Regierungspolitik, die Merz als Kanzler verantwortet.
"Pfeifen im Walde", urteilt der Politikwissenschaftler
Wenn nun Merz darauf setzt, dass seine Regierungspolitik – die Investitionen in die Infrastruktur, die härte Migrationspolitik, für die Bundesinnenminister Alexander Dobrindt steht – die AfD Zustimmung kosten wird, ist das eine Art Hoffnungspolitik.
Der durch und durch seriöse Bonner Politikwissenschaftler Volker Kronenberg kommentierte die Äußerungen von Merz nach einer Präsidiumssitzung seiner Partei im Info-Sender "Phoenix" so „Pfeifen im Walde“, „Prinzip Hoffnung“, „eine Wette“, „Augen zu und durch“.
Merz baut darauf, dass Deutschland infolge seiner Politik wieder auf die Beine kommt, dass die Stimmung dann steigt und die Zustimmung für die AfD (und die gleichfalls stark gewordene Linke) zurück geht.
Hinter der AfD-Ansage verbirgt sich ein Eingeständnis
Bis dahin will Merz nun die AfD „inhaltlich stellen“, wie es Parlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger von der CDU formuliert. Was die Frage provoziert, was die CDU denn bisher gemacht hat. Gleichzeitig verbirgt sich hinter der AfD-Ansage ein Eingeständnis: Dass Ausgrenzung und Ignorieren, die bisherigen Rezepte, nicht nur nicht funktioniert haben, sondern, in den Worten des eher konservativen CDU-Vordenkers Andreas Rödder: „Je höher man die Brandmauer gezogen hat, desto stärker ist die AfD geworden.“
Eine Politik, sich mit der AfD inhaltlich auseinanderzusetzen, ist in der Union gleichfalls nicht unumstritten. Im mitgliederstärksten Landesverband, dem auch Merz selbst angehört, in Nordrhein-Westfalen, wird die AfD schlicht „Nazi-Partei“ genannt. So spricht Ministerpräsident Hendrik Wüst, ebenso sein Schlüsselminister Karl-Josef Laumann, der den Sozialflügel der Partei repräsentiert. Kaum anders sieht man es in den Westverbänden in Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, wo mit einem Parteiverbotsverfahren geliebäugelt wird. Was Merz nicht will.
Auch die Bezeichnung der AfD als „Nazi-Partei“, womit sich bedeutende Teile der CDU ein linkes oder auch Antifa-Framing zu eigen machen, hat die AfD erkennbar nicht schwächer, sondern vielmehr stärker gemacht. Das Wort „Nazi-Partei“ macht die große Schar der Sympathisanten dieser Partei, falls die deutsche Sprache noch einen Sinn hat, eben zu „Nazi-Sympathisanten“. Es ist nicht die Sprache von Merz.
Merz nennt die AfD jetzt „Hauptgegner“. Jedenfalls sei „Brandmauer“ nicht die Wortwahl der CDU. Auch eine interessante sprachliche Facette. Tatsächlich wurde „Brandmauer“ von der politischen Linken erfunden – und seitdem zum politischen Käfig für die CDU ausgebaut. Ein Käfig, aus dem Merz seine Partei aber auch nicht befreien will – oder kann.
Hauptgegner – was ist damit gemeint? Es ist jedenfalls klar: Eine Situation wie am Jahresanfang, als Merz seine Union in eine gemeinsame Abstimmung mit der AfD über die Migrationspolitik führte, wird es nicht mehr geben. Damals hatte Merz dies gesagt: „Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch, weil die Falschen zustimmen.“
Heute sagt Merz: Diese Frage stelle sich nicht. Es gebe im Bundestag eine klare Mehrheit mit der SPD. Was in der Übersetzung in den parlamentarischen Alltag bedeutet: Anträge, die nur mit der AfD zu einer Mehrheit im Bundestag führen können, wird die Union nicht mehr stellen.
Was CDU-Politik ist, entscheidet auch die SPD
Womit die SPD die Macht hat, über den Rahmen mitzuentscheiden, in dem sich Unionspolitik abspielt. Begründen lässt sich das freilich schlüssig: Mit der Koalitionsdisziplin.
Allerdings zahlt es auch ein auf die Erzählung enttäuschter Konservativer, wonach der eigentliche Chef der Koalition Lars Klingbeil heiße, der SPD-Vorsitzende.
Merz sagt über die AfD, deren Halbierung er einst versprach – bei seiner ersten, fehlgeschlagenen Wahl zum CDU-Vorsitzenden – man habe sich nicht halbieren können, weil die Politik der Ampelregierung sie verdoppelt habe.
Das klingt einleuchtend, zumal die AfD unter der Regierung von Olaf Scholz (SPD) drastisch an Zustimmung gewann. Aber: In der Union wurde heftig darüber diskutiert, weshalb es nicht gelang, selbst von der schlechten Performance der Regierung Scholz zu profitieren.
Merz sagt, noch vor zwei Jahren habe er selbst die Grünen zum „Hauptgegner“ erklärt. Man habe dann bei den Wahlen sehen können, zu was das geführt habe – zu einem schlechten Ergebnis für die Grünen.
Daraus versucht Merz nun Zuversicht zu gewinnen, das werde nach den Grünen bei der zweiten von Merz zum Hauptgegner erklärten Partei, der AfD ebenso funktionieren: „Ich kann nur jedem raten, es ernst zu nehmen, wenn wir jemanden als Hauptgegner bezeichnen.“
Stadtbild? "Fragen Sie mal Ihre Töchter"
Ein zentraler Streitpunkt in Bezug auf die AfD ist immer wieder der Sprachgebrauch. In diesem Zusammenhang bleibt Merz bei seinem Wort vom „Stadtbild“, das sich in Deutschland mit der Migration verändert habe. Von Grünen war das „rassistisch“ genannt worden, er solle sich dafür entschuldigen. Er wolle diesen Befund vielmehr noch einmal bestärken, reagierte Merz darauf. Wer das nicht glaube, wie – die Handvoll – Demonstranten am vergangenen Sonntag vor dem Brandenburger Tor, der solle doch einmal seine Kinder fragen, die Töchter vor allem.
Tatsächlich hat die Asyl-Migration Deutschland ausweislich der Zahlen der Polizeilichen Kriminalstatistik erheblich unsicherer gemacht. Und trotzdem ist das von Merz benutzte Bild fragwürdig.
Der türkischstämmige Grünen-Politiker Cem Özdemir bringt es so auf den Punkt: „Das Problem an den Äußerungen des Bundeskanzlers ist doch, dass sich die Falschen angesprochen fühlen.“
Die negativen Folgen der Migration betreffen nicht nur angestammte Deutsche, sondern auch – seit Jahrzehnten – Eingewanderte. Den – wichtigen Unterschied – hat Merz verwischt, womit er auch Integrierte verletzt – ohne Not.
Wer ist schon in der Lage, einen integrierten Türken von einem nicht integrierten Syrer zu unterscheiden? Dass Merz‘ Außenminister Wadephul andererseits den Türken einen Schlüsselanteil am deutschen Wirtschaftswunder zuschrieb, was falsch ist, weil Türken erst ab 1961 systematisch kamen, auch nicht in großer Zahl, zeigt nur, wie unsicher sich diese Regierung auf dem Feld der Integrationspolitik bewegt.
Merz findet nicht die richtige Sprache. Wadephul findet nicht die richtigen Fakten.