Ein Deich im Osten zeigt, dass Deutschland komplett umdenken muss

Zügig stapft Sven Guttmann den Elbe-Deich hinauf. Er kennt jeden Pfad, jede Kurve. Seit Jahren durchstreift der WWF-Umweltschützer den Lödderitzer Forst bei Dessau – ein 600 Hektar großes Naturschutzgebiet, das er Tag für Tag betreut.

Oben auf dem Deich bleibt er kurz stehen. Um ihn herum: nichts als Grün. Auenwälder, Wiesen, feuchte Senken. Die Elbe selbst ist von hier kaum zu sehen. Der Fluss hat wieder Raum bekommen, darf sich ausbreiten, zurückziehen, verschwinden – und wiederkehren.

Die durstige Natur

Dass dies möglich ist, verdankt die Region auch Guttmanns Arbeit. Seit zehn Jahren kämpft er mit seinem Team für den Erhalt der letzten großen Auenlandschaft Mitteleuropas. Denn Trockenheit, Hitze und Wetterextreme lassen Wälder sterben, Wiesen verdorren, Tierarten verschwinden. Die Antwort der Naturschützer: nicht höhere Deiche, sondern mehr Platz für den Fluss. WWF, Bund und Land haben deshalb den Deich verschoben – und das Wasser in die Landschaft zurückgelassen.

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Der „geschlitzte“ Deich

Die Geschichte am Elbdeich ist mehr als regionale Naturschutzarbeit: Sie zeigt, wie Deutschland mit seiner wichtigsten Ressource umgehen sollte – Wasser. Jahr für Jahr verliert Deutschland 2,5 Kubikkilometer Wasser, mehr als dreimal so viel wie der Müritzsee fasst. Wälder sterben, Felder werfen geringere Erträge ab, Flüsse und Seen trocknen aus. Das einst wasserreiche Land stolpert von einer Dürrekrise in die nächste.

Genau hier setzen Projekte wie der Lödderitzer Forst an. Im Rahmen des Naturschutzprojekts „Mittlere Elbe“ entstand ein durchgehender Verbund überflutbarer Auenwälder – eine der größten Deichrückverlegungen Deutschlands. Der neue Deich ist jetzt bis zu 2,5 Kilometer vom Fluss entfernt. Den alten Deich „schlitzte“ man an zehn Stellen. Heute kann sich die Elbe bei Hochwasser wieder auf 600 Hektar ausbreiten.

Die Rückkehr der Rotbauchunke

Seit 2019, nach 17 Jahren Arbeit, sind nicht nur intakte Auenwälder zurückgekehrt, sondern auch seltene Arten wie der Elbebiber, der Schwarzstorch oder die Rotbauchunke. Mit jedem Hochwasser zeigt die Elbe: Flüsse können sich selbst regulieren – wenn man sie lässt.

Die Deich-Rückverlegung der Mittleren Elbe
Die Deich-Rückverlegung der Mittleren Elbe WWF

Der Wasserhaushalt bleibt stabil, die Ökosysteme intakt. Während Deutschlands Wälder durch Hitze und Trockenheit ihre Rolle als natürliche Klimasenken verlieren, nimmt der Auenwald an der Mittleren Elbe weiter CO2 auf. Der Rückbau der Landschaft zeigt Wirkung.

„Das haben inzwischen alle verstanden“

„Damit Wasser in der Natur bleibt, brauchen wir einen Systemwechsel“, sagt Guttmann, während er den Deich hinabsteigt. Über Jahrhunderte seien Flüsse begradigt, Moore trockengelegt und Auen entwässert worden – um Flächen für Landwirtschaft und Siedlungen nutzbar zu machen. „Das Wasser wurde so schnell wie möglich aus der Landschaft geschafft.“

Im E-Auto fährt er über die schmalen Wege des Naturschutzgebiets, hält immer wieder an. Guttmann deutet auf alte Gräben, die im Laufe des Projekts geschlossen wurden. Er zeigt auf wellige Wiesenflächen, in deren Mulden sich heute Regen und Hochwasser sammeln können.

„So sieht Landschaft aus, wenn sie wieder Wasser speichert“, erklärt er. Die jahrzehntelange Entwässerungs-Infrastruktur hingegen beschleunige in Zeiten extremer Trockenheit nur die Austrocknung. „Das haben inzwischen alle verstanden, die sich mit Wasser beschäftigen. Auch Landwirte wissen: Nur Böden, die Wasser halten können, sichern ihre Ernten.“

Bürger und Bauern waren anfangs skeptisch

Trotzdem war die Arbeit mit Landwirten und Anwohnern nicht immer einfach, erinnert sich Guttmann. Auch hier gab es Gräben zu überwinden. „Die Menschen vor Ort waren lange skeptisch“, erklärt er. „Sie kennen die Probleme mit Hochwasser ja aus eigener Erfahrung.“ Immer wieder winkt er Spaziergängern und Radfahrern zu, die ihm auf der Fahrt durch die Mittlere Elbe entgegenkommen.

„Aber sie haben auch gesehen, wie trocken es wird und wie die Ökosysteme Jahr für Jahr mehr leiden. Vor allem nach der Mega-Dürre 2018 hat bei vielen ein Umdenken eingesetzt. Ihnen liegt ihre Heimat am Herzen.“

Ähnlich vorsichtig reagierten anfangs die Landwirte, deren Felder an das Gebiet der Mittleren Elbe grenzen. „Wir machen Umweltarbeit nicht gegen die Bauern, sondern mit ihnen“, betont Guttmann. „Es geht nicht darum, Flächen wegzunehmen, sondern gemeinsam zu schauen, wie regenerative Landwirtschaft hier funktionieren kann."

Der WWF-Umweltschützer Sven Guttmann
Der WWF-Umweltschützer Sven Guttmann FOCUS online Earth

„Wir werden die Probleme ernten“

Nach 20 Minuten rumpeliger Fahrt durch den Pfad im Auenwald ist Guttmann endlich wieder an der Elbe angekommen. Zwei Angler sitzen am Ufer. Ein weiterer Fußmarsch steht an, Guttmann will sie nicht stören. 

Der Umweltschützer bleibt stehen. Links von ihm glitzert die Sonne auf der Oberfläche der Elbe. Zu seiner Rechten sammeln sich Wassermulden in der Auenlandschaft, dahinter reihen sich die ersten Bäume auf. „Wir müssen das Wasser-Problem systematisch und übergreifend angehen", fordert Guttmann – und nennt dafür die für Deutschland typischen Maßnahmen: Bürokratie vereinfachen, bessere Zusammenarbeit von Bund und Ländern. 

Die Elbe zeigt, dass Anpassung an den Klimawandel möglich ist – aber nur, wenn alle Beteiligten bereit sind, umzudenken. „Beim Schutz des Wassers in unserer Natur hinken wir 20 Jahre hinterher“, sagt Guttmann. „Wir werden die Probleme ernten, wenn wir jetzt nichts machen.“ Wenn die Böden vertrocknen und die Flüsse kein Wasser mehr führen, sagt Gutmann, dann werden das alle spüren. „Auch Industrie und Wirtschaft.“