"Den geilen Boden nicht verhunzen": So will Landwirt Christian die Ostsee retten

Auf seinem Acker bevorzugt Christian Rohlfing ganz bestimmte Erntehelfer. Solche, deren kleine Körper erst dann zum Vorschein kommen, wenn er mit dem Spaten in die Erde sticht: Regenwürmer. „Schauen Sie mal, das ist ein Zeichen für einen richtig guten Boden", verkündet er und holt tief Luft, um daran zu riechen. „Riechen Sie auch mal dran, man merkt einfach, dass es richtig gute Erde ist.” 

Er formt eine Schale mit seinen Händen und zerreibt darin die Erde, die in leichten Krumen zu Boden rieselt. „Genau so muss es sein – nicht zu trocken und krümelig, aber auch nicht zu feucht und klumpig.”

Der gute Boden von Gut Bad Sülze

Was Rohlfing hier beschreibt, beschäftigt jeden Landwirt, von Vorpommern über das Erzgebirge bis hinunter ins Allgäu: guter Boden. Feucht genug, um Pflanzen mit Wasser zu versorgen, aber nicht zu nass, um sie nicht unter Wasser zu setzen. Genügend Nährstoffe für ein gesundes Wachstum, ohne zu überdüngen oder Düngereste in nahegelegene Gewässer zu spülen. Eine durchaus delikate Angelegenheit, zumal ein entscheidender Faktor oft nicht mitspielt: Das Wetter. 

In ganz Deutschland kämpfen Landwirte mit den Folgen des Klimawandels: Trockene, viel zu warme Winter- und Frühlingsjahre, gefolgt von heißen Dürrephasen, die anschließend wieder von einer kurzen Regenzeit unterbrochen werden. Wer an den verregneten Juli zurückdenkt, mag sich fragen, wie es ob all des Regens immer noch so trocken sein kann.

„Ich hab kein Interesse, diesen geilen Boden zu verhunzen“

Fatalerweise lösen sich aus Pflanzenresten nach langer Trockenheit mineralische Stoffe, die eine Art wasserabweisende Schicht im Boden bilden. Plötzlich auftretende, große Mengen Wasser rauschen dann nur oberflächlich ab. Vertrocknete, ausgedörrte Böden können somit kaum Wasser aufnehmen. Die Folge: weniger Ernte oder gar Ernteausfälle. Landwirte in Deutschland müssen sich also etwas einfallen lassen, um mit den geänderten klimatischen Bedingungen weiterhin Ertrag zu erwirtschaften.

So auch auf Gut Bad Sülze, das die Rohlfings nach der Wende übernahmen. Die Familie kommt ursprünglich aus Ostwestfalen und übernahm in den 1990ern den Hof, der zwischen Rostock und Greifswald liegt. Christian Rohlfing will seine neue Heimat nicht nur schützen, sondern auch erhalten: „Wir sind Landwirte in siebter Generation, ich bin doch erpicht darauf, das meinen Kindern weiterzugeben“, sagt er während eines Besuchs auf seinem Hof. „Ich hab gar kein Interesse daran, diesen geilen Boden irgendwie zu verhunzen. Das ist mein Kapital, das ist das, worauf mein Ertrag wächst, den ich gerne meinen Kindern übergebe.“

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Der „Ostsee-Landwirt des Jahres“  

Erhalten heißt in dem Fall: Nicht nur den Boden unter seinen Füßen, sondern auch die Ostsee. Die bekommt nämlich große Mengen phosphathaltigen Dünger ab, der von den landwirtschaftlichen Flächen an der Küste über ins Grundwasser sickert. Die Folge: Auf der Wasseroberfläche breiten sich Algen aus, die dem restlichen Ökosystem den Sauerstoff wegnehmen, es kommt zu regelrechten „Todeszonen“, in denen Meereslebewesen nicht überleben können. 

Rohlfing hat daher damit begonnen, auf seinem Betrieb einen gewässerschonenden Umgang einzuführen. Für sein Engagement hat ihn der WWF im Juli mit dem Preis „Ostsee-Landwirt des Jahres“ ausgezeichnet – weil er „den Austrag von Nährstoffen in die Gewässer mindert und damit zum Schutz dieses Binnenmeeres beiträgt“, heißt es in einer Erklärung.

Der 48-Jährige hat auf seinem Betrieb nicht nur weitestgehend einen ressourcenschonenden Kreislauf etabliert, sondern auch durch den Einsatz von Technik die Düngemengen, die er benötigt, erfolgreich reduzieren können. Und weil er eine größere Moorfläche bewirtschaftet, fördert das auch die Speicherung von Wasser und CO2. Die These, die Rohlfing und der WWF vertreten: Durch kleine Änderungen im Betriebsablauf lässt sich der Einsatz von Dünger reduzieren – und die Fähigkeit der Böden zur Wasseraufnahme erhöhen.

Nicht zu trocken, nicht zu feucht: Ein guter Boden speichert Wasser und Nährstoffe.
Nicht zu trocken, nicht zu feucht: Ein guter Boden speichert Wasser und Nährstoffe. FOCUS online Earth

10 Maßnahmen gegen Wasserstress in der Landwirtschaft

Um Landwirtinnen und Landwirte dabei zu unterstützen, gewässerschonender in ihren Betrieben zu arbeiten, hat der WWF ein Handbuch mit zehn Maßnahmen entwickelt:

  1. Zwischenfrüchte säen: Statt ganzjährig nur eine Pflanze (wie Getreide) anzubauen und abzuernten, können Landwirte dazwischen auch eine sogenannte Zwischenfrucht setzen: Klee beispielsweise oder Gräser, die wiederum als Futtermittel für Tiere dienen. Dabei wird ein guter Humusaufbau und eine stabile Bodenstruktur gefördert.
  2. Bodenverdichtung vermeiden: Damit der Boden auf den Feldern durch schwere Maschinerie nicht zusammengepresst wird und sich die Aufnahmefähigkeit verschlechtert, können Landwirte zu Tricks greifen: Ein geringerer Reifendruck oder angepasste Maschinen etwa helfen dabei, die Bodenporen zu schützen.
  3. Schützende Bodenbearbeitung: Indem man auf Pflügen verzichtet, wird die Humusschicht geschützt. Das reduziert die Verdunstung.
  4. Agroforst: Kleine Waldstreifen, die Felder durchziehen, spenden Schatten, schützen vor Winderosion und speichern CO2.
  5. Erosionsschutzstreifen am Ackerrand: Ein Grünstreifen am Feldrand fördert nicht nur die Biodiversität, sondern schützt auch vor Winderosion, bindet Nährstoffe und verbessert die Bodenqualität.
  6. Uferrandstreifen: Gleiches Prinzip, ähnliche Wirkung: Ein Grünstreifen zwischen Grünland und Gewässer bremst die Erosion und filtert Nährstoffe heraus, die sonst in das Wasser gelangen.
  7. Grünland statt Acker: Entsprechende Prämien vorausgesetzt, können Landwirte eine bestimmte Fläche zu Grünland umwandeln und somit dauerhaft bedeckt halten - das bremst die Erosion, speichert Wasser und unterstützt die Biodiversität.
  8. Abflussmulden: Begrünte Mulden im Feld helfen dabei, Starkregen abfließen zu lassen und verhindern somit weitere Bodenerosion.
  9. Kleingewässer: Kleine Gewässer auf der Flur, zum Beispiel durch ein kleines Stauwehr, können als Puffer bei Starkregen fungieren, aber auch Regenwasser speichern.
  10. Feuchtland anlegen: Feuchte Wiesen oder Moore können Wasser und CO2 speichern.

„Jawoll!“

Wenn Rohlfing nicht gerade Journalisten auf seinem Hof empfängt, um sie an seiner Erde riechen zu lassen, verbringt er die meiste Zeit auf dem Feld – und am Telefon. Während sein Truck über einen Acker von rechts nach links ruckelt, erhält er einen Anruf von seinem Vater. „Gute Nachrichten“, berichtet Rohlfing senior. Das geerntete Weizen wurde soeben beprobt, Ergebnis: Perfekt, um es für die menschliche Ernährung zu verkaufen.

„Jawoll!“, ruft der Landwirt und macht eine triumphierende Geste mit der Faust. Gerade jetzt, mit der wechselhaften Witterung, hat er sich nämlich ernsthafte Sorgen um den Nährstoffgehalt seines Weizens gemacht. Der Wagen stoppt, er steigt aus. „Als Bauern sind wir dem Wetter leider vollkommen ausgeliefert“, sagt er und marschiert über den Acker. 

Weizen, Klee, dann wieder Weizen

Der Mann, der sich in erster Linie als Unternehmer sieht, versucht daher durch verschiedene Maßnahmen ein gewisses Maß an Kontrolle zurückerlangen. Ein Beispiel: Zwischenfrüchte. Auf Gut Bad Sülze wird nach der Weizenernte nicht direkt die nächste Saat ausgebracht, sondern erstmal eine Zwischenfrucht gesät. Rotklee etwa, oder Gräser, die Rohlfing zu Heu trocknen und an seine Rinderherde verfüttern kann. 

Klar könnten Rohlfing oder sein Sohn, der selbst eine Lehre als Landwirt beginnen wird, stattdessen eine zusätzliche Saat auswerfen, dann wäre der Ertrag auch höher – fürs Erste. Bei Monokulturen besteht allerdings das Risiko, dass sie dem Boden Nährstoffe entziehen und dann doch wieder mehr Dünger notwendig ist. Indem die Rohlfings aber Zwischenfrüchte säen, die tiefer wurzeln, kann sich der Boden samt enthaltener Kleinstlebewesen erholen, neue Nährstoffe bilden und Wasser speichern. Eine Win-Win-Situation.

Live-Messung mit dem iPad

Auf dem Weg zur „Kuhrunde“, wie der 48-Jährige den Besuch bei seiner Rinderherde nennt, hält er mit seinem Truck neben einem Feld an und deutet auf leichte Furchen im Ackerboden. Mit einer gezielten Befahrung und leichteren Maschinen will er vermeiden, dass sich die Erde zu sehr verdichtet. Denn dann könne gar kein Wasser mehr ablaufen und das Feld würde unter Wasser stehen. 

Auch sonst setzt der Betrieb auf Technik: Durch regelmäßige Bodenproben sammelt Rohlfing oder einer seiner Mitarbeiter Daten über die Biomasse im Boden. Auf einem seiner Trecker ist ein iPad montiert, das auf die digitale Kartei seines Ackers zugreifen kann. Über Satellit wird dann die vorhandene Biomasse gemessen, anschließend werden darauf basierende Karten gebaut. Diese zeigen, wo viele Nährstoffe vorhanden sind und wo gedüngt werden muss.

Das Düngegerät am Trecker erhält dann die Informationen, wo gedüngt werden muss, und mit welcher Menge. „Vollautomatisch und GPS-gesteuert“, meint er stolz und steigt wieder hinauf in den Truck. „Es braucht nur noch jemanden, der den Trecker fährt.“ Durch die bedarfsorientierte Düngung wird verhindert, dass Düngereste, die die Pflanzen nicht mehr aufnehmen können, in Gewässer ausgewaschen werden. 

Auf dem Acker wurde erst Getreide geerntet, dann kommt die Zwischenfrucht.
Auf dem Acker wurde erst Getreide geerntet, dann kommt die Zwischenfrucht. FOCUS online Earth

Wenn der Singschwan Ärger macht

Doch nicht alles läuft so, wie er es gern hätte. Der Landwirt beschäftigt sich auch leidenschaftlich mit dem Thema Agroforst, also der Nutzung von Bäumen und Sträuchern auf dem Acker. Eine Streuobstwiese zum Beispiel, sagt Rohlfing, könnte er sich gut vorstellen. Mit einem Agroforst gäbe es mehr Schutz vor Sonne und Wind auf seinen Feldern, die Bäume würden CO2 speichern und die Bodenqualität verbessern. 

Doch hier macht ihm die Bürokratie einen Strich durch die Rechnung: Weil die Gegend um das Gut Bad Sülze als Vogelschutzgebiet ausgewiesen ist, könne eine Reihe an Bäumen, die seine Felder durchziehen, Vögel stören. Rohlfing sagte, im Landesamt für Umwelt hätte man zu ihm gesagt, dadurch werde der Singschwan beeinträchtigt, der dann keine Einflugschneise mehr hätte. 

Zum Mähen gezwungen

Auch bei den Grünstreifen am Feldrand oder entlang der Flüsse, die vor Erosion schützen und Nährstoffe binden sollen, hat Rohlfing mit Vorschriften zu kämpfen. Die Obstbäume, Sträucher, Gräser und Wiesen sind knapp einen Meter breit und mehrere Meter lang. Praktisch kann er sie jedoch kaum halten, wenn er sie nach fünf Jahren nicht abmäht. Sonst wird die Ackerfläche zu einer Grünfläche umgewidmet, so sieht es eine EU-Regelung vor.

Und hier trifft man schnell auf die wirtschaftliche Realität: „Wenn diese Fläche auf einmal Grünland ist, dann haben wir einen enormen Wertverlust: Die Ackerfläche ist 40.000 Euro pro Hektar wert, das Grünland aber nur 10.000 Euro.“ Als Pächter hätte man daher schnell eine Vertragsstrafe am Hals, erklärt Rohlfing und lenkt den Wagen über die buckelige Wiese zu seiner Kuhherde. 

Das heißt: Selbst wenn es aus landwirtschaftlichen und biologischen Gründen Sinn ergeben würde, den Grünstreifen zu belassen, muss Rohlfing ihn alle fünf Jahre pflügen und wieder von vorne anfangen. Unnötige Arbeit, findet der Landwirt – und schlecht für die Biodiversität. Denn auch das regelmäßige Umpflügen führt dazu, dass Nährstoffe wiederum ausgewaschen werden und im Wasserkreislauf landen. 

Der Trebel-Kanal entlang des Niedermoors: Ein Grünstreifen verhindert Erosion und Auswaschung von Nährstoffen.
Der Trebel-Kanal entlang des Niedermoors: Ein Grünstreifen verhindert Erosion und Auswaschung von Nährstoffen. FOCUS online Earth

Die große Geld-Frage

Dabei haben es Landwirtinnen und Landwirte in Zeiten des Klimawandels schon schwer genug. Die Spielregeln haben sich geändert, Wetterextreme werden häufiger und gleichzeitig schwieriger vorherzusagen – und es wird ebenso kniffliger, sich darauf vorzubereiten. 

Wer nicht aufgeben will, dem bleibt also nur die Anpassung. Doch das erfordert viel Zeit, Geld, und Personal mit Know-How:

So hat die Aussaat einer Zwischenfrucht zwar eine verbesserte Bodenqualität zur Folge, aber auch mehr Kosten bei unmittelbar weniger Ertrag – aber laut WWF müssen Landwirtinnen und Landwirte dann auch mit 315 Euro Erlös pro Hektar und Jahr weniger rechnen.

Wer Felder mit weniger Reifendruck bestellen und Bodenverdichtung reduzieren möchte, muss dafür in eine entsprechende Gerätschaft investieren – die Kosten liegen bei 5.000 bis 10.000 Euro.

Agroforstsysteme, so sinnvoll sie auch sind, verursachen hohe Vorlaufkosten, bis sich das Projekt amortisiert – pro Hektar muss man mit etwa 4500 Euro Kosten rechnen sowie 4200 Euro Verlust, weil die Fläche nicht mehr als Acker nutzbar ist.

Ressourcen, über die längst nicht jeder Landwirt verfügt. Rohlfing fordert, man müsse es so angehen, dass es sich für die Landwirte lohnt. Förderungen beispielsweise haben ihm dabei geholfen, die Biodiversitätsmaßnahmen rentabel zu halten. Doch dabei bleibt es nicht, auch Planungssicherheit gehört zu seinen Forderungen.

Finanzierung, Planung und Umsetzung von Maßnahmen wie eben einem Agroforstsystem können Jahre in Anspruch nehmen. Das wird durch den politischen Turnus konterkariert, wenn potenziell alle vier Jahre eine neue Regierung mit neuen Regeln an die Macht kommen kann.

Ein Teil der Kuhweide, auf der Rohlfings Rinder weiden, ist eigentlich ein Niedermoor.
Ein Teil der Kuhweide, auf der Rohlfings Rinder weiden, ist eigentlich ein Niedermoor. FOCUS online Earth

„Würden wir hier düngen, würde das Zeug nicht wachsen“ 

Während seine Kühe mit neugierigen und erwartungsvollen Blicken ihren Besitzer anstarren, stapft Christian Rohlfing über den Hügel der Feuchtwiese, die eigentlich ein Niedermoor ist. Im Winter, erklärt er, sei es hier so nass, dass jeder Schritt so klingt, als ob die Wiese schmatzen würde.

Dann öffnen sie nämlich ein kleines Stauwehr, das Wasser aus der Trebel, die zwischen den Hügeln mäandert, kann dann in Ruhe die Wiese unter Wasser setzen. Im Sommer, wenn die Kühe hier weiden und das Gras gemäht wird, bleibt das Wehr unten und die Wiese wird entwässert.

Auch Wildtiere wie Rehe und Wildschweine fühlen sich hier pudelwohl. Dass die Wiese so buckelig ist, sei ein Werk der Wildschweine und ihrer Wühlerei, erzählt Rohlfing schmunzelnd. Er bückt sich und pflückt einige Pflänzchen von der Wiese, noch mehr Hinweise auf die gute Bodenqualität: Schafsgarbe und Rotklee. „Hier wird nicht gedüngt, dafür kriegen wir auch eine Umweltprämie“, erklärt er stolz. Und fügt hinzu: „Würden wir hier düngen, dann würde das Zeug gar nicht wachsen.“

Nach einer langen Regenphase ist das Stroh endlich trocken genug, um eingefahren zu werden.
Nach einer langen Regenphase ist das Stroh endlich trocken genug, um eingefahren zu werden. FOCUS online Earth