Hüttenwirtin im Vogelnest: Bei Brigitte Parson will niemand einen Latte Macchiato

  1. Startseite
  2. Lokales
  3. Garmisch-Partenkirchen

Kommentare

Exponiert, hoch, abgeschieden, klein, einfach – und genau, wie es Hüttenwirtin Brigitte Parson liebt: die Oberaarjochhütte im Wallis. © privat

Völlig abgeschieden liegt die Oberaarjochhütte im Wallis. Ausgesetzt am Fels auf 3258 Metern Höhe, zu erreichen oft nur mit Steigeisen und am Seil gesichert. Brigitte Parson hat die Unterkunft gepachtet.

Enge Freundinnen und Kolleginnen: Brigitte Parson (r.) und Stella Hell führen die Oberaarjochhütte im Wallis, gemeinsam mit Parsons Lebensgefährten Corsin Flepp.
Enge Freundinnen und Kolleginnen: Brigitte Parson (r.) und Stella Hell führen die Oberaarjochhütte im Wallis, gemeinsam mit Parsons Lebensgefährten Corsin Flepp. © privat

Viele Gäste wollten Brigitte Parson schon helfen. Vor allem die Männer. Sobald sie die Hüttenwirtin sehen, wie sie draußen in der Kälte den Schnee von der Terrasse schaufelt, würden sie sofort übernehmen. „Wehe“, warnt sie Parson dann. „Das ist mein Schnee.“ Sie lacht. Schnee ist ihr Element. „Ich liebe ihn. Man kann wirklich sagen: Er macht mich glücklich.“ Sogar, wenn sie ihn stundenlang weghieven muss. In ihrer ersten Saison auf der Oberaarjochhütte im Wallis aber wurde es sogar ihr mal zu viel.

Hütte nur über Klettersteig zu erreichen

Wie ein Vogelnest steht die Hütte zwischen den mächtigen Felswänden. Beziehungsweise an einer mächtigen Felswand. Sie scheint in der Luft zu hängen, 50 Meter über dem Abgrund. Bergsteiger und Tourengeher erreichen sie nur über einen Klettersteig, im Winter oft nur mit Steigeisen, Pickel und am Seil gesichert. Früher, als sie 1904 erbaut wurde, stand sie auf Höhe des Gletschers. Doch der hat sich zurückgezogen, zurückgeblieben ist ein Fels- beziehungsweise Schneeplateau 50 Höhenmeter weiter unten. Auf einem Foto hat Brigitte Parson die kleine Hütte entdeckt. Da wusste sie sofort: Dort will sie Hüttenwirtin beziehungsweise -wartin sein, wie die Schweizer dazu sagen. So nah an der Natur, ohne den „überflüssigen Komfort“ des Tals, mit dem Luxus der Einfachheit. Seit dem vergangenen Winter bewirtschaftet sie mit ihrem Partner Corsin Flepp, der sich um die Logistik kümmert, und im Wechsel mit ihrer Freundin Stella Hell das abgelegene Rifugium auf 3258 Metern Höhe. Die Höhe war wichtig. Eigentlich war sie das entscheidende Kriterium bei der Suche.

Mit der Adolf-Pichler-Hütte begann das Wirte-Abenteuer

Bereits seit 15 Jahren arbeitet Parson als Teilzeit-Hüttenwirtin, den Rest des Jahres in einer Steuerkanzlei in Garmisch-Partenkirchen und genießt die Zeit in Innsbruck mit ihren zwei Kindern und drei Enkelkindern. Mit der Adolf-Pichler-Hütte in Tirol begann das Abenteuer. „Ich hab’s einfach probiert, weil es mein Traum war.“ Diese pachtete sie von 2009 bis 2017 – auf 1977 Metern gelegen, knapp eine Stunde Zustieg, mit dem Auto gut zu erreichen. Danach übernahm sie für fünf Jahre die Bordierhütte auf 2886 Metern in den Waliser Alpen – Zustieg vier bis fünf Stunden, nur für dringende Einkäufe zu machen, Vorräte brachte der Hubschrauber. Seit März 2024 nun die Oberaarjochhütte, eine der höchstgelegenen Unterkünfte der Alpen, Zustieg im Sommer fünf bis sechs Stunden, im Winter acht bis zehn, nur mit alpiner Ausrüstung. Was der Helikopter an Ware nicht liefert, fehlt. An der Hütte landen kann der Pilot nicht, dafür ist alles viel zu eng und klein. Über ein Stahlseil setzt er Lebensmittel und Holz ab.

Das Wasser ist die größte Herausforderung

Nichts, was Parson nervös macht. „Ich bin ja quasi ein alter Hase.“ Viele Hütten hat die gebürtige Garmisch-Partenkirchnerin kennengelernt, nachdem sie zuletzt drei Jahre lang ausgeholfen hat, wo kurzfristig dringend jemand gesucht wurde. Doch dieses kleine Schutzhaus mit seinen 35 Plätzen ist anders.

Viel intensiver als erwartet: Das Naturerlebnis und der Blick auf die Berge haben Brigitte Parson besonders berührt.
Viel intensiver als erwartet: Das Naturerlebnis und der Blick auf die Berge haben Brigitte Parson besonders berührt. © privat

Mit allen Ressourcen müssen Parson, Flepp und Hell haushalten. Allen voran mit dem Wasser. „Das ist die größte Herausforderung.“ Im Winter schmelzen sie den Schnee in großen Milchkannen. Im Sommer (Juli und August) gibt’s nur das Wasser, das der Regen oder die Schneeschmelze bringt. Bei Mangel stellt das Team den Gästen einen kleinen Krug ans Waschbecken – muss reichen fürs Zähneputzen. Nach dem Kochen nutzt Parson das Nudelwasser fürs Vorspülen des Geschirrs. Wovon sie so wenig wie möglich benutzt. Ihre Suppenteller verwenden die Bergsteiger und Skitourengeher auch fürs Hauptgericht – alles kocht Parson frisch, jeden Tag backt sie Brot –, als Nachspeise gibt’s Kuchen, den man mit den Fingern essen kann.

Nur ein Raum lässt sich beheizen – Geschlafen wird mit Mütze

Das Holz braucht das Team fürs Abkochen des Wassers. Geheizt wird damit nur selten. Wird geheizt, dann schürt Parson den Ofen in der Stube an. Andere Räume können die Wirte nicht aufwärmen. In ihren Schlafzimmern sinken die Temperaturen im Winter auf etwa vier Grad. „Warme Decke, lange Hose und a Mütze, das geht gut.“ Den Strom bringt auf der Oberaarjochhütte die Photovoltaikanlage auf dem Dach. „Gesaugt wird nur, wenn die Sonne scheint.“ Tagelang also manchmal gar nicht. So wie in diesem ersten Winter.

Er begann mit Schneesturm. Es schneite, schneite, schneite. Fünf bis sechs Stunden am Tag schaufelten Parson und Flepp die Hütte frei. Am nächsten Tag begannen sie bei Null. „Das frustriert schon“, sagt Parson. Aber nur kurz. „Du bist da oben der Natur ausgesetzt. Und das ist auch das Schöne.“ Also schaufelten sie weiter. „Auf einmal habe ich verstanden, wie es ist, wenn die Menschen am Berg in der Eiseskälte sterben.“ Im Tal bemerkt sie die Dekadenz vieler Menschen. Dass sie unnötig das Wasser laufen oder das Licht brennen lassen.

Hüttenwirtin Brigitte Parson: „Mit zunehmender Höhe werden die Leute unkomplizierter“

Tränen des Glücks kommen Brigitte Parson ab und zu, wenn sie auf ihrer Terrasse steht und die Natur sieht und vor allem spürt.
Tränen des Glücks kommen Brigitte Parson ab und zu, wenn sie auf ihrer Terrasse steht und die Natur sieht und vor allem spürt. © privat

Generell kommt zu Parson niemand, der einen Latte Macchiato fordert und eine Sauna. Vielmehr Menschen, die sich über eine warme Stube und eine warme Suppe freuen. „Mit zunehmender Höhe werden die Leute unkomplizierter.“ Sie sehen den eigentlichen Zweck der alpinen Hütten als Schutzraum in einer außergewöhnlichen Umgebung. Der Blick auf die Berge, darunter das imposante Matterhorn, berührte Parson jeden Tag. Geweint hat sie an ihrem ersten Abend, vor lauter Glück. Zu Ostern sind sie und ihr Partner wieder hinaufgestiegen. „Das Naturerlebnis dort oben ist so intensiv, wie ich es nicht vermutet hätte.“

Auch interessant

Kommentare