„Hauptsache arbeiten“: Chancen-Aufenthaltsrecht eröffnet zwei Flüchtlingen neue Perspektive

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Plaudern in der Helferzentrale: Bocar Traore, Victor Iwekumo und Ute Mitschke erklären dem Bundestagsabgeordneten Karl Bär, wie das Chancen-Aufenthaltsrecht in der Praxis funktioniert. Voraussetzungen: Deutschkenntnisse, keine Vorstrafen Viele Asylbewerber dürfen nicht arbeiten © Sabine Hermsdorf-Hiss

Seit neun Jahren sind sie in Deutschland. Dank einer Gesetzesänderung dürfen zwei Flüchtlinge endlich als Pfleger arbeiten.

Wolfratshausen – Bocar Traore hat schon gearbeitet, seit er in Deutschland angekommen ist. Für ihn ist das selbstverständlich. Und wählerisch ist er auch nicht. „Hauptsache arbeiten“, sagt er. Bundestagsabgeordneter Karl Bär hört zu, Victor Iwekumo nickt zustimmend. Iwekumo hat lange dafür gekämpft, eine Arbeit annehmen zu dürfen. Neun Jahre, um genau zu sein. Lange war das erfolglos. Dank einer Gesetzesänderung, die von Bärs Grünen mitinitiiert wurde, witterte der Familienvater nigerianischer Herkunft endlich seine Chance auf eine sichere Zukunft mit eigenem Verdienst.

Durch das „Chancen-Aufenthaltsrecht“ dürfen die beiden Afrikaner sich 18 Monate lang auf dem Arbeitsmarkt beweisen und, wenn alles klappt, dauerhaft bleiben – obwohl ihr Asylantrag eigentlich bereits abgelehnt war.

Das Besondere an dieser Regelung: Nur Flüchtlinge, die seit mindestens sechseinhalb Jahren in Deutschland leben, können das Chancen-Aufenthaltsrecht beantragen. Victor Iwekumo kam 2015. Bis heute weiß er nicht, wie es für ihn weitergeht. Er weiß aber, was er gerne hätte. Iwekumo möchte deutscher Staatsbürger werden und in Wolfratshausen bleiben. „Hier gehe ich nicht mehr weg“, sagt er und lächelt ein breites Lachen. Er hat sich eingelebt in der Region, zieht sein Kind groß und hat sogar eine Wohnung gefunden – „bei einem Vermieter, der da eine soziale Ader hat und auf einiges an Geld verzichtet“, wie Asylhelferin Ute Mitschke erklärt. Denn mit einer eigenen Bleibe ist Iwekumo ein Sonderfall. „Eine Wohnung zu finden ist fast unmöglich“, sagt sie.

Bocar Traore kann sich auf dem Mietmarkt im Münchner Süden mit dem Gehalt einer Pflegeassistenz keine Bleibe für eine vierköpfige Familie leisten. „Keine Chance“, sagt er.

Voraussetzungen: Deutschkenntnisse, keine Vorstrafen

Deshalb sorgen sich einige Asylbewerber, dass sie nach dem 18-monatigen Zeitraum wieder in ein Arbeitsverbot rutschen und die Möglichkeit auf ein dauerhaftes Bleiberecht futsch ist. Grünen-Politiker Bär machte den beiden Teilnehmern Mut. Seines Wissens ist eine Wohnung keine alternativlose Bedingung. Ein paar andere Aspekte seien aber nicht verhandelbar. Zum einen müssen die Arbeiter straffrei bleiben – „kein Problem“, sagt Iwekumo. Außerdem müssen sie Deutschkenntnisse auf A2-Niveau nachweisen – „das sollte klappen“, sagt Mitschke. Und sie müssen eine Anstellung finden haben. „Sie wollen sowieso, dass ich weiter dort arbeite“, berichtet Traore. Er hatte eine solche Situation schon einmal erlebt. Damals ging sie unerfreulich aus.

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Bis 2019 arbeitete der Familienvater aus Mali bei einem Verlag. Er organisierte im Lager Versand, Lagerung und Verpackung von Glückwunschkarten. „Die Chefin wollte mir eine Ausbildung geben“, erinnert sich der 43-Jährige. Dann kam Post vom Amt – ein Arbeitsverbot. Nach seinem Asylverfahren hatte Traore keine Bleibeerlaubnis mehr, sondern nur noch eine Duldung. Was klingt wie eine Petitesse, ist in der Lebensrealität der Asylbewerber ein riesiger Unterschied.

Bär wollte von Traore wissen, was er denn in der ganzen Zeit getan habe, als er zwar wollte, aber nicht arbeiten durfte. „Ich habe mich um meine Familie gekümmert – und im Asylhelferkreis mitgeholfen.“ Mitschke stimmt zu. Was den Malier während dieser Zeit verletzt hat: „Wenn ich spazieren gegangen und an Menschen vorbeigekommen bin, haben einige über mich geschimpft.“ Über den Asylbewerber, der nicht arbeitet. Was sie nicht wussten: Er hätte viel lieber gearbeitet, als zu spazieren. Beide Männer arbeiten in einer Pflegeeinrichtung in Geretsried. Sie sind dort zufrieden, auch wenn es kein leichter Job ist. „Es ist Arbeit“, sagt Iwekumo. Und Arbeit ist eine gute Sache.

Viele Asylbewerber dürfen trotz Aussicht auf Pflege-Job nicht arbeiten

Dem Grünen-Politiker erzählte der Nigerianer seine Geschichte. Nach einigen Jahren, in denen der 35-Jährige in einem Pflegeheim arbeitete, wurde auch ihm das Arbeiten untersagt. Sein Asylantrag: Abgelehnt. Wie so viele Verfahren. Bär weiß, dass viele Flüchtlinge abgelehnt werden – und das, obwohl sie bereit wären, Berufe zu übernehmen, für die Fachkräfte dringend gesucht werden. „Wir müssen versuchen, diese Fälle aus dem Asylverfahren in die Berufsschiene zu bekommen“, sagt Bär. Das sei der Ansatz des Chancen-Aufenthaltsrechts.

Denn dass arbeitswillige und -fähige Pflegekräfte ein Arbeitsverbot erhalten: Das sei bei dem aktuellen Personalmangel kaum vermittelbar. Ein Versuch sei das von der rot-grün-gelben Ampelregierung eingeführte „Chancen-Aufenthaltsrecht“.

Für Asylhelferin Ute Mitschke ist es ein sinnvolles Modell: „Es gibt viele Menschen hier, die seit Jahren darauf warten, endlich etwas Sinnvolles machen zu dürfen“ – weil sie nicht von Sozialleistungen leben oder in Unterkünften wohnen wollen.

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