„Beginnende Deindustrialisierung“: In fast allen Branchen verliert Deutschland den Anschluss

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Autos im Distributionszentrum in Chongqing in China. © IMAGO/CFOTO/NurPhoto

Noch ist Deutschland die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt. Doch die Unternehmen hierzulande ringen zunehmend um ihre Wettbewerbsposition auf dem Weltmarkt.

Berlin – Die Bundesregierung sah zuletzt Hoffnung für die deutsche Wirtschaft und hob ihre Konjunkturprognose leicht an. Voraussichtlich wächst die Wirtschaftsleistung demnach im laufenden Jahr um 0,3 Prozent. „Nichts, mit dem wir zufrieden sein können“, räumte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ein. Denn Deutschland sieht sich mit strukturellen Herausforderungen konfrontiert. Die Wettbewerbsposition der deutschen Industrie ist in Gefahr.

Deutschland als Schlusslicht unter den Wirtschaftsnationen: 50.000 Arbeitsplätze in Gefahr

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hatte im April die Konjunkturaussichten Deutschlands mit 0,2 Prozent beziffert, damit ist die Bundesrepublik das Schlusslicht unter den großen Wirtschaftsnationen der Welt. Die Unternehmen hierzulande klagen über eine schwache Nachfrage aus dem Ausland, hohe Steuern und Energiepreise sowie ausufernde Bürokratie. Als Gefahr für die deutsche Wirtschaft gelten auch Chinas Überkapazitäten. Die Volksrepublik überschwemmt die Weltmärkte mit günstigen Produkten.

Der Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall sieht gar eine „beginnende De-Industrialisierung“ in Deutschland und warnt vor dem Verlust von bis zu 50.000 Arbeitsplätzen, wie er den Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte. Die Aufträge im Verarbeitenden Gewerbe gingen zuletzt zurück: Der Auftragsbestand sank nach vorläufigen Angaben des Statistischen Bundesamtes im März 2024 gegenüber Februar 2024 um 0,4 Prozent. Im Vergleich zum Vorjahresmonat gab es sogar 5,8 Prozent weniger Aufträge. Der Hauptgrund für den Rückgang: Die Entwicklung in der Automobilindustrie. Der Auftragsbestand war hier bereits im 14. Monat in Folge gesunken.

Deutsche Industrie hat zunehmend Probleme, sich am Weltmarkt zu behaupten

Zudem verschlechtert sich die Wettbewerbsposition der deutschen Industrie innerhalb der EU und auf den Weltmärkten seit zwei Jahren. Das geht aus Auswertungen der monatlichen Umfrage des Instituts für Wirtschaftsforschung (ifo) hervor. „Für die deutsche Industrie wird es schwieriger, sich im Wettbewerb zu behaupten“, sagte Klaus Wohlrabe, Leiter der ifo-Umfragen. „Nahezu alle Branchen in der Industrie berichteten, dass sich ihre Wettbewerbsposition im ersten Quartal 2024 gegenüber dem vierten Quartal 2023 verschlechtert hat“, so der Bericht weiter.

Lediglich in der Pharmaindustrie und bei den Herstellern von Holzwaren ohne Möbel ging es aufwärts. Auf den Märkten außerhalb der EU verbesserte nur die Getränkeindustrie ihre Wettbewerbsposition, ansonsten verschlechterte sich die deutsche Wettbewerbsfähigkeit über alle Branchen hinweg. Selbst im Inland geraten die deutschen Unternehmen laut dem ifo-Institut zunehmend unter Druck: Bis Ende 2022 konnten sich die Firmen hierzulande mehrheitlich gut behaupten. „Dies änderte sich vor einem Jahr“, so die Analyse weiter.

Reform der Schuldenbremse oder Sondervermögen? Diese Vorschläge gibt es für mehr Investitionen

Die Stärken der deutschen Wirtschaft bleiben Innovationskraft, die Logistikinfrastruktur und gut ausgebildete Arbeitskräfte, heißt es in einer Analyse zur deutschen Wettbewerbsfähigkeit von KfW Research. Die Schwächen sind hingegen die demografische Alterung, niedrige öffentliche Investitionen und hohe Unternehmenssteuern. „Insgesamt besteht ein hoher Handlungsdruck, um die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts zu sichern“, mahnte auch KfW-Chefvolkswirtin Dr. Fritzi Köhler-Geib. Wirtschaftsminister Habeck hält ein „wuchtiges Entlastungsprogramm“ und eine Reform der Schuldenbremse für die Lösung.

Mehr Flexibilität würde es erlauben, mehr zu tun für die Bauwirtschaft und für mehr Investitionen der Firmen, so der Minister. Eine politische Mehrheit für seine Vorschläge gibt es derzeit nicht, das räumt Habeck selbst ein. Widerstand kommt insbesondere aus der FDP. Ein Vorschlag von Wirtschaftsforschern könnte beides unter einen Hut bringen: Michael Hüther vom arbeitgebernahen Institut der Deutschen Wirtschaft und Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) schlugen unlängst ein 600-Milliarden-Sondervermögen für Investitionen vor.

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